Ilona Kickbusch ist Gründerin des Global Health Center am Graduate Institute in Genf.

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Trump will die WHO schwächen, sagt Ilona Kickbusch.

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STANDARD: US-Präsident Donald Trump hat die Weltgesundheitsorganisation kritisiert und nun angekündigt, die Zahlungen an die WHO einzustellen. Sie kennen die Organisation seit Jahrzehnten. Was sagen Sie dazu?

Kickbusch: Trump nimmt Covid-19 zum Anlass, eine weitere UN-Organisation anzugreifen und zu schwächen. Natürlich geht es auch um Ablenkungsmanöver und Schuldzuweisungen – aber die Agenda ist eine viel größere und von langer Hand vorbereitet. Die USA verlieren global an Macht und wollen den Multilateralismus schwächen. Das macht man systematisch, indem man Abkommen boykottiert, aus Organisationen austritt und keine Beiträge mehr zahlt. Jetzt ist die WHO dran – nicht zuletzt weil sie internationale Standards setzt, die der US-Industrie nicht gefallen.

STANDARD: Für alle, die es nicht parat haben: Wie finanziert sich die WHO?

Kickbusch: Als Erstes durch die Pflichtbeiträge ihrer Mitgliedsstaaten. Sie wurden jahrzehntelang nicht erhöht, vor allem auch auf Veranlassung der USA, die stets mit Austritt drohten. Das Geld reichte nie, um die immer höheren Anforderungen, mit denen die WHO konfrontiert war, zu bewältigen. Vor drei Jahren schließlich gab es dann eine Erhöhung der Pflichtbeiträge um drei Prozent. Das war ein Tropfen auf den heißen Stein. Deutschland hatte zehn Prozent beantragt. Die Bill und Melinda Gates Foundation – einer der größten freiwilligen Geldgeber – spricht sogar davon, dass es eine Erhöhung um 50 Prozent bräuchte. Ganz generell ist es so, dass 80 Prozent des WHO-Budgets von sogenannten freiwilligen Beiträgen stammen. Hier sind Spender aus den USA viel großzügiger, weil sie bestimmen können, wofür das Geld verwendet wird.

STANDARD: Warum zögerten die Mitgliedsstaaten bei der Erhöhung der Beitragszahlungen?

Kickbusch: Schlussendlich geht es auch hier um Macht. Die Summen sind im Grunde minimal. Aber je stärker die WHO finanziell dasteht, umso mehr kann sie in ihre normativen Funktionen investieren. Das ist nicht im Interesse aller Staaten, besonders nicht jener mit starken, gesundheitsschädlichen Industrien. Nach der Ebola-Krise 2014/15 haben die Mitgliedsländer jedoch beschlossen, die WHO solle mehr operative Aufgaben in der Gesundheitssicherheit übernehmen und auch einen speziellen Notfallfonds einrichten.

STANDARD: Warum?

Kickbusch: Die WHO ist im Jahr mit 150 Krankheitsausbrüchen konfrontiert. Die Ebola-Krise 2014/15 hat das Augenmerk wieder auf eine mögliche globale Pandemie gelenkt und die Bedeutung einer gut funktionierenden WHO für die globale Gesundheitssicherheit aufgezeigt. Die meisten Krankheitsausbrüche bleiben durch die Aktivitäten der WHO sehr lokal, die Weltöffentlichkeit erfährt meist gar nichts davon. Und bisher haben auch die Medien nie besonders hohes Interesse gezeigt. Die Krankheitsausbrüche waren immer weit weg von den wohlhabenden Ländern und sollten auch dort bleiben – deshalb soll die WHO schneller reagieren können. Die wenigsten wohlhabenden Staaten fühlten sich verantwortlich oder betroffen davon, was weit weg passiert und auch nur wenige haben in den freiwilligen Notfallfonds eingezahlt. Die Corona-Pandemie hat erstmals seit vielen Jahrzehnten gezeigt, wie sehr die Länder global miteinander verbunden sind. Die WHO hat das auch immer und immer wieder betont und vor einer Pandemie gewarnt.

