Die Österreicherinnen und Österreicher haben von Kanzler Sebastian Kurz, Gesundheitsminister Rudolf Anschober und Innenminister Karl Nehammer eine gute Betragensnote erhalten (Kogler, Anschober und Nehammer erstreckten dieses Lob auch auf die "in Österreich Lebenden"). Jedenfalls seien alle so diszipliniert gewesen.

Tatsächlich hat sich die ganz große Mehrheit vernünftig verhalten. Das entspringt wahrscheinlich einer pragmatischen Grundeinstellung ("Was sein muss, muss sein"), zweifellos auch einem gewissen Obrigkeitsdenken, lässt aber jedenfalls einen gewissen Optimismus für die "zweite, schwierigere Etappe" (Minister Anschober) und die vermutlich dritte oder vierte zu. Der Rot-Kreuz-Chef Gerry Foitik, ein wichtiger Berater der Regierung, hat von zehn bis 18 Monaten weiterer Einschränkungen gesprochen.

Vizekanzler Werner Kogler und Bundeskanzler Sebastian Kurz.
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Das Problem für die Regierung wird sein, die Zustimmung und das Vertrauen der Bevölkerung über diese Distanz zu erhalten. Viel, eigentlich alles hängt davon ab, wie sehr es der Regierung gelingt, die negativen wirtschaftlichen Folgen der Krise – Arbeitslosigkeit, Existenzverluste für Kleinunternehmen – halbwegs abzuwenden. Irgendwann wird Kurz auch in die Versuchung kommen, die außergewöhnliche Situation in Neuwahlen und einen Griff nach einer absoluten Mehrheit umzumünzen.

Autoritäre Scheinlösungen

Österreich hat bisher mindestens 50 Jahre erstaunlicher Prosperität und gesellschaftlicher Stabilität erlebt (und erarbeitet). Das ist jetzt in Gefahr und fördert die Bereitschaft, sich autoritären Scheinlösungen zu unterwerfen. Der gewaltige Zuspruch zum "Anschluss" und zur nationalsozialistischen Diktatur mit all ihren monströsen Verbrechen kam (auch) aus dem Erleben einer furchtbaren Wirtschaftskrise und einer Arbeitslosigkeit von bis zu 35 Prozent.

Die Grundlage zum Erfolg der Zweiten Republik wurde unter anderem durch die Sozialpartnerschaft gelegt, deren Prinzip es war, zäh auszuhandeln, wie der Wohlstandszuwachs verteilt werden sollte, und den anderen leben zu lassen. Das – und die begleitende große Koalition – endete in struktureller Starre und im Aufkommen des Rechtspopulismus.

Die jetzige türkise Regierungspartei hat einen Horror vor der Sozialpartnerschaft und strebte bis vor kurzem ganz klar einen neokonservativen Umbau an, zum Beispiel im riesigen Sozialstaatskomplex. Corona hat die Voraussetzungen dafür wahrscheinlich radikal geändert. Die riesige Staatsintervention, zu der die Regierung durch den Lockdown gezwungen wurde, kann Türkis natürlich auch fast allein, nur mit grüner Assistenz, durchziehen. Vielleicht sind auch die Gewerkschaften und die Beschäftigten im öffentlichen Sektor so hilflos geworden, dass die Sozialpartnerschaft endgültig obsolet geworden ist. Aber die "schlimmste Rezession seit der Großen Depression (der 30er-Jahre)", von der der Weltwährungsfonds spricht, wird wohl nicht in einem türkisen Alleingang zu meistern sein. Es wird daher zu beobachten sein, ob in Österreich wieder eine konsensuale Politik möglich ist.

Denn wenn es wieder eine Weltwirtschaftskrise gibt, könnte es mit der Disziplin der Österreicher rasch vorbei sein. (Hans Rauscher, 15.4.2020)