"Tiger King" – die jüngste Guilty-Pleasure-Serie auf Netflix.

Foto: APA/AFP/Netflix US

Millionen haben in den vergangenen Wochen die Netflix-Dokuserie "Tiger King" verfolgt und sich vermutlich dieselbe Frage gestellt: "Was zur Hölle sehe ich mir da gerade an?" Um dann festzustellen: "Verdammt, ich kann nicht aufhören, das zu schauen." Es ist wie mit der schnulzigen Arztserie, der weihnachtlichen Romcom oder dem 80er-Jahre-Italopop – wir haben alle dieses eine Genre bei Serien, Filmen oder Musik, für das wir uns ein bisschen genieren. Dabei können uns die sogenannten Guilty Pleasures guttun. Nur sollten wir aufhören, uns dafür zu schämen.

Die Psychologie dahinter

Als Guilty Pleasure bezeichnet man unter anderem Filme, Serien oder Lieder, die als nicht besonders hochqualitativ gelten, von denen man aber trotzdem nicht genug bekommen kann. Das sorgt für ein schlechtes Gewissen. Denn statt "King of Queens" in der hundertsten Wiederholung zu schauen, könnte man ja auch diesen drei Kilometer langen Hintergrundartikel über die Arbeitsbedingungen von Amazon-Lieferanten lesen. Und anstatt die größten Hits von Al Bano & Romina Power im Dauerloop zu hören, könnte man Schostakowitsch auflegen. Sprich: Man könnte die Zeit hochwertiger nutzen und das Hirn fordern. Aber genau davon brauchen wir gelegentlich eine Pause. Das Hirn muss ab und zu im Leerlauf fahren dürfen, und das geht nun einmal hervorragend bei seichter Unterhaltung.

Kleine Gewissensbisse tragen laut Psychologen dazu bei, dass man eine größere Befriedigung empfindet. Es ist wie bei dem Stück Schokolade, das man isst, obwohl man sich eigentlich vorgenommen hat, nur mehr absolut gesunde Sachen zu essen. Es schmeckt besser, gerade weil man es sich verboten hat. Aber natürlich bleibt es nicht nur bei einem Stück, und auf Netflix, Amazon Prime, Spotify und Co bleibt es nicht nur bei einer Serienfolge oder einem Lied. Die Konsequenzen von zu viel Schokolade machen sich mit gesundheitlichen Problemen bemerkbar. Wer wiederum häufig Doku-Soaps oder Reality-Serien schaut, fürchtet damit seinem Ansehen bei Freunden oder Kollegen zu schaden. Die schauen "Germany's Next Topmodel" zwar auch, geben es aber aus demselben Grund nicht zu.

Das Problem an der Sache: Diese Schuld kann auch dazu führen, dass man davon ausgeht, nur wenig Selbstkontrolle zu haben. Das wiederum kann uns dazu bringen, immer mehr und mehr von den Inhalten zu konsumieren, für die man sich schuldig fühlt. Weil ohnehin schon alles egal ist. Das haben vor einigen Jahren Wissenschafter herausgefunden. Sich ein bisschen schuldig zu fühlen kann kurzfristig also zwar den Genuss steigern, langfristig aber schaden.

Guilty Pleasures in Profile auslagern

Wie können Streamingdienste da helfen? Wer nicht ständig in Versuchung geraten will, sich jeden Abend den vermeintlichen Trash reinzuziehen, sondern ab und zu wohldosiert einen Nachmittag damit zu verbringen, sollte, sofern möglich, eigene Profile dafür einrichten. Die meisten Streamingdienste schlagen Nutzern weitere Inhalte, basierend auf ihren bisherigen Gewohnheiten, vor. Indem man ein eigenes Profil nur für die sogenannten Guilty Pleasures anlegt und nur darüber schaut, bekommt man die Vorschläge im "Normalprofil" dann nicht mehr so oft präsentiert. Aus den Augen, aus dem Sinn.

Netflix erlaubt bis zu fünf Profile pro Account. Auf Amazon Prime ist das erst seit kurzem möglich. Zusätzlich zum Standardprofil kann man fünf weitere Profile anlegen. Allerdings ist das derzeit nur in einigen Ländern nutzbar, Österreich ist noch nicht dabei. Hier muss man noch etwas warten. Beim Musikstreamingdienst Spotify gibt es zwar keine eigenen Profile. Aber immerhin kann man eine private Session starten. Die Lieder, die man dann hört, werden laut dem Dienst nicht in die Empfehlungen einbezogen, und Follower können nicht sehen, was man sich anhört.

Schluss mit der Schuld

Letztendlich sollte man sich jedoch nicht für den eigenen Film- oder Musikgeschmack schämen. Wenn man sich ab und zu mit seichten Komödien oder dramatischen Arztschnulzen vom Alltag ausklinken will, kann man das mit gutem Gewissen tun. Niemand schaut nur Arte-Dokus, hört nur Opern und liest nur die "New York Times" (oder den STANDARD). Das belegen schon die Einschaltquoten von Reality-Fernsehen. Und wer, ohne sich schuldig zu fühlen, ab und zu den Guilty Pleasures frönt, kann ihnen laut Wissenschaftern auch öfter widerstehen. (Birgit Riegler, 17.4.2020)