Normalerweise müsste man an dieser Stelle jetzt mahnen und warnen. Weil das, was man da derzeit auf Straßen und Wegen sieht (und hört), auch ein bisserl ein Wahnsinn ist. Und auch wenn da derzeit Läuferinnen und Läufer unterwegs sind, deren Anblick (nicht nur) mir Fremd-Fußschmerzen und Fern-Gelenksbeschwerden macht, werde ich den Teufel tun, irgendjemandem zu raten, lieber zuzuwarten und ein Paar vernünftige Laufschuhe zu kaufen. Oder sich ein bisserl Lauf-ABC zu Gemüte zu führen. Oder zu überlegen, ob man beim Laufen wirklich so viel (und genau das) anhaben muss, was man beim Spazierengehen und Bankerlsitzen trägt. Weil: "Normalerweise" ist nicht. Noch lange nicht.

Foto: thomas rottenberg

Eine kleine Anmerkung vorweg: Nein, die Menschen, die auf diesem und allen anderen Fotos dieser Kolumne zu sehen sind, gehören nicht zur "So bitte nicht"-Kategorie. Definitiv nicht und ganz im Gegenteil. Aber ich halte nichts davon, irgendwen exemplarisch als Worst-Practice-Beispiel vorzuführen – schon gar nicht, wenn er oder sie es schlicht und einfach nicht besser weiß. Wissen kann. Und versucht, das Richtige zu tun.

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Denn dass gerade – dem Augenschein und den Erzählungen nach überall auf der Welt – so gut wie alles und jede/r rennt, ist gut. Verdammt gut. Aus 1.001 Gründen – und auch wenn wir uns alle dafür einen anderen Auslöser gewünscht hätten oder wünschen würden.

Nur: Wünschen kann man sich vieles. Doch während Wünsche nach einer anderen Vergangenheit sinnlos sind, sind Wünsche nach vorne, in die Zukunft, manchmal nicht ganz fruchtlos. Erstens, weil Hoffnung immer gut ist. Und zweitens, weil man manchmal sogar etwas dafür tun kann, dass Wünsche vielleicht ein bisserl wahr werden.

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Etwa im Fall des omnipräsenten "Das sollten wir uns nach der Krise behalten"-Satzes: Klar wäre es super, wenn die Laufwelle Teil der "neuen Normalität" (was für ein Wort!; Anm.) bliebe. Wenn die tausenden Frauen und Männer, die derzeit gegen Ennui und Lagerkoller antreten und in ausgelatschten Sneakern, mit Daunenjacke, Schal und Sofa-Trainingshose und – eh klar – immer voll auf die Ferse, mit ein- oder ausknickenden Beinen und ohne je von Lauftechnik oder Laufeffizienz gehört zu haben, herumjoggen oder sonstwie sporteln, das in zwei, drei oder vier Wochen auch noch tun. Weil sie die Freude am Laufen entdecken (oder irgendeiner anderen Bewegung) – und tatsächlich spüren, dass sie sich damit etwas Gutes tun. Nicht bloß gesundheitlich.

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Nur: Dafür muss man dann doch etwas tun. Genau weil die Leute rennen, wie sie rennen: So viele Fragen, wieso ich renne, "obwohl das doch wehtut", wieso "das bei mir so elend ausschaut, wie es sich anfühlt", wieso "ich nach 25 Minuten nicht mehr kann, obwohl ich doch jeden zweiten Tag renne und immer brav versuche, schneller zu werden" habe ich noch nie bekommen. Und Sätze wie "Welcher ist der beste Schuh", "Welche Uhr brauche ich" und "Was soll ich anziehen" kommen häufiger denn je. Bezeichnenderweise derzeit weniger in Laufforen auf Social Media als persönlich und direkt: Viele "Newbies" sind teils so new, dass sie die Gruppen noch gar nicht entdeckt haben.

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Ein paar Antworten kann ich mittlerweile schon geben. Erstens: Laufen soll, darf und muss nicht wehtun. Klar: Im Wettkampf oder wenn man sich ganz bewusst fordert, gehört das ein bisserl dazu. Aber grundsätzlich: Nein, Schmerzen sind nicht "part of the game".

Und schmerz- und beschwerdefreies Laufen ist keine Geheimwissenschaft. Das kann, soll und muss man lernen. Es hängt recht unmittelbar mit dem "wieso es bei mir so elend aussieht" und dem Gefühl, trotz eifrigsten Gerennes nicht besser zu werden, zusammen. Dazu gleich mehr.

