"Lernen in Zeiten von Corona": Andreas Armin d'Orfey illustrierte diesen Beitrag von Sandra Fleck über Medienkompetenz und Medienbildung.

Illustration: Andreas Armin d´Orfey

Desinformation und sogenannte Fake-News haben Hochkonjunktur in Zeiten von Pandemie und Krise. "Ohne Medienkompetenz werden wir mit Desinformation nicht fertig", die These wollte Dan Gillmor Anfang April beim Internationalen Journalismusfestival in Perugia diskutieren. Das Festival wurde wegen des Coronavirus abgesagt. Wir haben den Journalisten, Buchautor und Mitbegründer des News Co/Lab an der Walter Cronkite School of Journalism and Mass Communication der Arizona State University gefragt, was es braucht, um Menschen zu fitten Mediennutzern zu machen.

"Journalisten müssen den Menschen transparent machen, was sie tun, warum sie es tun und wie sie es tun. Sie müssen ihr Publikum zu Gesprächen über den Journalismus selbst einladen", sagt Dan Gillmor, der Medienkompetenz lehrt.
Foto: ASU

Seit April 2018 findet sich die "Digitale Grundbildung" in Österreichs Lehrplänen. Sie soll Methoden und Werkzeuge vermitteln, neue Technologien einsetzen sowie gesellschaftliche und ethische Folgen hinterfragen. Der Schritt zum computergestützten Lernen folgte gerade wegen der Corona-Pause an den Schulen und virenbedingter sozialer Distanz schneller als gedacht.

Frage: Was bedeutet für Sie digitale Bildung?

Gillmor: Digitale Bildung umfasst eine Reihe von praktischen und allgemeinen Fähigkeiten, von den jeder einige beherrschen sollte, gerade auch in Sachen Medienkompetenz: Medien verstehen, analysieren und um den Produktionsprozess Bescheid wissen. Nachrichten sind ein Teil davon, aber man sollte sich ebenso auf Informationen konzentrieren, die sowohl Journalisten als auch andere Menschen veröffentlichen.

Frage: Was bedeutet das in Bezug auf digitale Technologien?

Gillmor: Digitale Kompetenz schließt das Verständnis ein, wie Kommunikationstechnologien funktionieren. Das wissen die meisten Journalisten nicht einmal. Nur wenn man versteht, wie die Dinge funktionieren, wie Medieninformationen im digitalen Zeitalter ihren Weg finden, kann man am Prozess aktiv teilnehmen.

Frage: Journalist und Normalverbraucher – worin liegt der Unterschied?

Gillmor: Die Grenze zwischen Journalisten und Nichtjournalisten, die früher recht klar war, ist immer unschärfer geworden. Mit dem Smartphone liegt heute in jedermanns Hand ein Produktionswerkzeug. Ob man sich dessen bewusst ist oder nicht: Wir sind alle Schöpfer und nicht nur Konsumenten. Auch das Posten auf Facebook, Twitter, Instagram oder Whatsapp ist Medienproduktion, also alles, das von mehr als einer anderen Person gesehen wird. Selbst der Akt des Teilens ist eine Art der Produktion, wir alle produzieren.

Frage: In den Lehrplänen der österreichischen Oberstufe findet sich im Deutschunterricht die Geschichte der Medien oder die Fertigkeiten der Informationsaufnahme, wohingegen sich der Kunstunterricht mit der Gestaltung von Film, Video, Fotografie und Informationsdesign auseinandersetzt. Somit werden die Grundtechniken zum Bloggen bereits vermittelt. Wie motiviert man die Schüler dazu, selbst zu bloggen?

Gillmor: Am besten ist es, die Inhalte in Unterrichtsfächer einzubetten. Im naturwissenschaftlichen Unterricht zum Beispiel sollten Lehrer ein wenig Zeit ihres Kurses dafür aufwenden, Schülern zu helfen, Artikel und Sendungen über Wissenschaft besser zu verstehen. Sie sollten erkennen können, ob Journalismus richtig gemacht wurde. Jedes Fach hat seine eigenen grundlegenden und spezifischen Techniken und Werkzeuge, die normalerweise vom Thema abhängen und eine Schulung benötigen.

Frage: Das gilt für Naturwissenschaften. Wie steht es um politische Bildung?

Gillmor: Der meiste Unterricht zur Nachrichtenkompetenz konzentriert sich auf öffentliche Angelegenheiten und Politik. In Amerika gab es einst ein eigenes Fach, es sollte aber Teil aller typisch liberalen Gegenstände sein. Wegen der Polarisierung ist es mit der Politik besonders schwierig. Manche Menschen haben den Wunsch, an Dinge zu glauben, die nur mit Gewalt geschehen können.

Frage: Was ist mit Schülern fernab sozioökonomischer Standards?

