Gereinigte Masken hängen in Roms Abendsonne zum Trocken. An den Nagel hängen wird man sie noch lange nicht können.

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Den Unternehmern in Norditalien ist der Geduldsfaden schon lange gerissen: "Wenn wir unsere Betriebe nicht sehr bald wieder hochfahren können, droht die Gefahr, dass der Motor des Landes noch ganz absterben wird", schrieben die Arbeitgeberverbände der Regionen Lombardei, Piemont, Venetien und Emilia-Romagna in einem offenen Brief an Regierungschef Giuseppe Conte. Und: "Jeder Tag, der verstreicht, erhöht das Risiko, dass er nicht mehr anspringen wird." Die Unternehmer forderten eine zumindest teilweise Wiederaufnahme der Produktion vor Ostern, zumal die Liquidität der Betriebe zur Neige gehe. In den vier Regionen werden 45 Prozent der italienischen Wirtschaftsleistung erbracht und über 60 Prozent der Exporte produziert.

Der Appell verhallte ungehört: Die Regierung hat vergangene Woche entschieden, dass die Schließung der meisten Betriebe – bis auf wenige, eher symbolische Ausnahmen wie Buchläden und Kleiderboutiquen für Kleinkinder – sowie die Kontaktsperre bis mindestens 3. Mai aufrechterhalten werden. Die Kindergärten, Schulen und Universitäten bleiben sogar bis in den September geschlossen. Der Internationale Währungsfonds warnte am Dienstag, dass Italiens Wirtschaft dieses Jahr um 9,1 Prozent schrumpfen werde – der höchste Rückgang in der EU. Aber auch das perlte an der Regierung ab.

Kein Zeitplan

Premier Conte hatte beim Ausbruch der Epidemie Ende Februar und auch in den Wochen danach bei der Eindämmung praktisch alles richtig gemacht – das hat auch die Weltgesundheitsorganisation bestätigt. Mit dem schrittweisen Ausstieg aus der Quarantänesituation und der Entwicklung eines detaillierten und plausiblen Zeitplans tut sich die Regierung dagegen ungemein schwer. Es wird zwar auch in Italien, wie im übrigen Europa, viel über flächendeckende Antikörpertests, Masken- und Abstandspflicht und eine Tracing-App diskutiert – aber von konkreten Vorstellungen oder gar Maßnahmen ist bisher wenig zu hören und zu sehen.

Stillstand

Ein beredtes Beispiel für den Stillstand ist die Tracing-App: Um über die Art der Applikation und deren Funktionen zu entscheiden, hat die Regierung eine Kommission mit 74 (!) Mitgliedern eingesetzt. Bezüglich der Effizienz eines solchen Riesengremiums macht sich in Italien niemand Illusionen. Vor wenigen Tagen hat Conte außerdem eine 17-köpfige Arbeitsgruppe für die "Phase 2" eingesetzt. Diese ist zwar mit ehemaligen Topmanagern und Harvard-Absolventen fachlich top besetzt – aber bis heute ist unklar, ob dieses Gremium Entscheidungskompetenzen oder nur beratende Funktion hat. Am Ende wird wohl die Regierung entscheiden – irgendwann, irgendwie.

Conte rechtfertigt das Festhalten am Lockdown mit der nach wie vor hohen Zahl der Toten infolge der Corona-Epidemie: Man befinde sich laut den Experten noch in der "Phase 1", und deshalb sei es zu früh, bereits in die "Phase 2" einzutreten. Tatsächlich sterben in Italien nach wie vor etwa 500 bis 600 Menschen pro Tag an Covid-19. Eine Tatsache ist aber auch, dass die Fallzahlen insgesamt zurückgehen und die Zahl der Covid-19-Patienten in den Krankenhäusern und Intensivstationen seit über einer Woche stetig kleiner wird. Die meisten Nachbarländer, allen voran Österreich und die Schweiz, befinden sich noch in einer früheren Phase der Epidemie – was deren Regierungen aber nicht hindert, gezielte Lockerungen des Lockdowns zu beschließen.

Keine Exit-Strategie

Die Wahrheit ist, dass die Regierung bisher nicht einmal ansatzweise eine Exit-Strategie entwickelt hat. Die zunehmend quarantänemüden Italiener werden damit auf eine harte Geduldsprobe gestellt, denn die Quarantänemaßnahmen sind – vielleicht mit Ausnahme Spaniens – die härtesten in Europa: Fast 80 Prozent der Betriebe sind geschlossen, den Bürgern wird zum Einkaufen oder einem Spaziergang mit dem Hund ein Aktionsradius von 200 Metern um die eigene Haustür zugestanden. Die Gemeindegrenzen dürfen nicht verlassen werden. Die Parks und Strände sind geschlossen, Drohnen und Hubschrauber wachen darüber, dass auf den Dachterrassen keine Grillpartys gefeiert werden. Mit anderen Worten: Es herrscht faktisch Hausarrest – und es ist völlig unklar, wie es nach dem 3. Mai weitergehen wird. (Dominik Straub aus Rom, 15.4.2020)