Mitarbeiter eines Labors in Wuhan prüft Proben: Könnte das Virus zuerst in einem Laboratorium in der chinesischen Provinzhauptstadt einen Forscher infiziert haben?

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Woher stammt das Sars-CoV-2-Virus? Diese Frage sorgt seit dem Bekanntwerden seiner Existenz und vor allem seit seiner pandemischen Ausbreitung nach wie vor für heftige Diskussionen. Unter Wissenschaftern herrscht zwar breiter Konsens, dass es wahrscheinlich auf einem Fischmarkt in Wuhan von Fledermäusen über einen Zwischenwirt – vermutlich Schuppentiere – auf den Menschen übersprang. Doch nach wie vor halten sich Theorien aller Art.

Besonders empfänglich dafür ist man in den USA, beginnend mit Präsident Trump und dem Außenminister Mike Pompeo. Am Mittwoch gaben die beiden bekannt, dass man überprüfen wolle, ob das Virus aus einem Labor in Wuhan stammt, und forderten China auf, für volle Aufklärung zu sorgen, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet. Die beiden bestätigten damit auch einen Bericht auf Fox News. Da war davon die Rede, dass einer der Mitarbeiter des Instituts für Virologie in Wuhan sich womöglich im Labor angesteckt hat und das Virus am nahegelegenen Fischmarkt weitergegeben haben könnte.

Spekulationen der US-Amerikaner

Wie groß die Anhängerschaft der US-Amerikaner für "alternative Wahrheiten" ist, zeigte sich auch an einer Umfrage, deren Ergebnisse bereits letzte Woche veröffentlicht wurden. Demnach glaubten nur 43 Prozent der erwachsenen US-Amerikaner der von der Mehrheit der Forscher vertretenen Ansicht, dass Sars-CoV-2 natürlichen Ursprungs ist. Immerhin 29 Prozent gingen davon aus, dass es aus einem Labor stammt, und 23 Prozent (also fast jeder vierte US-Amerikaner) glauben, dass es in einem solchen Labor absichtlich erzeugt wurde. Ein weiteres Viertel ist sich nicht sicher, woher das Virus stammt.

Die Spekulation, dass Sars-CoV-2 absichtlich und künstlich erzeugt wurde und Teil des chinesischen Biowaffenprogramms ist, hat der frühere israelische Geheimdienstmitarbeiter Danny Shoham bereits im Jänner in die Welt gesetzt. Gegen diese Geschichte spricht so gut wie alles: Eine künstliche Erzeugung des Virus ist, wissenschaftlich betrachtet, ausgeschlossen, wie alle Fachleute bestätigen. Es hat zu viele Eigenschaften, die man unmöglich hätte designen können. Und es ist wohl kein Zufall, dass Shoham selbst spätere Nachfragen zu den Grundlagen seiner Theorie unbeantwortet ließ.

Unabsichtlich entkommen?

Bleibt die nun wieder vom Präsidenten abwärts ventilierte Hypothese, dass Sars-CoV-2 unabsichtlich aus einem Labor in Wuhan in die Umgebung gelangt sein könnte. Diese Hypothese ist zwar unwahrscheinlich, aber nicht völlig von der Hand zu weisen. Tatsächlich gibt es wenige hundert Meter vom Fischmarkt in Wuhan entfernt ein Hochsicherheitslabor, wo man an Infektionskrankheiten forscht.

Diese Hypothese stützt sich auf zwei weitere Tatsachen: Erstens wurde in diesem Labor des Chinesischen Zentrums für Seuchenkontrolle und Seuchenvermeidung tatsächlich an Coronaviren von Fledermäusen geforscht. Und zweitens hatte das US-Außenministerium in zumindest zwei Berichten die Sicherheit dieses Labors thematisiert, berichtete die "Washington Post" diese Woche.

Könnte es also doch sein, dass die Pandemie in diesem Labor unabsichtlich ihren Ausgang nahm? Völlig ausgeschlossen ist es nicht. Für die meisten Wissenschafter ist es dennoch sehr viel wahrscheinlicher, dass Sars-CoV-2 am Fischmarkt auf natürlichem Wege und ganz ohne Mitwirkung der Wissenschaft in Wuhan auf Menschen übersprang.

Das offizielle China freilich hat noch am Donnerstag den Verdacht zurückgewiesen, wonach das Coronavirus aus einem Labor der Millionenmetropole Wuhan stammen könnte. Der Pekinger Außenamtssprecher Zhao Lijian sagte, es lägen keine Beweise vor, die dafür sprächen, dass das Virus in einem Labor hergestellt wurde oder von dort austrat. Der Ursprung des Virus müsse von der Wissenschaft aufgeklärt werden. Und: "Viele renommierte medizinische Experten haben auch bestätigt, dass die Behauptung, dass das Virus aus einem Labor ausgetreten ist, keine wissenschaftliche Grundlage hat."

Mehr Kontrolle über Publikationen

Eine neue chinesische Richtlinie zur wissenschaftlichen Erforschung des Virus könnte aber womöglich wieder Spekulationen ins Kraut schießen lassen – und ist neues Wasser auf die alten Mühlen der Verschwörungstheoretiker: Wie das Wissenschaftsjournal "Nature" am MIttwoch berichtete, sollen alle künftigen wissenschaftlichen Fachartikel zu Covid-19, die von chinesischen Wissenschaftern stammen, vor Veröffentlichung von staatlichen Stellen überprüft und genehmigt werden.

Greift China also zu typisch chinesischen Zensurmaßnahmen, um zu verhindern, dass unbequeme Wahrheiten ans Licht kommen? Auch das ist nicht völlig auszuschließen. Internationale Forscher, die sich mit chinesischer Forschungspolitik auskennen, vermuten freilich einen anderen, durchaus begrüßenswerten Hintergrund: Die staatlichen Stellen könnten für mehr Qualität der wissenschaftlichen Covid-19-Publikationen sorgen wollen.

Tatsächlich ist für chinesische Forscher der Publikationsdruck so groß, dass gerade auch zu Beginn der Corona-Krise etliche Fachbeiträge veröffentlicht wurden, deren Behauptungen wissenschaftlicher Überprüfung nicht standhielten und sich als peinlicher Humbug herausstellten. So etwa spekulierten chinesische Wissenschafter schon sehr früh, dass Sars-CoV-2 von Schlangen stammen könnte.

Zumindest diese Hypothese gilt als definitiv widerlegt. (Klaus Taschwer, 16.4.2020)