Gillmor: Sehr schwierig. Kinder in dieser Lage haben wahrscheinlich andere Probleme. Es mangelt an einer anständigen Wohnung, genügend Nahrung und anderen grundlegenden Dingen. Das kann ich nicht in Ordnung bringen. Aber Kindern zu helfen, mit der täglichen Informationsflut zurechtkommen, ist ein guter Ansatz. Selbst diejenigen, die keinen regelmäßigen Computerzugang haben, konsumieren sehr viel Fernsehen. Und viele der schlimmsten Fehlinformationen kommen vom Fernsehen. Das ist eher traditionelle Medienkompetenz. Aber Online- und soziale Medien werden mächtiger.

Frage: Was können wir für Kinder tun, die viel Zeit vor dem Fernseher verbringen?

Gillmor: Lehrer können den Schülern zeigen, wie Fernsehen funktioniert, wie Werbung funktioniert, wie die Medien früher Menschen benutzt und manipuliert haben. Das war lange Zeit die Wahrheit traditioneller Medien. Wir dürfen nicht vergessen, dass an vielen Orten das Internet nicht die einzige Möglichkeit ist, dass Menschen Nachrichten und Informationen erhalten.

Frage: Also sind Zeitungen nach wie vor wichtig?

Gillmor: In den Vereinigten Staaten ist dies weniger der Fall. Nach meinem Verständnis geht es den Zeitungen in Deutschland immer noch einigermaßen gut, und ich nehme an, auch in Österreich. Alles, was ein mächtiges Publikum hat, sollten wir ernst nehmen. Bei traditionellen Medien wie Zeitung und Fernsehen sollten Journalisten selbst zu den wichtigsten Vermittlern von Medienbildung gehören. Das war in der Vergangenheit nicht Teil ihres Selbstverständnisses und ist aus vielen Gründen ein tragischer Fehler.

Frage: Welche Gründe sprechen Sie hier an?

Gillmor: Einer davon ist, dass Journalisten, die ihrer Leserschaft erklären, wie Journalismus funktioniert, auch mehr Vertrauen genießen. Sie müssen den Menschen nur transparent machen, was sie tun, warum sie es tun und wie sie es tun. Zudem müssen sie ihr Publikum zu Gesprächen über diese Dinge und den Journalismus selbst einladen. Wir hätten uns gewünscht, dass Journalisten dies in den letzten 50 Jahren getan hätten, aber es ist nicht zu spät, damit zu beginnen. In Amerika ist das ein größeres Problem als in Österreich.

Frage: Sollen Journalisten jetzt an Schulen unterrichten?

Gillmor: Schule ist nicht die einzige Institution, um ein breites Wissen an Medienkompetenz zu vermitteln. Es liegt wirklich an uns allen, Wege zu finden, diese Fähigkeiten zu verbreiten. Die Medien selbst können eine Menge dafür tun, angefangen beim Journalismus. Aber auch die Unterhaltungsindustrie, die Öffentlichkeitsarbeit und die Werbung sind miteinzubeziehen. Und es gibt eine dritte wichtige Institution: Technologie.

Frage: Was ist, wenn große Unternehmen bewusst Fehlinformationen platzieren?

Gillmor: Transparenz löst viele dieser Probleme. In einigen Fällen vertraue ich darauf, dass Blogger mehr Arbeit leisten als jeder professionelle Journalist. Das bedeutet nicht, dass ich Bloggern mehr vertraue als Journalisten. Nichts und niemandem vertraue ich völlig. Aber ich vertraue beispielsweise einem Filmemacher, der einen Fehler macht, ihn korrigiert und mir davon erzählt, eher als einem Journalisten, der den Leuten nicht erklärt, wie man guten Journalismus macht.

Frage: Was macht einen Journalisten dann noch glaubwürdig?

Gillmor: Ich würde Glaubwürdigkeit nicht nur auf Journalisten beschränken. Jeder Mensch stellt anderen Menschen Informationen zur Verfügung. Man muss wissen, wer die Autoren sind; warum und wie sie tun, was sie tun. Das ist nicht die eine Maßnahme, aber es ist eine. Im Onlinejournalismus finden sich schon länger Texte mit Angaben zu Autoren. Im traditionellen Journalismus hat man das nie gesehen. Aber wenn Sie sich jetzt die "New York Times" ansehen, dann steht am Ende jeder Geschichte, wer der Reporter ist und was er bereits gemacht hat. Von anderer Seite hörte ich, dass ihre Leser anfangs ins Staunen kamen, als sie entdeckten, dass eine Zeitung keine große Institution ist, sondern eine Firma mit einer Vielzahl an Menschen, die ihre Arbeit tun – und das sehr hart. Zu wissen, dass Journalisten Menschen sind, ändert die Wahrnehmung. Alles, was man tun kann, um mehr Transparenz zu erreichen, ist per Definition gut.

Frage: Wenn "Digitale Grundbildung" in Österreich Erfolg hat, was bedeutet das für unsere Zukunft?

Gillmor: Es fällt mir sehr schwer, dies zu beantworten, denn ich bin nicht ganz so mit den österreichischen Medien vertraut. Ich würde sagen, wir brauchen digitale Alphabetisierung weltweit, und dass wir die Hilfe von Pädagogen, Medien und Technologieunternehmen nutzen, um dies zu ermöglichen. (Sandra Fleck, 13.4.2020)