Wien – Mittwoch ist ab sofort der neue Donnerstag bei ORF 1. "Dok 1", "Talk 1", Peter Kliens Satireshow "Gute Nacht Österreich" landen damit nun doch auf jenem Wochentag, den eine Arbeitsgruppe für die ORF-1-Reform schon vor drei Jahren empfohlen hat. Ein wöchentliches Infomagazin soll später ebenfalls auf dem Mittwoch landen. Nach bisheriger Planung um 22.30 Uhr, wo zuletzt Servus TV 2019 nach nur drei Monaten sein Infomagazin "Factum" aufgegeben hat.

ORF-1-Senderchefin Elisabeth Totzauer bei der Programmpräsentation im November 2019 – mit der Vorabend-Neuerung "Q1" ab Dezember.

Mit dieser Woche setzt der auftragsgemäß jüngere ORF-Hauptsender zur nächsten Reform an. Einer von vielen Reformschritten in den vergangenen zwölf Monaten – in teils entgegengesetzte Richtungen.

Der Donnerstag am Mittwoch

Am 14. März 2019 setzte Senderchefin Elisabeth Totzauer die Dokureihe "Dok 1", damals noch "Dok eins", auf den Donnerstag, als ersten Baustein eines Themenabends, mit 12. September 2019 erweitert um das Gesprächsformat "Talk 1" und Peter Kliens Satireformat "Gute Nacht Österreich". Gegen den wöchentlichen Quotengiganten "Rosenheim Cops" auf ORF 2 ein mutiges, aber doch sichtlich schwieriges Unterfangen, zudem gegen Spiele der Europa League auf Puls 4. Einige eigenproduzierten "Dok 1"-Folgen reüssierten. Doch selbst Großprojekte wie Hanno Setteles fiktive Österreich-Kolonie auf dem Mars wurden hier nach bescheidenen 145.000 Zuschauern und 4,7 Prozent Marktanteil zum Start rasch in Doppelfolgen abgespielt.

Nun wandert der Donnerstag auf den Mittwoch. Anlass: Sportchef Hans Peter Trost konnte einen Teil der Donnerstagspiele der Europa League zurück in den ORF holen. Ein weiter Vorgriff: Die Rechte (quasi als Juniorpartner von Servus TV) liegen erst ab Herbst 2021 wieder beim Öffi-Funk.

Erst Info, dann Quiz im Vorabend

Erklärtes Ziel und erklärte Aufgabe von Channelmanagerin Totzauer ist, den langjährigen Kaufserien-Kauffilm-Premiumsport-Kanal ORF 1 österreichischer und öffentlich-rechtlicher zu machen – und dabei auch noch die stete Erosion der Zuschauerzahlen zumindest zu stoppen, die schon seit vielen Jahren in der alten Serien-Programmierung sinken und sinken. 2014 hatte der Vorabend ab 17 Uhr noch 18 Prozent Marktanteil beim jüngeren Publikum, 2016 nur noch elf Prozent, und dort blieb er seither im Wesentlichen auch im ersten Reformjahr 2019.

ORF-Chef Alexander Wrabetz versprach schon für seine Wiederbestellung 2016 eine tägliche Infoshow im Hauptabend. Totzauer wurde 2018 von der Infochefin zur Channelmanagerin von ORF 1 – und beließ es beim Projektstatus von Wrabetz' einstündigem Nachrichtenformat. Sie setzte am 18. April 2019 ein ambitioniertes werktägliches Infomagazin von einer halben Stunde in den sonst vor allem mit Serien bespielten ORF-1-Vorabend um 18.10 Uhr. Hier haben schon ORF-Generalin Monika Lindner ("25 – Das Magazin") und Alexander Wrabetz ("Wie bitte?") Magazinformate für eine jüngere Zielgruppe versucht und mangels Erfolgs aufgegeben.

Totzauers "Magazin 1", angekündigt mit "Ecken und Kanten", hielt sich wegen sehr bescheidener, die ORF-Werbevermarktung besorgender Quoten nur bis 2. Dezember 2019. Da kam – nach dem Vorbild eher älterer Sender wie Servus TV und deutscher Öffentlich-Rechtlicher – das Quizformat "Q1" zur Quotenrettung in den Vorabend. Und "Magazin 1" wurde auf zehn leichtere, unterhaltende Minuten verkürzt.

Spätes Infomagazin, noch späterer Talk

Zum Ausgleich plant Totzauer seither ein wöchentliches Infomagazin. Zunächst kolportiert für 21 Uhr am Mittwoch, dürfte es nun deutlich später und kürzer als die einst täglich geplante Stunde ausfallen: Nach letztverfügbarem Stand soll das halbstündige Newsmagazin am Mittwoch um 22.30 laufen. In der Zeitzone versuchte sich zuletzt Servus TV mit einem politischen Magazin – "Factum", produziert von Dietrich Mateschitz' Rechercheplattform "Addendum", lief ab Mitte März 2019 um 22.15 Uhr und überlebte nur drei Monate. Das ORF-1-Format startet immerhin nicht gegen die "ZiB 2" auf ORF 2, sondern unmittelbar danach.

