Am Mittwochnachmittag, 15.35 Uhr, war es endlich so weit: In Begleitung bewaffneter Sicherheitsleute kam ein Lkw aus Wien in der Innsbrucker Klinik an. An Bord eine Ladung, die in Zeiten wie diesen derartig beschützt werden muss: 35.000 Stück medizinische Schutzmasken der höchsten Norm FFP3. Fast vier Wochen intensiver Verhandlungen und Interventionen gingen diesem Moment voraus. Diese zeigen: Das Gesundheitswesen steht vor gravierenden Nachschubproblemen, auch wenn das Österreichische Rote Kreuz nach wie vor beteuert, dass die Versorgung zumindest kurzfristig gesichert sei.

Der Moment der langersehnten Ankunft von 35.000 Schutzmasken in der Innsbrucker Klinik. Dass zum Transport bewaffneter Schutz nötig ist, liegt an der angespannten Situation am Weltmarkt.
Foto: Tirol Kliniken

"Aus einem Nachfrage- wurde ein Anbietermarkt", erklärt Tirol-Kliniken-Geschäftsführer Stefan Deflorian. Die Abläufe erinnerten an den Wilden Westen, schüttelt der Spitalsmanager den Kopf. "Sehen Sie das?", sagt er mit einem Fingerzeig auf sein teils ergrautes Haupthaar. "Das hat mich diese Lieferung gekostet." Am Ende sollte nur ein Drittel der bestellten Ware, dafür zu einem Fünffachen des ursprünglichen Preises, in Tirol ankommen. Doch das ist bereits als Erfolg zu werten.

Weltweites Hamstern

Hamsterkäufe haben längst auch die Politik erreicht. Im Rennen um medizinisches Schutzmaterial – vom einfachen Mund-Nasen-Schutz für Einkäufe in Supermärkten bis zu Hochrisikomasken – will kein Politiker schlecht dastehen. Niemand will zu wenige Masken für "seine" oder "ihre" Leute haben.

Wenn dann auch noch US-Präsident Donald Trump dazu aufruft, weltweit nach medizinischen Schutzgütern für die USA Ausschau zu halten, ist ein Run auf Masken vorprogrammiert. Ellenbogen werden ausgefahren und Partner übergangen. 200.000 für die Berliner Polizei gedachte Schutzmasken wurden etwa beim Umladen auf einem thailändischen Flughafen für die USA abgezweigt – erboste Reaktionen von deutschen Politikern inklusive.

In Kenia verschwanden gar sechs Millionen Schutzmasken des Typs FFP2 auf ihrem Weg nach Deutschland – Dieb unbekannt. Und auch Private, die sich eine goldene Nase an der Krisensituation verdienen wollen, mischen kräftig mit – teils auch mit unlauteren Mitteln. Ein spanischer Geschäftsmann soll etwa zwei Millionen Masken aus einer bankrotten Firma entwendet und nach Portugal verkauft haben. Drei Ukrainer wurden beim Versuch, 100.000 früh aufgekaufte Masken gewinnbringend zu verkaufen, gar überfallen. CNN sprach unlängst von einem globalen "Maskenkrieg".

Schwere Geldkoffer

FFP3-Masken in großen Mengen, wie sie nun in Tirol ankamen, sind am Weltmarkt derzeit Mangelware. In Europa gibt es nur zwei etablierte Hersteller, China gilt als wichtigster Produzent, darum konzentrieren sich die Bemühungen von Regierungen und Händlern weltweit auf die dortigen Produktionsstätten. Die Tirol-Kliniken baten deshalb einen Unternehmer mit guten Kontakten ins Reich der Mitte am 23. März um Hilfe bei der Beschaffung der dringend benötigten Masken. Er sagte Hilfe zu, will aber ungenannt bleiben.

Atemschutzmasken sind derzeit eine der heißesten Waren auf dem Weltmarkt.
Foto: APA/AFP/STR

Um die Ware direkt nach Tirol zu bringen, versuchte man ein Flugzeug zu chartern, das ohne Zwischenstopp von Schanghai nach Innsbruck fliegen kann. Das Risiko, die Ladung durch Beschlagnahmung oder Diebstahl zu verlieren, wäre zu groß gewesen.

