Angela Merkel (Imogen Kogge) hetzt im Sommer 2015 von einem Termin zum anderen, während sich immer mehr Flüchtlinge auf den Weg nach Deutschland machen.

Foto: ARD, RBB

Derzeit ist Angela Merkel natürlich mit Corona beschäftigt. Doch auch die Folgen der Flüchtlingskrise wirken in Deutschland noch nach. Am Mittwoch um 20.15 Uhr thematisiert die ARD die Geschehnisse des Sommers 2015 im Spielfilm "Die Getriebenen" nach Motiven des gleichnamigen Sachbuchs von Robin Alexander.

STANDARD: Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie das Angebot bekamen, die Kanzlerin zu spielen?

Kogge: Ich habe einen Schreck gekriegt und dachte: Ojemine, wie soll das werden? Jeder bei uns ist doch Merkel-Experte, da kann man sich nur ins Wespennest setzen. Wichtig war mir vor einer Zusage, das Buch zu lesen, mit dem Regisseur zu sprechen und zu schauen, ob das seriös ist. Einen Film, der parodistisch oder unfair dahergekommen wäre, hätte ich nicht gemacht. Als das geklärt war, habe ich zugesagt.

STANDARD: Wie ist Ihr persönlicher Blick auf Angela Merkel?

Kogge: Ich unterstütze ihre Partei nicht, aber ich fand ihre unaufgeregte, nachdenkliche Art und ihr verhaltenes Auftreten immer sympathisch.

STANDARD: Haben Sie Gemeinsamkeiten mit ihr?

Kogge: Ich bin ein impulsiver Mensch, der viel von der Fantasie gesteuert wird, diese klare Strukturierung, dieses Analytische, Wissenschaftliche liegt mir nicht so. Vermutlich haben wir beide ein wenig Gewichtsprobleme, aber sonst kenne ich sie ja nicht, ich habe Angela Merkel noch nie persönlich getroffen. Die Figur, die ich mir zusammengebastelt habe, lehnt sich natürlich an Erkennungssignalen an, wie der Kleidung, der Art sich zu bewegen, aber sie ist fiktiv und meiner Fantasie entsprungen.

STANDARD: Aber Sie haben sie vermutlich eingehend studiert.

Kogge: Ja natürlich, ich habe viele Dokumentationen angesehen und ihre Auftritte mit besonderem Interesse verfolgt. Sie ist mir inzwischen seltsam vertraut. Ich denke, ah, diese Kette hat sie um. Oder ich registriere, wenn die Haare mal nicht so gut sitzen, wie sie etwas sagt. Sie ist wie eine Bekannte, jemand, mit dem ich ein Stück des Weges gemeinsam ging.

STANDARD: Sagt die Kanzlerin auch mal "Scheiße"?

Kogge: Meine Kanzlerin sagt auch mal "Scheiße", auch "Kacke". Sie ist ja auch nur ein Mensch.

STANDARD: Fanden Sie es schwierig, sie zu spielen?

Kogge: Ich fand es nicht leicht. Der äußerliche Bewegungskanon ist eine Sache, fast schwieriger fand ich es, eine Souveränität in den Texten zu finden, die Inhalte glaubwürdig zu transportieren. Allein das Durchdringen dieser hochkomplizierten Zusammenhänge ist richtige Arbeit.

STANDARD: Würden Sie gerne mal einen Tag mit Merkel tauschen?

Kogge: Nein niemals. Es ist ungeheuer, was da alles bewältigt werden muss. Ihr Tag ist komplett durchgetaktet, in einem hohen Tempo, und dauernd Krisen und Anfeindungen, dafür bedarf es ganz besonderer Menschen.

STANDARD: Hat sich Ihr Blick auf Politik durch den Film verändert?

Kogge: Im Film, auch wenn er fiktiv ist, wird schon deutlich, wie eingebunden und wie strapaziert Spitzenpolitiker sind. Dauernd gibt es Telefonschaltungen und Konferenzen, selbst auf dem Weg zum Fahrstuhl wird noch gebrieft. Keine Minute wird vergeudet, es gibt eigentlich nur mal einen Rückzug im Waschraum oder abends auf dem Sofa ...

STANDARD: ... mit Ehemann Joachim Sauer.

Kogge: Ja, und da spricht man auch über Politik. Mir kam das vor wie Trapezschwingen ohne Netz. Sicher, es gibt auch andere Tage, die nicht so stressig sind, aber diese Phase im Sommer 2015 muss sehr angespannt gewesen sein.

STANDARD: Haben Sie Merkels Entscheidung, die Grenzen nicht zu schließen, gutgeheißen?

Kogge: Sie war aus humanitären Gründen alternativlos. Ich hoffe, dass der Film das vielen Menschen deutlich macht. Ich war sehr berührt von ihrer Entscheidung, und bin es noch, auch wenn große Probleme kamen. Und wir sind ja nach wie vor mittendrin.

STANDARD: Gezeigt wird auch, wie Merkel beim Besuch einer Flüchtlingsunterkunft im sächsischen Heidenau ausgepfiffen wurde. Wie ging es Ihnen dabei?

Kogge: Das waren harte Szenen. Mein lieber Scholli, das ist brutal, wenn so ein Hass, fast schon eine Mordlust auf einen niederprasselt. Es sind im Film ja auch Originalszenen verarbeitet, und ich nehme an, dass sie das natürlich sehr verstört hat. Und Merkel wurde ja tatsächlich danach klarer und schärfer gegen den Hass von rechts und entschiedener in der Aufklärung, warum wir Flüchtenden helfen müssen.

STANDARD: Das macht Merkel im Film auch dem deutschen Innenminister Horst Seehofer (gespielt von Josef Bierbichler) klar. Fast hat man den Eindruck, es habe Ihnen Spaß gemacht, ihn zur Schnecke zu machen.

Kogge: Es wird ja sichtbar, dass die Kanzlerin sich wochenlang um eine Lösung bemüht und versucht, handlungsfähig zu bleiben, während Sigmar Gabriel (der damalige SPD-Parteivorsitzende) und Seehofer sie bekämpfen. Kein Wunder, dass sie dann irgendwann mal deutlicher wird und erklärt, man solle sie nicht für blöd verkaufen. Ich muss sagen, das hat mir als Schauspielerin nach sechs Wochen Dreharbeiten schon auch mal ganz gut getan. (Birgit Baumann, 15.4.2020)