Der "Talk 1" könnte dann nach dem neuen Newsmagazin laufen – um 23 Uhr. Mittwoch um 23 Uhr versuchte der ORF zuletzt 2007 bis 2012 ohne nachhaltigen Erfolg, das legendäre Diskussionsformat "Club 2" wiederzubeleben, allerdings auf ORF 2.

Wrabetz springt über seinen Schatten

Die wichtigste Programmreform von ORF 1 seit Jahren kommt ebenfalls von ORF 2: Seit 15. März 2020 schaltet der ORF seine Hauptnachrichtensendung "Zeit im Bild" um 19.30 Uhr auf alle Kanäle durch.

Totzauer bei der Programmpräsentation im Spätherbst 2019. Im März 2019 bekam sie mit den Corona-Maßnahmen die von ORF-Chef Wrabetz 2007 abgezogene "Zeit im Bild" zeitgleich um 19.30 Uhr wieder in ihren Sender.
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Die Corona-bedingte Sondersituation erleichterte ORF-General Wrabetz eine alle paar Jahre geprüfte und doch wieder verworfene Entscheidung. Denn Wrabetz musste sich mit der Durchschaltung von einem der letzten Schlüsselprojekte seiner 2007 fulminant gescheiterten "größten Programmreform aller Zeiten" verabschieden. Er hat vor ziemlich genau 13 Jahren, am 10. April 2007, mit dieser Reform die seit Fernsehgedenken auf ORF 1 und ORF 2 parallel laufende "Zeit im Bild" aus dem Einser-Programm entfernt.

Nun ist die wieder durchgeschaltete "Zeit im Bild" auch in ORF 1 häufig unter den drei meistgesehenen Sendungen des Tages. Gegenüber den Serien davor springt der Marktanteil von ORF 1 etwa in den vergangenen Tagen mit den Hauptnachrichten auf das Doppelte oder mehr, mehr als 200.000 auch jüngere Zuschauer sind jedenfalls im ersten ORF-Programm dabei, die Folgeprogramme können darauf aufbauen. Bei insgesamt Corona-bedingt deutlich höherem Info-Interesse – ebenso in ORF 2 mit 1,6 Millionen und mehr Zuschauern.

Soweit in den ORF-Programmvorschauen erkennbar, soll die "Zeit im Bild" jedenfalls bis Ende April auch in ORF 1 laufen. Ein Übergang zur Dauereinrichtung wäre zumindest ziemlich logisch aus ORF-Sicht. Auch wenn eine ORF-interne, von Wrabetz beauftragte Arbeitsgruppe erst wenige Wochen vor dem C-Day 13. März wieder einmal gegen eine 1:1-Durchschaltung argumentierte.

Wrabetz hat schon mit Anfang März einen wesentlichen Teil der ORF-Infomannschaft mitsamt den Kurznachrichten des Senders der ORF-2-Information zugeordnet. Erst 2018 hat Wrabetz die beiden Sender mit eigenen Channelmanagern und Chefredakteuren und getrennten Info-Mannschaften versehen. ORF 1 hatte allerdings schon zuvor unter Infochefin Totzauer ein eigenes Info-Team.

ORF 2 vor ORF 1 beim jüngeren Publikum

Erklärte Zielgruppe von ORF 1 ist das Publikum zwischen zwölf und 49 Jahren, zugleich die von Privatsendern besonders umworbene "Werbezielgruppe". Grob 140 Millionen Euro Umsatz machte auch das ORF-Fernsehen mit Werbung, jedenfalls bevor die Maßnahmen gegen das Coronavirus die Wirtschaft und ihre Werbefreude deutlich trübten.

2019 lag ORF 1 mit 11,2 Prozent Marktanteil bei den unter 50-Jährigen noch vor ORF 2 mit zehn Prozent Marktanteil. Im ersten Quartal 2020 liegt auch hier das noch deutlich informationslastigere ORF 2 mit 12,9 Prozent Marktanteil beim jüngeren Publikum vor ORF 1 mit 10,7.

Speedboote und Schlachtschiff

Das Verhältnis zum älteren, von Alexander Hofer mit deutlich weniger Reformbedarf geführten ORF 2 beschrieb Channelmanagerin Totzauer gerade in einer internen Rundmail mit einem Bild, das auf dem Küniglberg für einigen Gesprächsstoff sorgte.

