Valetta/Wien – Das Coronavirus sorgt auch auf dem Mittelmeer für eine Verschärfung der ohnehin prekären Situation für Flüchtlinge. Denn vergangene Woche haben zuerst am Dienstag Italien, am Donnerstag dann auch Malta sowie Libyen ihre Häfen wegen der Pandemie zu unsicheren Orten erklärt und gesperrt. Für jene Menschen, die dennoch mit Booten die lebensgefährliche Überfahrt wagen, gibt es dadurch kaum noch Chance auf Rettung, wenn sie in Seenot geraten.

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Mitte März (Bild) landete noch ein Schiff mit Flüchtlingen im Hafen der maltesischen Hauptstadt Valetta. Später wurden aber so gut wie alle Häfen wegen der Corona-Krise geschlossen.
Foto: Reuters / Darrin Zammit Lupi

Genau das passierte nun vier Booten, die mit der NGO Alarmphone in Kontakt stehen oder standen. Die Hilfsorganisation nimmt Notrufe der Flüchtlingsboote entgegen und versucht Behörden oder umliegende Schiffe zu alarmieren und zur Rettung zu bewegen. Seit vergangenem Freitag appellieren die Aktivisten von Alarmphone nun bereits an die europäische Öffentlichkeit, die EU zum Handeln zu bewegen. Sie kritisieren offen, dass die Behörden in Malta und Italien die Rettung der vier Boote trotz mehrfacher Aufforderung nicht in die Wege leiten wollten.

Malta bittet zu helfen, öffnet aber keinen Hafen

Im Gespräch mit dem STANDARD gab eine Sprecherin von Alarmphone am Dienstagvormittag ein Update zur Situation der vier Boote. Eines mit 43 Personen an Bord trieb bis Montag ohne Hilfe im Mittelmeer. Ihnen kam das spanische Schiff Aita Mari der Rettungsorganisation Salvamento Maritimo Humanitario kurzfristig zur Hilfe. Das Schiff sei aber nicht auf Rettungsmission, sondern nur zufällig in der Gegend gewesen, hieß es.

Die Aita Mari versorgte die Schiffbrüchigen über Nacht mit Wasser und Nahrung, sei aber selbst nur mit kleiner Besatzung und wenig Vorräten unterwegs. Die maltesischen Behörden verweigern dem Schiff, in einem ihrer Häfen anzulegen, baten die Spanier aber, die Flüchtlinge an Bord zu nehmen, weil eine Notsituation vorherrsche. Malta habe nur angeboten, einen Hubschrauber mit einem Arzt für jene neun Personen zu schicken, die laut Crew der Aita Mari medizinische Hilfe benötigen. Doch mangels Landemöglichkeit an Bord sei dieses Angebot hinfällig, so die Alarmphone-Sprecherin. Wie es nun weitergeht, sei unklar.

Ein Boot überraschend in Italien angekommen

Ein weiteres Boot mit 77 Menschen an Bord ist am Montag überraschend in Italien angekommen. Wie sie es dorthin geschafft haben, sei unklar, so die Alarmphone-Sprecherin. Beim letzten Kontakt sei das Boot noch nahe Malta gewesen, und die Flüchtlinge hätten um Hilfe gerufen, weil sie angeblich von der maltesischen Küstenwache gehindert worden seien, sich der Insel zu nähern. In Italien wurden mittlerweile Gerüchte laut, die maltesischen Behörden könnten das Boot aufgetankt und weitergeschickt haben.

Gänzlich unklar bleibt indes das Schicksal eines dritten Bootes mit 85 Menschen Bord. Alarmphone hatte nur wenige Minuten Kontakt zu den Flüchtlingen. Diese konnten dabei keine genaue Position durchgeben. Berichte der Organisation Sea Watch, wonach man ein Wrack gesichtet habe, auf das die Beschreibung passen könnte, will man aber nicht bestätigen. "Wir wissen nicht, was passiert ist. Wir erhalten viele Anrufe von Angehörigen und wollen daher nichts kommentieren, das wir nicht belegen könne", so die Alarmphone-Sprecherin. Vielleicht habe es ja auch dieses Boot allein bis Italien geschafft, so die Hoffnung. Allerdings kam auch dazu bislang keine Bestätigung.

Portugiesen versuchten zu helfen

Das vierte Boot macht der Alarmphone-Gruppe aktuell die meisten Sorgen. Bis Sonntag hatte man regelmäßigen telefonischen Kontakt, bis dieser plötzlich gegen 14 Uhr abriss. In der Nacht auf Dienstag starteten die italienischen und maltesischen Behörden nach langem Drängen und Bitten eine Suchaktion aus der Luft. Malta alarmierte gegen 23 Uhr Schiffe in der Gegend, nach einem Flüchtlingsboot in Seenot Ausschau zu halten und diesem im Bedarfsfall zu helfen.

Ein portugiesisches Frachtschiff meldete schließlich während der Nacht Sichtkontakt zu einem treibenden Flüchtlingsboot, berichtet Alarmphone. Ob es sich dabei um jenes vermisste Boot mit den 55 Menschen an Bord handelt, ist noch unklar. Am Dienstagmorgen war nach wie vor nicht gesichert, ob es das Frachtschiff geschafft hat, die Menschen zu retten. "Die Wellen sind sehr hoch im Moment, das Frachtschiff ist riesig und eine Rettung dementsprechend schwierig und gefährlich", erklärte die Alarmphone-Sprecherin.

Angesichts der angespannten Situation meldete sich bereits das UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR zu Wort und äußerte sich "sehr besorgt". Auch der Vatikan rief dazu auf, den Menschen zu helfen, die Gefahr laufen, im Mittelmeer zu ertrinken. Mehrere Seenotrettungsorganisationen appellierten an die europäischen Staaten, angesichts der Corona-Krise nicht jenen Hilfe zu versagen, die an den EU-Außengrenzen um ihr Leben fürchten müssen. (Steffen Arora, 14.4.2020)