Grünes Licht für kleine Händler trotz Corona. Doch nicht alle sperren auf. Ob sie weiter Anspruch auf staatliche Hilfe haben, ist ungeklärt.

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Normalerweise dürfte man nicht einmal das Licht aufdrehen. Jeder Mitarbeiter im Geschäft kostet mehr, als er umsetzen kann, sagt Kurt Wilhelm. Aber von normal ist in Zeiten von Corona keine Rede. "Also zeigen wir Tatkraft. Wir wollen aufsperren, wir wollen wieder mit Leuten reden und unsere Ware anbieten." Wilhelm verkauft unter der Marke Wald & Wiese Produkte rund um den Bienenstock und ist Obmann der Kaufleute der Wiener Neubaugasse. 320 Geschäfte vereint die älteste Einkaufsstraße der Stadt, die meisten sind Spezialisten und Einzelkämpfer.

Ein Blick in das Grätzel zeigt das holprige Terrain, auf dem sich kleine Händler bei ihren ersten Gehversuchen bewegen. Von einem Ansturm an Kunden ist nichts zu sehen. Frequenzbringer wie die Gastronomie, die dazu verführen, auch beim Einkaufen spendabel zu sein, sind weiter geschlossen. Die Zahl an Städtetouristen, die das hippe Viertel magnetisch anzieht, sank auf null.

Keine Mietnachlässe für Kleine

Wer hier aufsperrt, muss sich mit einem Drittel des üblichen Umsatzes zufriedengeben. Doch die Mieten laufen weiter. Von Nachlässen und Stundungen sei in der Praxis keine Rede, sagt Wilhelm. "Wer nicht pünktlich zahlt, riskiert die Kündigung."

Der Unternehmer setzte sich mit den Geschäftsleuten der Straße via Videotelefonie zusammen, sie entschlossen sich, an einem Strang zu ziehen – und einigten sich dabei auf eine österreichische Lösung: In Neubau gelten nun unverbindlich empfohlene Öffnungszeiten zwischen elf und 16 Uhr. "Alle halten sich daran, vor allem auch aus Solidarität zu jenen, die längeres Arbeiten derzeit personell einfach nicht stemmen", erzählt Wilhelm. Denn nicht jeder könne es sich leisten, seine Mitarbeiter aus der Kurzarbeit zu holen. Manch ältere Geschäftsinhaber wiederum zählten zu Risikogruppen, deren Gesundheit auf dem Spiel stehe.

Maue Umsätze auch in gute Lagen

Gut einen Monat lang ließ Covid-19 alles Leben im Einzelhandel erstarren. Seit Montag regt es sich zumindest in Geschäften unter 400 Quadratmetern sowie in Garten- und Baumärkten, denen die Behörde ebenfalls grünes Licht erteilte. Doch Lust einzukaufen verspüren die wenigsten Österreicher. In guten Lagen wie der Wiener Mariahilfer Straße verbuchen Betriebe bisher 60 Prozent des bisherigen Umsatzes. Standorte abseits großer Einkaufsstraßen kommen gerade einmal auf ein Zehntel, bestätigt ein Rundruf des Handelsverbands.

Schlangen an Kunden bilden sich vereinzelt vor Optikern, Handyshops, Buchhandlungen und Sportartikelhändlern. Auch Baumärkte sehen sich ob des Andrangs dazu gezwungen, Kunden blockweise abzufertigen. Viele Modeboutiquen und Elektrohändler hingegen bleiben verwaist. Etliche kleine Geschäfte, für die sich der Neustart vorerst nicht lohnt, verzichteten überhaupt aufs Aufsperren.

Frequenzbringer fehlen

Sie brauchen die Symbiose mit großen Ankermietern im Handel, deren Wiederauferstehung die Regierung erst für Mai vorgesehen hat. Von der Politik unbeantwortet ist, ob der Anspruch auf Staatshilfen auch aufrecht bleibt, wenn trotz Erlaubnis Rollbalken geschlossen bleiben, sagt Handelsverbandschef Rainer Will. Er erinnert zudem daran, dass die Betreuung der Kinder der Handelsangestellten besser gewährleistet werden müsse. Bisher habe der Handel jede Woche eine Milliarden Euro brutto an Umsatz verloren. "Drei Viertel davon lassen sich nicht mehr nachholen. Hätte der Stillstand weitere zwei Wochen gedauert, wären 40 Prozent der Händler, vor allem kleine Betriebe, zahlungsunfähig geworden."

Grabenkämpfe

Für heftige Dispute sorgt die Differenzierung zwischen groß und klein und der Vorzug der Baumärkte zum Nachteil der Möbelketten. Ein großer Konzern brachte bereits eine Klage beim Verfassungsgerichtshof ein. Es geht um die Frage der Erwerbsfreiheit und des Gleichheitsgrundsatzes.

Zu scharfen Kritikern der Grenzziehung zählt Lutz. "Warum geht ein Blumenkisterl als Grundbedarf durch, eine Küche, die für den Umzug nötig ist, jedoch nicht? Warum treibt man viele Menschen in kleine Verkaufsflächen, während große weitaus ungefährlicher für die Gesundheit wären?", fragt Unternehmenssprecher Thomas Saliger.

Mensch als Herdentier

Christoph Teller, Leiter des Instituts für Handel und Marketing der Johannes Kepler Uni in Linz, hält die Zahl 400, die bei den Quadratmetern nun als Richtwert herhalten muss, für interessant. "Vor Jahren hieß es, dass alles, was kleiner als 400 Quadratmeter ist, im Handel nicht überlebensfähig wäre." Gerecht empfindet er die Lockerung in Etappen nicht – sinnvoll sei sie dennoch.

Studien über den Lauf der Kunden in Geschäften zeigten, dass es Hotspots gäbe, die sich auf Großflächen, die meist auf Selbstbedienung setzen, nur sehr schwer regulieren ließen, sagt Teller. "Der Mensch ist kein rationales Wesen, sondern ein Herdentier." Und das führe zwangsläufig zu Zusammenrottungen. Es sei daher klug, sich langsam vorzutasten und auf Sicht zu fahren.

Wolfgang Richter, Chef des Handelsberaters Regiodata, versteht die Irritationen der großen Händler. Viele hätten rasch expandiert, müssten sich refinanzieren, seien Investoren verpflichtet. "Da steht hoher wirtschaftlicher Druck dahinter." Doch je kleiner ein Geschäft sei, desto leichter lasse es sich kontrollieren. Finanziell gerieten Kleine zudem auch schneller in die Bredouille. Ihr Sterben freilich sei ein leises. (Verena Kainrath, 16.4.2020)