STANDARD: Wofür verwendet die WHO das Geld?

Kickbusch: Das WHO-Programm für Notfälle ist weiterhin unterfinanziert. Im Alltag geht es darum, die Länder bei der Umsetzung der Internationalen Gesundheitsvorschriften zu unterstützen, um die Eindämmung von Krankheitswellen, die Unterstützung bei medizinischen Maßnahmen sowie die Ausbildung des medizinischen und Pflegepersonals. Besonders aber geht es auch um verlässliche Informationen zu lokalen Ausbrüchen und die globale Situation. Die Mitgliedsbeiträge reichten aber nicht, um vollumfänglich zu handeln. Der Notfallfonds ist auf zehn Millionen Dollar festgesetzt. Doch in diesem Fonds kam lange auch nicht wirklich viel Geld zusammen.

STANDARD: Warum?

Kickbusch: Ich denke, dass es auch damit zu tun hatte, wie die einzelnen Länder diesen Fonds bedienten. Es gibt Staaten, in denen die Außenministerien für die Zahlungen verantwortlich waren. In anderen wurde es von den Ministerien für Entwicklungshilfe geregelt. Oft wurden die Zahlungen nicht geleistet, weil sich die Ministerien in den Ländern selbst uneins waren und die Verantwortung hin- und hergeschoben haben. In Deutschland war das Gesundheitsministerium für die Zahlungen federführend. Das Land hat seine Zahlungen immer sehr vorbildlich geleistet und ist auch eingesprungen, wenn es zu Engpässen kam. Deutschland war immer bewusst, wie wichtig die WHO für den Krisenfall ist. Inzwischen sind auch andere Länder sehr aktiv, im Jahr 2020 besonders die Niederlande und Schweden.

STANDARD: Warum waren die Länder so nachlässig mit den Zahlungen?

Kickbusch: Ich denke, weil man für die Zahlungen in einen Fonds wenig mediale Aufmerksamkeit bekommt. Das sind Gelder, die aus Solidarität gegeben werden, politisch kann man aber kaum Kapital daraus schlagen. Und wer hätte vor Corona je gedacht, wie sehr – von einem Tag auf den anderen – die ganze Welt von einer Pandemie betroffen sein würde.

STANDARD: Wie viel Geld hatte die WHO zur Verfügung?

Kickbusch: Am Anfang der Covid-19-Ausbreitung noch sehr wenig. Die WHO hat einen Aufruf für 664,3 Millionen Dollar lanciert und einen voll ausgearbeiteten "Strategic Preparedness and Response Plan" vorgelegt. Weil die Mitgliedsländer nur sehr langsam Gelder gegeben haben, hat die WHO auch eine Reihe von weiteren Finanzierungsinitiativen gestartet. Inzwischen ist der Plan voll finanziert, und die WHO hat einem zweiten Plan nachgelegt, der besonders die Ausbreitung der Pandemie in Afrika im Auge hat.

STANDARD: Welche Finanzierungsansätze gibt es nun?

Kickbusch: Für die unmittelbare Bewältigung der Corona-Krise hat die WHO Mitte März zusammen mit der UN-Foundation einen "Solidarity Response Fund" ins Leben gerufen. In diesen Fond kann jeder einzahlen – einfache Bürger, Mitgliedsländer, Hollywood-Stars, private Firmen, Stiftungen. Das hat es so noch nie gegeben. Die Organisation "Global Citizen" hat eine Kampagne ins Leben gerufen, um diesen Solidaritätsfonds der WHO zu unterstützen. Am 18. April findet ein sechsstündiger Livestream statt mit Musikern aus aller Welt – verbunden mit einer Crowdfunding-Aktion.

STANDARD: Weil die Corona-Pandemie noch lange nicht ausgestanden sein wird, oder?

