In Österreich gibt es etwa 700 Wildbienenarten. Ihre ökologische Bedeutung wird – vor allem im Vergleich mit der Honigbiene – stark unterschätzt.

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Nähert man sich im Frühling den prachtvoll blühenden Obstbäumen, kommt zur optischen eine akustische Sensation: das vielstimmige Summen, Schwirren, Brummen der Bienen, die hier dafür sorgen, dass später Äpfel, Kirschen und Zwetschken reif werden.

Doch das Summen wird – zumindest metaphorisch gesprochen – leiser. Studien, die belegen, dass die Biodiversität bei Insekten dramatisch zurückgeht, haben in den vergangenen Jahren global Wellen geschlagen. Denn: Sterben auch die Bienen, gibt es weder Apfel noch Gurke.

Bei diesem Gedanken haben viele Menschen die Honigbienen vor Augen: emsige Arbeiterinnen, die ausschwärmen, um in Millionen von Flügen Nektar zu sammeln. Dass es daneben in Österreich etwa 700 Wildbienenarten gibt, die eine immense ökologische Bedeutung haben, fällt dabei oft unter den Tisch. Zu Unrecht.

Wildbienenfreundliche Grünflächen

Um all diesen Bienenspezies abseits der Westlichen Honigbiene – die im allgemeinen Sprachgebrauch meist als "Biene" gemeint ist – mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen, wurde vor kurzem an der Universität Salzburg der "Österreichische Wildbienenrat" gegründet.

Beispielsweise soll die Ausbildung mit Bestimmungskursen, Exkursionen, Schulprojekten oder via Online-Plattformen gefördert werden. Gemeinsam mit dem Naturschutzbund und der Aktion "Wild auf Bienen" will man dazu motivieren, Grünflächen wildbienenfreundlicher zu gestalten.

"Was die Wildbienen betrifft, haben wir gerade in Österreich eine große Verantwortung. Trotz der vergleichsweise geringen Größe ist es das wildbienenreichste Land in Mitteleuropa. Der Grund liegt in den sehr unterschiedlichen Habitaten vom Alpenraum bis zum Pannonischen Becken", betont Stefan Dötterl, der die Arbeitsgruppe Pflanzenökologie und Botanischer Garten an der Uni Salzburg leitet und auch Teil des Wildbienenrats ist. "Gleichzeitig werden die Tiere hier aber kaum systematisch erforscht." Genau das möchten die Experten des Wildbienenrats ändern.

Schlechte Datenlage

"In Großbritannien, den Niederlanden und Deutschland gibt es aktuelle Daten, die die Gefährdung der Wildbienen illustrieren. Für Österreich fehlen aber die Untersuchungen", ergänzt Johann Neumayer, der als freiberuflicher Biologe aus Salzburg ebenfalls Teil der Expertengruppe ist. Hierzulande gebe es weder eine Rote Liste gefährdeter Bienenarten noch ein kontinuierliches Monitoring, wie das in Deutschland oder der Schweiz der Fall ist.

Die wirtschaftliche Bedeutung der Honigbienen kommt mit ihrer Anzahl. Die zigtausenden Individuen eines Staates können entsprechend viele Blüten anfliegen, was in großen Agrarmonokulturen hilfreich ist. "Honigbienen sind Haustiere. Ihre ökologische Bedeutung wird aber massiv überschätzt", betont Dötterl. "Viele Pflanzen werden ausschließlich von Wildbienen angeflogen. Selbst bei Kirsch- und Apfelbäumen sind die Wildbienen pro Besuch die effizienteren Bestäuber."

Hohe Spezialisierungen

Wildbienen – der überwiegende Teil lebt nicht in Staaten, sondern solitär – stellen dagegen die verschiedensten Ansprüche an ihre Ökosysteme. Sie benötigen ein artenreiches Blütenangebot, bringen oft hohe Spezialisierungen mit und sind auf geeignete Nistplätze und zum Teil auf passende Nestbaumaterialien angewiesen. Für Dötterl sind sie deshalb "ausgezeichnete Indikatoren für die Qualität von Ökosystemen".

Wie eng die Partnerschaft zwischen Wildbiene und Pflanze sein kann, illustriert der Biologe am Beispiel der Schenkelbienen und des Punktierten und Gewöhnlichen Gilbweiderich. Diese Pflanzen produzieren für ihre Bestäuber nicht Nektar als flüssige Lockspeise, sondern ein spezielles Öl. Die Schenkelbienen sind die einzigen Organismen, die dieses Öl sammeln.

"Einerseits nutzen sie das Fett als Nahrung. Andererseits beschmieren sie die Wände ihrer Brutzellen im Erdnest damit", beschreibt Dötterl, der mit Kollegen aus Halle in Deutschland diese Zusammenhänge erforscht hat. "Vermischt mit Enzymen ihres Speichels wird das Öl an den Wänden fest und zu einer Schutzschicht rund um die Brutzellen."

Um Bestäuber anzulocken, produzieren die Pflanzen einen Duftstoff, der dem Öl strukturell ähnelt und nur von den Schenkelbienen aus der Distanz wahrgenommen wird. Dötterl: "Das Geruchssystem ist auf diese eine Substanz spezialisiert. Andere Bienen nehmen sie nicht wahr."

Intensive Bewirtschaftung

Während Honigbienen durch das gestiegene Bewusstsein um ihre Wichtigkeit und einen neuen Trend zur Imkerei wieder Auftrieb bekommen, sind die Wildbienen laut den Auslandsstudien akut gefährdet. "Beim Ackerbau tragen die Pestizide wesentlich zu ihrer Dezimierung bei. Im Grünland ist es die intensive Bewirtschaftung, die ihnen den Lebensraum nimmt", erklärt Neumayer.

Um ihn zu erhalten, wären keine riesigen Flächen nötig. "Wenn ein Netzwerk an ökologischen Strukturen im Ausmaß von fünf bis zehn Prozent der Landfläche erhalten bleibt – etwa Wiesenränder und Straßenränder, die seltener gemäht werden –, würde das ein ausreichendes Blütenangebot bereitstellen", betont der Bienenexperte, der selbst auf eine sehr bekannte Wildbienengruppe spezialisiert ist – auf Hummeln.

Dicke Brummer

Eine ganze Reihe von Pflanzen profitiert von der Bestäubungsleistung der dicken Brummer, unter anderem Ölkürbisse. Neumayer konnte mit Kollegen in einer noch unveröffentlichten Studie zeigen, dass die Kürbisernte deutlich höher ausfällt, wenn mehr Hummeln in der Nähe sind.

Bei anderen wichtigen Nutzpflanzen wie Tomaten werden eigens gezüchtete Völker in den Glashäusern angesiedelt. Werden diese meist mediterranen Rassen nach getaner Arbeit ausgewildert, können sie zu Eindringlingen in lokalen Ökosystemen werden.

"Unser Ansatz wäre, dass man Bestäuber nicht extra kauft, sondern die Felder ökologisch so gestaltet, dass lokale Wildbienen ihr Werk verrichten können", sagt Neumayer.

Paradoxerweise ist ein passendes Umfeld für Wildbienen heute oft eher in der Stadt gegeben – dank Blütenpracht in Parks, unbewirtschafteter "Gstetten" und vielerlei Nistmöglichkeiten.

Neumayer: "Bei einer Untersuchung in der Stadt Salzburg – eigentlich kein Hotspot für Wildbienen – wurden in einer 900-Quadratmeter-Grünanlage 81 Bienenarten gezählt. Auf einer vergleichbaren Fläche mit Grünland und Wald waren es dagegen nur etwa 50." (Alois Pumhösel, 16.4.2020)