Foto: thomas rottenberg

Zur Frage nach dem "besten Schuh" werde ich demnächst wieder etwas Längeres über jene Schuhe schreiben, die sich derzeit bei mir für Tests stapeln und mit denen ich auch "freiwillig" laufe. Der zentrale Satz aber lautet: Es gibt keinen "besten Schuh", und es ist auch kein "schlechter Laufschuh" am Markt (ich rede vom Fachhandel) – aber es gibt tausend Schuhe, die nicht zu meinem Fuß, meiner Beinachse, meinem Laufstil, meinen Distanzen und Geschwindigkeiten oder dem Untergrund passen. Die aber gerade für Sie perfekt sein können.

Die Krux an der Sache: Gerade bei Anfängerinnen und Anfängern spielt das eine weit größere Rolle als bei erfahrenen Läuferinnen und Läufern. Weil wir (ich bin jetzt mal so anmaßend) das, was ein guter, weil individuell passender Schuh bei Ungeübten angeblich korrigiert, durch richtige Technik gar nicht oder weit weniger als Problem erleben.

Foto: thomas rottenberg

Uhr? Outfit? Musik? In Wirklichkeit absolut irrelevant, aber ein ewiges, weites Feld, über das ich auch gerne, ausufernd und stundenlang reden und schwadronieren kann – und wo es ebenso keine absolute Wahrheit gibt.

Oder vielleicht doch: Niemand braucht zum Laufen eine Uhr. (Nein, auch kein Handy mit Tracking-App). Aber wenn man etwas (egal was) systematisch tut, macht es Sinn zu dokumentieren. Dafür genügt aber die billigste und einfachste Uhr, egal welcher Marke – oder ein bluetoothfähiges Smartphone mit einer Gratis-Laufapp und einem bluetoothfähigen Pulsmessgurt. Bei Brustgurten ist man ab etwa 30, bei optischen Gurten am Arm oder Bein ab 70 Euro dabei. Alles, was darüber hinausgeht, ist Spielerei.

Foto: thomas rottenberg

Musik? Geschmacksache. Ich laufe einsame Läufe in "unaufregenden" Regionen mittlerweile wieder gerne mit Musik. Auch weil ich mir den Luxus einer sauteuren Uhr leiste, die unter anderem auch Musik "kann" – ich also weder einen MP3-Player noch ein Handy mithaben muss. Das habe ich bei einsamen Läufen abseits der "beaten tracks" dennoch dabei. Im Flugmodus und als reines Notfalltool. Im Wald höre ich aber lieber Vögel und Wind als Musik. Und dort, wo viele Leute unterwegs sind oder Verkehr ist, ist haben Spotify & Co Pause. Mit Gründen.

Foto: thomas rottenberg

Anziehen? Weniger. Viel weniger. Gerade Laufanfängerinnen und -anfänger erkennt man an zu viel Gewand. Menschen, die Läufer bisher nur aus der Zuschauerperspektive wahrnahmen, denken nie daran, dass man durch Bewegung Wärme produziert: Wo sie mit Daunenmantel, Schal und Handschuhen auf der Parkbank Frischluft tanken, renne ich "kurz/kurz" (kurze Hose und kurze Ärmel) vorbei – und höre dann ein "Der holt sich ja den Tod!" hinter mir. Mitnichten!

Die Faustregel lautet: Wenn man am Anfang ein bisserl (!) friert, ist man ziemlich sicher genau richtig angezogen. Gefährlich wird es halt, wenn man nassgeschwitzt mit dem "Nachheizen" aufhört. Also stehen bleibt und auskühlt. Am besten noch im kalten Wind – aber es genügt auch, verschwitzt im Auto zu sitzen und die Klimaanlage einzuschalten: So wird man krank.

Foto: thomas rottenberg

Die Balance zwischen "gerade richtig" und "zu wenig" muss aber jeder und jede selbst finden. Und wenn Höhenmeter oder wechselnde Wetterbedingungen möglich sind, ist eine umgewickelte Jacke oder ein kleiner, nichthüpfender (Trail-)Rucksack mit Wechselzeug weder peinlich noch "übertrieben" – es gilt aber eines zu beachten: Wer schwitzt, schwitzt auch die um die Hüfte gewickelte Jacke oder das Leiberl im Rucksack nass. Also Plastiksackerl nicht vergessen: "Learning by einfahring" gehört zwar dazu, aber bei der Gesundheit hört der Spaß auf.

Foto: thomas rottenberg

Ach ja: Baumwolle ist pfui. Sie saugt sich mit Schweiß an – und behält ihn. Funktionstextilien geben die Feuchtigkeit ab. Ja, das bedeutet in der Regel immer noch (es gibt schon ein paar Alternativen), dass man kaum Naturfasern am Leib hat. Wer da zu hochwertiger Ware greift, tut zumindest ein bisserl was in puncto Nachhaltigkeit. Gute Funktionssachen halten praktisch ewig – trotz intensivster Verwendung: Ich laufe (und radle) zum Teil mit Gewand, das mehr als fünf oder sechs Jahre alt ist. "Schlaue" Labels haben deshalb auch Designlinien, die "zeitlos" sind – auch wenn die Leute dann vielleicht statt fünf nur drei Hosen daheim haben.

