Die giftige Wirkung des Fliegenpilzes beruht auf dem Gehalt an Ibotensäure und Muscimol.

Foto: APA/Patrick Pleul

Als Glücksbringer wird er gerne zum Jahreswechsel verschenkt, aus dem Waldbild in heimischen Märchen und Mythen ist er kaum wegzudenken: Der Rote Fliegenpilz (Amanita muscaria) zählt nicht umsonst zu den bekanntesten Großpilzen. Das liegt freilich nicht nur an seinem unverwechselbaren Äußeren, sondern auch an seiner Giftwirkung. Manche Völker früherer Kulturen insbesondere in Sibirien bedienten sich sogar bewusst der psychoaktiven Effekte des Fliegenpilzes. Verursacht werden diese durch den Inhaltsstoff Ibotensäure und dessen Abbauprodukt Muscimol.

Die chemische Struktur der Giftstoffe ist bereits seit Mitte des 20. Jahrhunderts bekannt, doch wie sie vom Fliegenpilz hergestellt werden, war bisher nicht geklärt. Diesem Geheimnis ist nun ein Team um Michael Müller und Sebastian Obermaier vom Institut für Pharmazeutische Wissenschaften der Universität Freiburg auf die Spur gekommen. Den Forschern gelang es, jene Gene zu identifizieren, die dem Pilz die Fähigkeit zur Giftproduktion verleihen. Die Forscher konnten damit im Fachjournal "Angewandte Chemie" zeigen, wo der Ausgangspunkt für die Biosynthese liegt.

Sieben Gene

Durch Untersuchungen am Gesamterbgut des Fliegenpilzes fanden die Wissenschafter einen DNA-Bereich, der sieben Gene umschließt. Diese Gene werden unter bestimmten Wachstumsbedingungen gleichzeitig aktiv, was nahelegt, dass sie einem gemeinsamen Zweck dienen. Der Pantherpilz, welcher ebenfalls Ibotensäure produziert, enthält den gleichen DNA-Bereich wie der Fliegenpilz. Verwandte Pilzarten, die jedoch keine Ibotensäure produzieren, besitzen die sieben Gene nicht, was auf den Zusammenhang zwischen den Genen und der Giftproduktion hindeutet.

Um zu überprüfen, ob der gefundene DNA-Bereich tatsächlich für die Biosynthese zuständig ist, brachten Müller und Obermaier eines der Gene in das Modellbakterium Escherichia coli ein. Die veränderten Bakterien waren daraufhin in der Lage, die Aminosäure Glutamat in den Ibotensäure-Vorläufer 3 Hydroxyglutamat umzuwandeln. Damit war die Funktion der im Fliegenpilz entdeckten Gene bestätigt: Sie sind für die Biosynthese der Ibotensäure verantwortlich.

Bestätigung einer jahrzehntealten Vermutung

"Interessanterweise wurde 3 Hydroxyglutamat bereits vor über 50 Jahren als Vorläufer der Ibotensäure vorausgesagt", erklärt Obermaier, "es wurde damals aber nicht im Fliegenpilz gefunden." Mit dem Einsatz von modernen genetischen und analytischen Methoden konnten die Forscher nun die damalige Vermutung bestätigen. "Das verdeutlicht, welchen technischen Fortschritt die Wissenschaft in den letzten Jahrzehnten gemacht hat", sagt Müller, "und es zeigt auch, wie alte Ideen der Forschung von heute Impulse geben können." (red, 15.4.2020)