Ganze 46 Produktionen hatte Christophe Slagmuylder für die heurigen Wiener Festwochen geplant. Manche von ihnen will er im Herbst zeigen – andere 2021.

Foto: Heribert Corn

Lange sah es so aus, als ob der eine oder andere Programmpunkt der Wiener Festwochen vielleicht doch stattfinden könnte. Am Montag wurden dann alle Veranstaltungen bis Ende Juni untersagt, und Christophe Slagmuylder, der Intendant der Festwochen, musste reagieren. Wir erreichen ihn per Skype in Brüssel.

STANDARD: Wie schwer fiel Ihnen die Absage der Festwochen a m Montag?

Slagmuylder: Ich bin sehr sensibel, wenn jemand das Wort "Absage" verwendet. Alle Veranstaltungen bis Ende Juni sind untersagt, das heißt, die Festwochen werden in der ursprünglich geplanten Form nicht stattfinden. Für mich sind die Festwochen aber nicht "abgesagt". Wir versuchen, Teile des Programms zu retten.

STANDARD: Was planen Sie?

Slagmuylder: Wir überlegen uns verschiedene Formate, für Mai und Juni und vor allem für den Herbst. Im Mai und Juni werden wir uns medial auf Online und Print konzentrieren und arbeiten dabei neben unseren eigenen Kanälen mit dem STANDARD zusammen (Details siehe unten). Daneben soll es Kunstinstallationen im öffentlichen Raum geben. Wir hatten eine größere Ausstellung mit der Kunsthalle Wien geplant, die wir auf 2021 verschoben haben. Aber wir werden Arbeiten einzelner Kunstschaffender bereits jetzt im öffentlichen Raum ausstellen.

STANDARD: Werden Sie Aufführungen streamen?

Slagmuylder: Nein, als Dokument ist ein Stream interessant, er kann aber nie die Gesamterfahrung ersetzen. Ein Stream ist eine Notlösung, mehr nicht.

STANDARD: Der Medientheoretiker Peter Weibel hat eine Epoche der Digitalisierung der Künste ausgerufen. Ich nehme an, Sie sehen das skeptischer.

Slagmuylder: Viele Kunstmacher realisieren gerade, dass die Digitalisierung Möglichkeiten für sie bereithält, die sie zuvor nicht in Betracht gezogen hätten. Für mich ist aber die ästhetische Erfahrung bei der Betrachtung eines Kunstwerks eng mit dem Raum und dem Körper verbunden.

STANDARD: Werden wir Räume und Körper nach der Krise anders wahrnehmen?

Slagmuylder: Die Schriftstellerin Arundhati Roy hat in der Financial Times geschrieben, dass das Schlimmste wäre, wenn wir dorthin zurück möchten, wo wir vor der Krise waren. Wir müssen akzeptieren, dass gerade ein Bruch stattfindet. Unsere Vorstellung von Öffentlichkeit oder Körpern wird in Zukunft eine andere sein. Der Theatermacher Milo Rau spricht nicht von einer Krise, sondern von einer neuen Ära.

STANDARD: Wenn das stimmt, wird das Auswirkungen darauf haben, was in Zukunft ein Festival ist und wie man es programmiert. Wie sehen Sie Ihre Tätigkeit in der Zukunft?

Slagmuylder: Die Definition eines internationalen Festivals ist es, Arbeiten global auszutauschen. Ich denke, dass ich meine Art, wie ich arbeite, verändern werde. Ich bin in der Vergangenheit ungemein viel gereist, das wird in Zukunft nicht mehr so leicht möglich sein. Was mich beunruhigt, ist dieser Romantizismus der Selbstbeschränkung. Für mich ist es wichtig, mit der Welt draußen verbunden zu sein, mit dem Anderen, dem Fremden, konfrontiert zu werden, und zwar nicht nur über digitale Medien.

STANDARD: Was bedeutet das konkret? Werden Festivals lokaler werden müssen?

Slagmuylder: Das Lokale kann sehr international sein. Nehmen wir nur Wien und wie viele internationale Kunstschaffende hier wohnen. Die Dichotomie zwischen dem Lokalen und dem Internationalen werden wir in Zukunft weiter fassen müssen. Und man wird viel nachhaltiger arbeiten müssen: dass Kunstschaffende länger bleiben, Exklusivität nicht mehr so wichtig ist, man noch stärker kooperiert.

STANDARD: Zurück zu Ihren Plänen: Im Herbst sollen eine Art Mini-Festwochen stattfinden. Wie könnten sie ausschauen?

Slagmuylder: Da gibt es derzeit viele Fragezeichen. Der Plan ist, im September etwa zehn Projekte zu zeigen. Vieles wird davon abhängen, ob wir überhaupt Veranstaltungsräume für diesen Zeitpunkt bekommen und wie die Reisemöglichkeiten sind.

STANDARD: Werden Sie im September die geplanten Uraufführungen nachholen?

Slagmuylder: Nein, die haben wir alle auf nächstes Jahr verschoben, Proben sind derzeit nicht möglich. Aber einige der Koproduktionen werden wir versuchen nach Wien zu holen. Toshikis Okadas Eraser Mountain feierte zum Beispiel seine Premiere bereits in Kioto, das Bühnenbild ist sogar schon in Wien eingetroffen.

STANDARD: Der Festivalgedanke ist Ihnen wichtig. Wie kann der im Herbst entstehen?

Slagmuylder: Die Festwochen wären eine Komposition aus 46 Projekten gewesen. Natürlich können wir diese nicht ersetzen. Aber es geht um die Herstellung eines Dialogs zwischen den Produktionen, um ein Geflecht aus großen Namen und jungen Kunstschaffenden, aus lokalen und internationalen Positionen. Viele Festivalkollegen denken jetzt stark lokal, das ist nicht mein Weg. Deswegen habe ich die Projekte lokaler Künstler wie jene von Markus Schinwald und Philipp Gehmacher auf 2021 geschoben. Für sie ist es wichtiger, Teil eines internationalen Festivals zu sein.

STANDARD: Welche internationalen Künstler können Sie nach Wien holen?

Slagmuylder: Im Zentrum sollen jene Produktionen stehen, die wir koproduzieren, wie Marlene Monteiro Freitas Mal, De Keersmaekers Goldberg Variationen oder Romeo Castelluccis Requiem. Wobei wir letztere Produktion wohl nicht im September zeigen können, sondern erst im Winter. Damit hätten wir ein Festival in drei Teilen.

STANDARD: Es wird auch einige der 46 Produktionen geben, die Sie gar nicht zeigen können, oder?

Slagmuylder: Da das Programm zu 80 Prozent aus Koproduktionen bestand, sind das gar nicht so viele. Was wir heuer nicht zeigen, werden wir nächstes Jahr präsentieren. Wobei wir dann natürlich schauen müssen, ob die Aufführungsorte noch verfügbar sind. Ein einfaches Copy and Paste wird nicht hinhauen. Die Welt wird 2021 eine andere sein als 2020. Und darauf müssen wir als Festival reagieren. (Stephan Hilpold, 11.4.2020)

Christophe Slagmuylder (geb. 1967 in Brüssel) leitet seit 2018 die Wiener Festwochen.