Da dieser Tage alle immer von der sogenannten Entschleunigung reden, habe ich mich gefragt, wie es diesbezüglich bei mir, ein paar Wochen später, aussieht.

So viel ist jetzt schon sicher: Von Entschleunigung keine Spur. Ganz im Gegenteil. Ich habe in den letzten Wochen von Montagmorgen bis Freitagnacht und auch am Wochenende mit über 100 Schülerinnen und Schülern, Eltern, Kolleginnen und Kollegen kommuniziert. Ich habe per E-Mail, per Moodle, per Messenger alle möglichen Fragen beantwortet und zwischenzeitlich die Technik verflucht.

Ich habe versucht, mal mehr, mal weniger erfolgreich, zeitnahes Feedback auf Aufgaben zu geben und muss mich selbst zwingen, nicht 24/7 erreichbar zu sein. Ich habe lange Briefe an die Eltern geschrieben, da es mir wichtig scheint, diese – bei 10- beziehungsweise 14-jährigen Kids – zumindest zu informieren, was da gerade so passiert im Fernunterricht. Ich habe nette Antworten bekommen und wiederum auf diese geantwortet. Ich habe den Eltern gesagt, dass ich mir wünsche, sie mögen möglichst wenig vom Unterricht mitbekommen, um sie nicht zusätzlich zu belasten.

Mut zusprechen und Spieletipps

Ich habe den Kindern neue Passwörter zugeschickt, weil sie ihre vergessen hatten oder krank waren. Ich habe von kaputten Handys und Laptops gehört. Ich habe Kids beruhigt, die sich zurecht geärgert haben, dass jede Lehrerin und jeder Lehrer etwas anderes will, andere Tools benützt und dass es keine schulinterne Regelung gibt. Ich habe Kindern und Eltern versichert, dass es nicht schlimm sei, wenn Unterrichtsmaterialien in der Schule vergessen wurden und sie diese nicht extra holen müssen. Ich habe mit Müttern und Vätern kommuniziert, die mit der Situation komplett überfordert sind, weil sie zuhause drei Kinder betreuen, daneben arbeiten oder alleinerziehend sind. Und manchmal alles zusammen.

Ich habe mit Menschen gesprochen, die gerade nicht die technischen Voraussetzungen haben, digital lernen zu können. Ja, auch das gibt es. Ich habe mit Kindern geschrieben, die gut mit alledem zurechtkommen, die ihre Aufgaben selbstständig erledigen können. Ich habe Kindern, die Angst haben, Mut zugesprochen. Ich habe von Eltern gehört, die finden, dass es zu viele Aufgaben in allen Fächern wären. Ich habe Kindern geantwortet, denen die Schule fehlt, die nicht wissen, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollen. Ich habe auch von Kindern gehört, die zu wenige Aufgaben haben und ihnen Bastel- und Spieletipps geschickt. Die Seite fragfinn.de kann ich für die Kleineren übrigens sehr empfehlen.

Foto: EPA/DEAN LEWINS

Ich habe mit Kindern kommuniziert, denen es zuhause laut eigenen Angaben sehr gut geht, und mit manchen, die mir sagen, dass sie sich nicht auf das Lernen konzentrieren können. Und ich habe – ja, sogar im Gymnasium – von manchen bislang noch überhaupt nichts gehört und meine Vermutungen, warum dem so ist. Ich habe Angst, dass wir diese Kinder verlieren.

Herzensbildung auch nach Corona

Bei alledem habe ich das Glück, einen Job zu haben. Mein Respekt für Eltern und Erziehungsberechtigte, die neben ihren Alltagssorgen und beruflichen Tätigkeiten auch ihre Kinder betreuen, ist enorm.

Ich wünsche mir, dass Herzensbildung, gegenseitiges Verständnis und soziale Kompetenz – auch nach Corona – die wichtigsten Werte in unserer Gesellschaft sind. Oder wie eine Kollegin in einem E-Mail gerade schreibt: "Bitte denkt daran, dass unsere Schülerinnen und Schüler nicht nur froh sind, dass sie keine Schule haben, sondern ich habe einige in den letzten Tagen erlebt, die sich auch Sorgen machen. Wir wissen nicht, wie viele Eltern arbeitslos werden, welche Großmütter oder Großväter ins Spital kommen und so weiter. Also ganz real, haben manche unserer Schülerinnen und Schüler vielleicht auch eine schwere Zeit vor sich."

Und abschließend noch zur Entschleunigung: In einer Hinsicht merke ich sie nun doch. In all meinem Tun komme ich ungewohnt langsam voran. Vielleicht, weil sich manchmal die Fassungslosigkeit meldet, ich innehalten muss und mich frage, in welch unglaublichen Zeiten wir da gerade leben. (Jutta M.*, 16.4.2020)

Jutta M.* (Pseudonym, Name der Redaktion bekannt) ist 36 Jahre alt und unterrichtet seit acht Jahren an der AHS in Wien.

Weitere Beiträge im Blog