In China nahm indes der Druck auf die Produzenten zu. Der Partnerunternehmer der Tiroler musste vor Ort "eine sehr hohe Summe" als Vorauskasse bezahlen, um die Bestellung aufrechtzuerhalten. Für die Bestellung selbst musste eine Vertraute des Unternehmers direkt zur Fabrik, rund vier Stunden außerhalb Schanghais, fahren. Sie berichtet von einer Menschenschlange vor dem Werk. Vor ihr ein Gesandter Schwedens, der mehr als 100 Millionen Euro im Voraus überwiesen hatte, hinter ihr ein bekannter chinesischer Milliardär, der sich im Auftrag einer westlichen Regierung ebenfalls mit viel Geld im Koffer eine Lieferung sicherte.

Eldorado für Glücksritter

Medizinische Schutzausrüstung ist seit der Coronavirus-Krise das Eldorado für "Glücksritter", wie der Cheflogistiker des Österreichischen Roten Kreuzes, Jürgen Kunert, viele der Firmen bezeichnet, die plötzlich entstanden sind. Allein in China eröffneten zwischen dem 23. Jänner und dem 11. März angeblich 5.500 neue Maskenproduzenten unter – wie Insider berichten – teils fragwürdigen hygienischen Zuständen. Vorher stellten sie teilweise Elektronik oder Textilien her. Nach Beschwerden aufgrund mangelhafter Importware aus den Niederlanden, der Türkei, Großbritannien oder auch Österreich verschärfte die chinesische Regierung mit 31. März die Exportregeln. Nur offiziell akkreditierte Betriebe dürfen seither Waren exportieren. Mehr als zehn Millionen Masken wurden bisher vor ihrer Ausreise konfisziert. Gleichzeitig soll der Markt für gefälschte Zertifikate rapide gewachsen sein. Qualitätstests ankommender Chargen sind deshalb neuerdings unabdingbar.

Kunert kümmert sich seit Mitte März um die bundesweite Beschaffung medizinischer Schutzausrüstung. Auch ihn erreichen bis zu 600 Angebote täglich, die sein Team zu prüfen hat. Auch unter ihnen sind dubiose Händler, die Firmen in den Niederlanden angeben, deren Standort nicht einmal auf der Landkarte existiert. In Krisenzeiten setze man deshalb eigentlich auf Zentralisierung, um dem unübersichtlichen Markt und den teils explodierenden Preisen Einhalt zu gebieten.

Geheime Übergabe

Die Innsbrucker Kliniken gingen bei der aktuellen Charge aber ihren eigenen Weg. Und Tirols Verhandlerin in China hatte Erfolg. Anfang April nimmt sie nachts in einem Hinterhof in Schanghai, im Lichtschein von Taschenlampen, die erste Tranche von rund 14.000 Masken entgegen. Das Video der Übergabe wurde dem STANDARD gezeigt, darf aber zum Schutz der in China handelnden Personen nicht veröffentlicht werden. Die Frau versteckt die in Kartons verpackte Ware in einem Hotelzimmer und hält auch das auf Video fest.

In Tirol versuchte Deflorian indes mithilfe der Landesregierung sowie der chinesischen Botschaft in Wien Visa für die Crew der Chartermaschine, die Freigabe der Flugroute und eine Landeerlaubnis in Schanghai zu organisieren. Ein schwieriges Unterfangen dieser Tage. Laut Auskunft des österreichischen Außenministeriums wird dann meist auf diplomatischer Ebene "mit nötigem Verhandlungsgeschick" um eine Freigabe gerungen. Eine eigene Abteilung kümmert sich während der Pandemie um die Probleme bei der Beschaffung medizinischer Schutzausrüstung aus dem Ausland.

"Wann immer wir dachten, wir haben es geschafft, wurde wieder eine Genehmigung zurückgezogen", erzählt Deflorian von der aktuellen Sisyphusarbeit. Erst am Ostersonntag um 19 Uhr erhielt er die erlösende SMS aus China: "Ihr habt Glück, ihr seid eine der letzten Ladungen, die rausgehen darf." An Bord einer Frachtmaschine von Air China landen die Masken über Frankfurt in Wien.

Die Freude bleibt dennoch verhalten, wie Deflorian erklärt: "Wir reden hier von einem einzigen Produkt. Die Schwierigkeiten betreffen aber dutzende, und da reden wir noch gar nicht von Medikamenten ..." (Steffen Arora, Laurin Lorenz, Fabian Sommavilla, 16.4.2020)