"Im Verbund der Flotte ORF düsen wir mit unseren wendigen Speed-Booten dorthin, wo das Schlachtschiff ORF 2 nicht hinkommt." Totzauer verwies davor auf die Flexibilität mit binnen weniger Tage aus dem Boden gestampften Formaten wie dem neuen Schulfernsehen "Freistund" für junge Menschen auf virusbedingter Schul-Pause, "Fit bleiben mit den Stars", der jungen "ZiB Zack".

In Geld bemessen freilich könnte eher ORF 1 das Schlachtschiff sein, wenn man die rund 80 bis 100 Millionen Euro des TV-Sports zum Budget jenes Senders rechnet, auf dem die wichtigsten Sportevents laufen. Beim Programmbudget ohne Sport sollen ORF 1 und ORF 2 nach unbestätigten STANDARD-Infos etwa gleichauf liegen, kolportiert werden rund 80 Millionen Euro.

Deutlich vor größten Privatsendern

Die stärksten Privatsender müssten freilich zusammenlegen, um an ORF 1 heranzukommen: ProSieben Austria hatte laut Teletest im ersten Quartal 2020 6,1 Prozent Marktanteil beim Publikum unter 50, RTL Österreich 5,5 Prozent. 2019 war das Bild ähnlich – mit einem etwas schwächeren RTL und einem etwas stärkeren ProSieben, aber auch einem stärkeren ORF 1.

Aber auch 2019 war für ORF 1 ein ziemlich tristes Jahr. In ORF-internen Analysen blieb der allergrößte Teil des wichtigsten Programms ab 17 Uhr unter den Quotenvorgaben – großteils deutlich. Serien im Vorabend ebenso wie die 2019 neuen und wieder neuen Info-Formate, das – allerdings erst im Dezember gestartete – Quizformat "Q1" immerhin nur leicht darunter.

Lichtblick "Willkommen Österreich"

Im Hauptabend lagen montags Eigenproduktionen wie "Vorstadtweiber", "Walking on Sunshine" und "Stadtkomödie" im Vorjahr über den Vorgaben, "Soko Donau" und "Soko Kitz" am Dienstag deutlich darunter, ebenso Filme am Mittwoch und "Dok 1" am Donnerstag, auch Filme am Samstag und Sonntag. Freitagshows, vor allem "Dancing Stars" oder "Kabarettgipfel", übertrafen die Vorgaben leicht.

Weit über Plan: "Willkommen Österreich" mit Dirk Stermann und Christoph Grissemann am Dienstag. Das zunächst ziemlich abgedreht-anarchistische Projekt zuzulassen war einer der großen und anhaltenden Erfolge in Wrabetz' Programmreform von 2007. Relativ rasch wurde daraus dann doch (entgegen ursprünglichen Plänen) eine Late-Night-Show. Auch Oliver Baiers "Was gibt es Neues?" am Freitag lag leicht über Plan.

Wanda und "Dancing Stars" vertagt

"Dancing Stars" pausiert nun Corona-bedingt fürs Erste, ebenso das Austropop-Format "Live im SK1". Die Livesessions österreichischer Größen – Avec, Rainhard Fendrich, Voodoo Jürgens, Oehl, Seiler und Speer und Wanda – bei Benny Hörtnagl im Studio sollten ursprünglich kommenden Dienstag (21. April) um 23 Uhr starten.

Totzauer stimmte die Belegschaft gerade in ihrer internen Motivationsrundmail ("Channel-News") auf eine postvirale Welt ein: "Es wird eine Zeit nach Corona kommen", schrieb Totzauer vorige Woche in die Runde. "Wenn ich in unseren Nachrichtensendungen höre, dass sich die Zahlen positiv entwickeln, spüre ich schon das Licht am Horizont. Und für diese Zeit sind wir gerüstet."

"Wir machen hier genau das Richtige"

Die Channelmanagerin zählt diese Projekte auf: "Wir haben ein fertiges Musikformat im Kasten ('Live im SK1'), das wir im Herbst rund um den Amadeus-Award spielen werden. Die 'ZIB Reportage' der ORF-1-Info steht in den Startlöchern. Wir haben neue Folgen von 'Fakt oder Fake' oder 'Vier Frauen und ein Todesfall', auch der Sport wird wieder den Sender beleben, unsere Produzenten erwarten die ersten Drehtage mit unseren Schauspielern am Set, und wir haben ein Reportage-Format mit dem Titel 'Das Leben ist schön" – und wir freuen uns auf die Zeit, wenn dieser Titel wieder möglich ist. Die 'Dancing Stars' polieren zu Hause schon die Tanzschuhe."

Totzauer in der Mail: "Wir machen hier genau das Richtige. Wir konzentrieren uns auf unsere Stärken: Emotion, Unterhaltung und der Kontakt zu einer jüngeren Zielgruppe." (Harald Fidler, 14.4.2020)