Foto: thomas rottenberg

Zugegeben (und off topic): Bei mir stimmt Letzteres so nicht ganz. Hersteller legen Testmaterial manchmal Gewand bei. Weil sie wissen, dass man ihr Logo so öfter und besser sieht oder eben erkennt. Das ist natürlich eine Gratwanderung – aber auch bei selbstgekauften Sachen werde ich dann gefragt: "Was verwendest du da?" Zurückgeben ist bei PR-Samples kaum vorgesehen: Einen verdreckten Laufschuh mit Gebrauchsspuren kann man weder ins Geschäft noch einem anderen Tester schicken.

Und eine – bei Rad- und Triathlonzeug auch noch ohne Unterhose – getragene Turnhose oder Shirts, in die man so richtig reingeschwitzt hat … Lassen wird das.

Mein Kodex, das nur der Komplettheit halber, lautet: Zeug, das ich nicht selber verwende, sondern das in fast neuwertigem Zustand dann herumläge, bekommen Leute, die sich teure Ausrüstung nicht leisten können. Schuhe sowieso, Gewand – soweit zumutbar – auch. Aber generell: Verkauft wird nicht. Wie das andere handhaben, will ich hier nicht beurteilen.

Foto: thomas rottenberg

Was hier jetzt aber noch fehlt, ist der zentrale, der wichtigste Teil: Lauftechnik. Da überlasse ich das Feld gerne einer echten Expertin: Sandrina Illes. Weniger, weil sie unter anderem Weltmeisterin im Duathlon (Laufen, Radfahren, Laufen) und Staats- und sonstige Meisterin in etlichen Laufdisziplinen ist, sondern weil ihr Brotberuf (in Österreich können auch Weltklasseleichtathletinnen alleine vom Sport de facto nicht leben) die professionelle Laufanalyse ist.

Laufanalyse bedeutet genau das, was der Name sagt: die Analyse des Laufes – und das Wegtrainieren von Fehlern im Bewegungsablauf. Egal ob sie durch Fuß- oder Beinfehlstellungen, falsch eingelernte Abläufe oder "falsche" Schuhe verursacht wurden.

Foto: ©https://www.sandrina-illes.at/

Den derzeitigen Einfach-losrennen-Boom, schreibt sie, "finde ich super. Ich habe ganz genauso zu laufen begonnen." Die Krux sei – und auch da spreche sie aus Erfahrung – eben die Verletzungsgefahr. "Da ist man versucht, viel zu schnell viel zu viel zu laufen, das hält der Bewegungsapparat nicht durch." Auch wenn man grundsätzlich nicht unfit, aber eben in dieser Sportart ungeübt sei.

Illes' Rat: nicht übertreiben. "Da würde ich – genauso wie beim kompletten Sporteinsteiger – tatsächlich mit jeden zweiten Tag 10–15 Minuten Traben anfangen, Woche zwei dann 15–20 Minuten und so weiter. Kombination mit anderen Sportarten ist ausdrücklich erwünscht. Da kann man unter anderem Stabilisationstraining mit Eigengewichtsübungen zu Hause einbauen oder aufs Radfahren setzen."

"Man sieht dann nach zwei bis drei Wochen schon, ob man noch jedes Mal starken Muskelkater bekommt oder sich das Ganze gut entwickelt. Nach einem Monat einmal pro Woche 60 Minuten locker laufen würde ich als absolutes Maximum ansehen, die anderen Läufe sollten dann maximal 40 Minuten lang sein."

Foto: thomas rottenberg

Dem Laufschuhfetischismus steht sie skeptisch gegenüber: "Auch wenn das viele ungern hören, aber auf lange Sicht ist es sinnvoller, den Fuß, den ich zum Laufen natürlich sehr stark brauche, gleich zu Beginn entsprechend meinen (noch geringen) Laufumfängen zu kräftigen und zu belasten, als auf 'Dämpfungswunder' zu setzen, die mich nie aus dem 'Schlurfen' und 'Auf-die-Ferse-Knallen' herausholen.

Ich habe immer wieder beobachtet, dass das eigene Körpergefühl ('Welcher Schuh passt mir richtig gut?' und 'Mit welchem rolle ich gut, schnell, mühelos ab?') besser funktioniert als das, was als 'guter Trainingsschuh' vermarktet wird."

