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Gerade auf sozialen Medien verbreiten sich Falschmeldungen wie ein Lauffeuer.

Foto: ap

Unter der E-Mail-Adresse coronavirus@brodnig.org sammelt die Journalistin und Social-Media-Expertin Ingrid Brodnig Beispiele von Fake News, unbelegten Behauptungen – und deren Entkräftung. Im APA-Gespräch zieht sie nun eine erste Zwischenbilanz. Die Anzahl der Falschmeldungen geht zurück, für die Zukunft hofft Brodnig auf mehr Medienkompetenz.

Sie beobachten seit Beginn der Corona-Krise die Entwicklung von Fake News. Wie hat sich das Feld seither verändert?

Ingrid Brodnig: Gerade die Anfangsphase war turbulent: Bevor die Regierung die Ausgangssperren bekannt gab, kursierten allerlei Behauptungen und Kettenbriefe über WhatsApp. Und die ersten Tage waren besonders angespannt. Es kam nicht nur zu Hamsterkäufen, sondern es verbreiteten sich Falschmeldungen, was gegen das Virus angeblich helfen würde. Von Vitamin-C, über warmes Wasser bis hin zu Ingwer als Heilmittel gab es alle möglichen unbelegten Gesundheitstipps. Dann machten Videos die Runde, die oftmals ein harmloses Bild des Virus zeichneten oder auch veraltete, niedrige Zahlen über Infizierte verbreiteten.

Das waren oft keine richtigen Falschmeldungen – sondern eher meinungslastige Videos, die wichtige Aspekte nicht beleuchten oder im Widerspruch zu den offiziellen Einschätzungen der Gesundheitsorganisationen wie Robert-Koch-Institut oder WHO stehen. Und ebenso kamen weitere Verschwörungstheorien auf – von Menschen, die das Bargeld bedroht sehen, die gegen Impfungen sind oder die an eine große globale Verschwörung glauben. Eine Untersuchung des Reuters Institute der Universität Oxford, die Menschen in neun Ländern befragte, kam zum Ergebnis, dass rund jeder Dritte irreführende Behauptungen über das Coronavirus sah. Mein Eindruck ist: Nachdem die erste Aufregung vergangen ist, gingen auch die Falschmeldungen und spektakulären Behauptungen zurück. Weil Falschmeldungen oder wilde Spekulationen funktionieren besonders gut, wenn Menschen besonders verunsichert und aufgewühlt sind.

Was waren die haarsträubendsten, was die gefährlichsten Fake News?

Brodnig: Bis heute finde ich den Tipp kurios, dass man zehn Sekunden die Luft anhalten soll und wer nicht husten muss, hat kein COVID-19. Diese problematische Behauptung hat sich aber über etliche Länder hinweg verbreitet. Es sind diese fragwürdigen Gesundheitstipps, die mir besonders Sorgen machen: Weil Gesundheitsfalschmeldungen konkrete Verhalten von Menschen beeinflussen können. Wir sahen auch schon vor der Coronakrise, dass sich Leute Wundermittel bestellten, die angeblich etliche Krankheiten besiegen können – eines heißt "MMS", kurz für "Miracle Mineral Supplement". Es wird behauptet, MMS helfe gegen Krebs, AIDS und jetzt auch das Coronavirus. Dabei ist diese Substanz genau genommen Natriumchlorit – das ist Industriebleiche. Schlimmstenfalls bestellen sich verängstigte Menschen ein Wundermittel aus dem Internet – und trinken dann genau genommen Industriebleiche.

Von welcher Seite bzw. aus welcher Richtung kamen die meisten Fake News?

Brodnig: Quantitativ ist das schwer zu sagen: Bei vielen Kettenbriefen wissen wir nicht, wer diese zuerst auf WhatsApp oder per Email versendet hat. Aus der Erfahrung kann man sagen, dass es nicht den einen Typ von Fälscher gibt – sondern dass Falschmeldungen aus unterschiedlichen Ecken kommen: Einerseits von Witzbolden, die andere reinlegen wollen und das unglaublich clever finden, wenn sie andere manipulieren können. Zweitens stehen wohl auch Überzeugungstäter hinter manchen Behauptungen – gerade im Feld der Verschwörungsmythen sollte man davon ausgehen, dass manche das wirklich glauben.

Drittens gibt es die Profiteure, die zum Beispiel Geld verdienen, indem sie Wunderprodukte bewerben. Und viertens kann es sich auch um Missverständnisse handeln. Es gab die Falschmeldung über WhatsApp, dass die repräsentative Studie von SORA zur Verbreitung des Coronavirus schon abgeschlossen sei und man nicht die Tür aufmachen soll, wenn wer deshalb klingelt. Das war falsch – damals lief die Studie noch. Das Ganze scheint ein Missverständnis gewesen zu sein. Eine Person gab an, bei einer Hotline falsche Auskunft bekommen zu haben. Restlos aufgeklärt wurde das meines Wissens nach nicht, aber es kann sein, dass sich solche falschen Gerüchte eher durch Versehen oder ungenaue Kommunikation verbreiten.