Kickbusch: Genau. Wie WHO-Generaldirektor Tedros Ghebreyesus immer betont, ist sie auch nur gemeinsam zu bewältigen. Aber es braucht neben den finanziellen natürlich auch politische Initiativen – denn das ganze System der Vorbereitung und Bewältigung von Gesundheitskrisen muss auf neue Füße gestellt werden.

STANDARD: Welche Initiativen gibt es da genau?

Kickbusch: Zum einen wird versucht, die G20-Staaten besser einzubinden, um die WHO politisch und finanziell zu unterstützen, dazu gab es nun schon eine virtuelle Sondersitzung mit den G20. Die EU wird eine virtuelle Geberkonferenz veranstalten. Gelder braucht es aber nicht nur für die WHO direkt, es muss auch Geld in die betroffenen Länder fließen, derzeit besonders nach Afrika, um der Pandemie zu trotzen.

STANDARD: Was ist mit Medikamenten. Welche Rolle spielt die WHO dabei?

Kickbusch: Für die Impfstoffentwicklung braucht man sehr viel Geld. Hier spielen Plattformen wie Cepi zur Entwicklung von Impfstoffen eine zentrale Rolle. Dasselbe gilt für Diagnostik, da gibt es die Initiative Find. Später wird man dann auch noch Geld brauchen, um Impfstoffe herzustellen und gerecht verteilen zu können – als globales Gut. Dafür gibt es schon ein "Global Preparedness Monitoring Board".

STANDARD: Wer könnte das übernehmen?

Kickbusch: Für die Gesundheitssicherheit könnte man ein globales Panel nach dem Vorbild des Weltklimarats vorschlagen.

STANDARD: Das gilt aber dann für kommende Krisen, oder?

Kickbusch: Sowohl als auch. Ich denke, dass man sieht, wie sehr die Länder, die Menschen und die Wirtschaft in einer globalisierten Welt verbunden sind. Dementsprechend müssen auch die Strukturen für den Krisenfall aufgebaut sein. Die ökonomischen Auswirkungen einer Pandemie sind enorm – die Investitionen in die Pandemiepläne sind minimal in Vergleich zu den späteren Kosten, wenn man schlecht vorbereitet ist.

STANDARD: Europa und die USA waren nicht vorbereitet?

Kickbusch: Nein, sie waren nicht vorbereitet und haben zum Teil dann auch noch schlechte politische Entscheidungen getroffen. Das ist auch der Grund, warum jedes einzelne Land plötzlich mit Milliarden jonglieren und internationale Geldgeber wie die Weltbank oder den Internationalen Währungsfonds sowie regionale Organisationen wie die EU um Unterstützung bitten muss. Diese Unkoordiniertheit und das Fehlen gemeinsamer Strukturen kommen alle teuer zu stehen. Es wäre wichtig, der Politik und der Bevölkerung gleichermaßen zu verstehen zu geben, wie wichtig die Rolle der WHO ist.

STANDARD: Genau das torpedieren Politiker wie Trump aber gerade. Wie fanden Sie die Reaktion von Tedros Ghebreyesus?

Kickbusch: Angemessen. Die WHO kann als internationale Behörde nicht zurückschlagen, trotzdem hat sich der Generaldirektor ziemlich klar ausgedrückt. Derzeit brauchen wir globale Solidarität, keine Alleingänge und schon gar keine Schuldzuweisungen. Wie nach der Ebola-Krise 2014/15 wird es auch für diese Pandemie Untersuchungsausschüsse geben. Ich selbst war in einem solchen Ausschuss, der die anfängliche Reaktion der WHO auf die Ebola-Krise sehr kritisch beleuchtet hat. Das hat in der WHO zu einer wichtigen Reform geführt. Es wird solche Ausschüsse in allen Ländern brauchen, um klar festzustellen, wann und wie auf die Pandemie reagiert wurde. Nur vollständige Offenheit – ohne geopolitische Schuldzuweisungen – kann uns hier weiterbringen, um besser auf die nächste Pandemie vorbereitet zu sein. Denn die kommt bestimmt. (Karin Pollack, 17.4.2020)