Das Problem sei klar: "Es gibt gute wie schlechte Beratung, und es gibt auch immer noch Sportler, die sich zum Kauf von zu kleinen oder sonst wie unpassenden Schuhen hinreißen lassen, nur weil die Farbe oder der Rabattpreis verlockend sind."

Foto: ©https://www.sandrina-illes.at/

Sandrinas Mantra lautet ganz klar: lieber gute Technik, also ein "sauberer" Laufstil, als eine "Krücke" – also ein Schuh, der die Fehler zu korrigieren vorgibt.

Um Fehler im Bewegungsablauf überhaupt zu erkennen, braucht man aber eine Analyse. Das geht – normalerweise – nur persönlich. Face to Face. Oder eben face to feet. Derzeit geht das allerdings nicht. Darum bietet Illes mittlerweile Onlineanalysen an. "Ich habe viele Jahre Erfahrung mit Bewegungsanalysen. Die meisten Probleme wiederholen sich, und man bekommt einen guten Blick für 'Baustellen' am Körper und den Zusammenhang mit der Lauftechnik. Manche Trainingsaufgaben sind so einfach, dass man sie problemlos über Onlinekontakt mitgeben kann."

Aber natürlich habe das Grenzen: "Was man online nicht machen kann, ist eine klinische Untersuchung, also Einschätzung der Bänderstabilität, Messung der Fußfunktion, und auch das Vorzeigen und direkte Korrigieren der Lauftechnik ist nicht möglich. Dennoch kann man viele, viele Fragestellungen, durch Videobeispiele unterstützt, gut beantworten, und es gibt ja auch Läufer, die ohnehin viel zu weit weg wohnen, um auch in Nicht-Corona-Zeiten vorbeizukommen."

Foto: ©https://www.sandrina-illes.at/

Aus der Analyse ergibt sich dann natürlich das, was man üben muss: Lauftechnik. Ich habe Sandrina (so ziemlich alles, was ich über Lauftechnik weiß, stammt von ihr) öfter als einmal verflucht, wenn sie mir Übungen verordnete, mit denen ich ein paar angeborenen oder erworbenen Fehlstellungen, Problemen und angelernten Bewegungsabläufen Paroli bieten sollte: Das "Ministry of Silly Walks" (meist "Lauf-Abc" genannt) schaut meist ebenso idiotisch wie leicht aus, ist aber oft gerade in den Details tricky und mühsam. Aber es wirkt Wunder: Mir wurde öfter als einmal von Ärzten gesagt, dass ich "mit diesen Füßen nie länger als 15 Minuten schmerzfrei laufen" können würde – dann wurden Einlagen verschrieben.

Heute laufe ich – einlagenlos und auch mit "neutralen Schuhen" – doch eine Spur länger als 15 Minuten.

Foto: thomas rottenberg

Anleitungen zu Lauftechnik und Lauf-Abc finden sich im Netz zuhauf. Blöderweise schaut einem "das Netz" aber beim Trainieren nicht auf die Füße. Betreute Trainingsgruppen sind da natürlich besser, derzeit ebenso wie gecoachtes One-on-one-Training ein No-Go. Aber das wird nicht immer so sein.

Abgesehen davon, so die Spitzensportlerin, habe sie ja auch ein Buch geschrieben: "Duathlon – Erfahrungen einer Weltmeisterin". In dem finden sich auch viele Informationen zu und über Lauftechnik. Und mit einem Schmunzeln: "Ich verschicke es gerne mit individueller Widmung und/oder Signatur."

Foto: Buchcover

Und was sagt Illes zum aktuellen Laufboom? "In den ersten Tagen hat es auf den typischen Trainingsrouten nach einer riesigen Sportförderungsmaßnahme ausgesehen. Das täuscht sicherlich, weil jetzt alle, die sonst im Fitnessstudio oder auf Sportplätzen trainieren, auf den verbleibenden Routen laufen, Rad fahren, inlineskaten. Zudem gibt es viele, die derzeit nicht arbeiten können. Dass diese vermehrt die freigewordene Zeit für Sport nutzen, ist super. Vielleicht kann man das in Post-Corona-Zeiten beibehalten und der Bewegung eine gewisse Priorität einräumen. Ob das so sein wird? Ich denke, das hängt auch davon ab, wie sich unsere Welt in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren ökonomisch und gesellschaftlich verändern wird."

"Ich denke, das Angebot an Dienstleistungen, das Know-how, ist genauso vorhanden wie die Infrastruktur. Das Problem ist eher die Zeit: Viele Menschen sind im Berufsleben so eingebunden, dass schlichtweg Zeit und Energie für Bewegung fehlen. Das Bedürfnis wäre augenscheinlich." (Thomas Rottenberg, 16.4.2020)

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Wenn einem ein Marathon "passiert"

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