Über welche Kanäle werden aus Ihrer Erfahrung heraus die meisten Fake News verbreitet?

Brodnig: Viel Irreführendes scheint von Menschen zu kommen, die man nicht kennt. Zu diesem Ergebnis kommt zumindest die Untersuchung des Reuters Institute. Zu Österreich haben wir keine Zahlen, aber man kann sagen, dass auf WhatsApp viele Gerüchte kursieren – und sich dieser Dienst gut für das rasche Herumreichen von Behauptungen eignet. Auch spielt bei WhatsApp oder auch E-Mails wohl eine Rolle, dass man dort Nachrichten von Freunden und Bekannten weitergeleitet bekommt – und da besteht die Gefahr, dass man der Kommunikation von Freunden stark vertraut. Aber es kann eben sein, dass die eigenen Freunde selbst nicht überprüft haben, ob die Meldung stimmt. Und zweitens lässt sich beobachten, dass manche Videos auf YouTube hunderttausende oder gar Abrufe in Millionenhöhe erzielten, die spektakuläre Behauptungen enthielten.

Wie hat sich das Gegensteuern seitens Medien, Facebook, Politik etc. in dieser Zeit bewährt?

Brodnig: Sehr gut ist, dass etablierte Medien Faktenchecks durchführen – und ich möchte betonen, wie wichtig Webseiten wie Mimikama.at sind, die jeden Tag wilden Gerüchten hinterherrecherchieren. Ebenfalls hilfreich ist, dass etablierte Medien die gesicherte Information möglichst leicht verständlich machen – dass zum Beispiel mit Infografiken die Anzahl der Infizierten oder die Belastung des Gesundheitssystems verdeutlicht wird. Eine Untersuchung der Wissenschafter Jason Reifler und Brendan Nyhan kam zum Ergebnis, dass Aufklärung über Bilder besser funktioniert. Mein Eindruck ist, dass die sozialen Netzwerke die Desinformation ernst nehmen – die Frage ist, ob sie noch mehr tun oder rascher reagieren könnten. Facebook kooperiert mit Faktencheckern und unter nachweisbar falschen Behauptungen wird der Faktencheck eingeblendet. YouTube entfernt problematische Videos – nur dauert es oft einige Tage, bis sie einschreiten.

Sie sagen, dass die Verbreitung von Fake News in den letzten Wochen etwas zurückgegangen ist. Woran liegt das aus Ihrer Sicht?

Brodnig: Zumindest ist das mein Eindruck – wir können vieles nicht messen, weil zum Beispiel die Kommunikation über WhatsApp in geschlossenen Gruppen stattfindet. Aber mir scheint: Je mehr dieser Ausnahmezustand zur gefühlten Normalität wird, desto weniger florieren Falschmeldungen. Denn gerade Emotionalität begünstigt die Verbreitung von Nachrichten: Angstmachende Meldungen weisen eine höhere Viralität auf, also mehr Menschen reichen sie weiter. Die ersten Tage der Coronakrise fühlten sich albtraumhaft an und in Zeiten der Verunsicherung haben unseriöse Akteure mit spektakulären Behauptungen gute Karten.

Handelt es sich nur um ein vorübergehendes "Tief" und werden die Fake News rund um Corona mit fortlaufender Dauer der Krise wieder aufflammen oder ist der "Markt" "gesättigt"?

Brodnig: Ich habe die Hoffnung, dass es sich beruhigt – wenn sich die Situation zunehmend normal anfühlt und unser medizinischer Apparat genügend Ressourcen hat. Eine Frage ist, was passiert, wenn es doch zu gröberen Problemen im Gesundheitssystem und zu Panik kommt? Neue Krisen wären womöglich auch wieder ein Nährboden. Falschmeldungen kommen nicht aus dem Nichts – die funktionieren dann gut, wenn tatsächlich Angst oder Wut bei einem Teil der Bevölkerung vorhanden ist. Und das hängt eben stark vom weiteren Verlauf der Krise ab.

Glauben Sie, dass der Umgang mit Fake News in dieser Krise den kritischen Medienkonsum von morgen beeinflussen wird? Wie?

Brodnig: Es gibt die Chance, dass Bürger dazulernen. Wenn man einmal einer Falschmeldung aufgesessen ist, die über WhatsApp herumgereicht wurde, denkt man sich vielleicht beim nächsten Mal: Moment, diesmal schaue ich genauer hin. Es ist wichtig, dass Leute auch wissen, wo sie nachschauen können – zum Beispiel gibt es auf www.mimikama.at, auf www.correctiv.org oder bei den Faktenchecks der APA. Ich hege die Hoffnung, dass Medienkompetenz gerade in Zeiten heranwächst, in denen viel Unsinn kursiert. Und es geht nicht nur darum, selbst nicht auf Falsches hineinzufallen. Man kann in dieser Krise auch lernen, Fakten umso sichtbarer zu machen: Indem man einfach verständlich, in klaren Botschaften mit Bildern oder Infografiken kommuniziert – und indem man nicht nur sagt, was falsch ist, sondern vor allem auch das nachweisbar Richtige immer wieder betont. (APA, 16.4.2020)