Ungarn rüstet sich für mehr Covid-19-Patienten.

Foto: EPA/TAMAS KOVACS HUNGARY OUT

Die Regierung des ungarischen Rechtspopulisten Viktor Orbán will die Krankenhäuser des Landes für einen von ihr erwarteten Massenandrang von Corona-Patienten vorbereiten. Deshalb werden in diesen Tagen tausende Patienten nach Hause geschickt, um die entsprechende Bettenkapazität zu schaffen.

Unter den plötzlich entlassenen Kranken sind, wie Medien berichten, zahllose Menschen, die nach Operationen noch nicht vollständig genesen sind, sich nach Unfällen oder Schlaganfällen mitten in der Rehabilitation befinden oder sonst eigentlich fachgerechte medizinische Hilfe benötigen.

Weisung rigoros umgesetzt

Eine Weisung aus der Feder des Sozialministers Miklós Kásler verpflichtet die Spitäler, 60 Prozent ihrer Betten für die Behandlung von Corona-Patienten freizumachen. Bis zum kommenden Sonntag müssen 50 Prozent oder 32.900 Betten zur Verfügung stehen, die restlichen zehn Prozent zu einem späteren Zeitpunkt, teilte der Corona-Krisenstab der Regierung auf seiner Website mit.

Kásler setzt seine Weisung rigoros um. Zwei selbst in Kreisen der Regierungspartei Fidesz hochangesehene Krankenhauschefs entließ er fristlos, weil sie dieser Weisung nicht bedingungslos nachgekommen wären. Die Betroffenen bestritten dies, hunderte Mitarbeiter der beiden Kliniken protestierten offen gegen ihre Entlassungen.

Inzwischen ist von haarsträubenden Härtefällen zu erfahren, so etwa von Krebs-, Schlaganfall- und Demenzpatienten, um die sich nun von einem Tag auf den anderen die Angehörigen kümmern müssen. "Meinen Vater hat man nach einer Fußamputation mit kaum verheilter, eiternder, noch vernähter Wunde nach Hause geschickt", berichtete ein Betroffener dem Nachrichtenportal index.hu. Die Schwiegertochter verbinde nun die Wunde, die Familie suche noch nach einer Fachkraft, die die Nähte zieht.

Demenzkranker Vater

Viele Angehörige sind schlicht überfordert. "Seine Krankheit ist unberechenbar, einmal liegt er den ganzen Tag im Bett, dann streift er wieder manisch herum, wird aggressiv, gibt Geld aus", schilderte eine Frau den Zustand ihres 79-jährigen demenzkranken Vaters, den sie aus dem Spital zurücknehmen musste.

Irgendwie will sich die Familie die nötige 24-Stunden-Aufsicht aufteilen und eine Hilfskraft suchen. Eine Fachkraft zum Stundenlohn von 8000 Forint oder 22,70 Euro kann sie sich nicht leisten.

Hinter Káslers Räumungsfuror steht Regierungschef Orbán. Was ihn antreibt, ist nicht ganz klar. Die Corona-Lage stellt sich in Ungarn nicht so schlecht dar – zumindest nach den offiziellen Zahlen. Bis Donnerstag waren demnach 1652 Menschen nachweislich mit dem Virus Sars-CoV-2 angesteckt, 142 starben an der von ihm ausgelösten Lungenkrankheit Covid-19. Die Dunkelziffer der Ansteckungen dürfte weit höher liegen, weil relativ wenig getestet wird.

Intransparente Kommunikation

Die Informationspolitik des Krisenstabs in Budapest ist allerdings höchst intransparent. Es gibt keine täglichen Zahlen über die Belegung von Krankenhaus- und Intensivbetten durch Corona-Patienten. Am Donnerstag verlautbarte der Stab, dass insgesamt 729 Corona-Infizierte im Krankenhaus behandelt werden, 60 hängen an Beatmungsgeräten. Davor hatte es eine Woche keine neuen Zahlen gegeben. Am 9. April waren es 58 Menschen, die mit Geräten beatmet werden mussten, bei damals 980 nachgewiesenen Ansteckungen.

Manche vermuten, dass Orbán den eigenen Zahlen nicht traut und deshalb den Katastrophenfall mit italienischen Zuständen für nahezu unvermeidlich hält. Am vergangenen Freitag deutete er dies in einem Rundfunkinterview an: Derzeit verfüge das Land über 2000 Intensivbetten mit Beatmungsgeräten, sagte der Premier, deren Zahl müsse auf 8000 gesteigert werden. "Die wahre Prüfung, der echte Test steht uns noch bevor", fügte er hinzu. Die Regierung steht international auch in der Kritik, weil sich Orbán erst vor zwei Wochen per Notstandsdekret zum Premier auf unbestimmte Zeit ernennen ließ. (Gregor Mayer aus Budapest, 16.4.2020)