""Es ist dumm, den Menschen keine andere Möglichkeit zu bieten, für Inhalte zu bezahlen, als ein Abo anzubieten": Jeff Jarvis, Journalist, Autor. Journalismusprofessor, hier im Bild beim International Journalism Festival 2018.

Foto: International Journalism Festival #ijf18 Luca Vanelli

Gut 800 Millionen Dollar war die größte Zeitungsgruppe der USA noch im Jänner wert. Vorige Woche wurde Gannett mit "USA Today" und einem Viertel der Gesamtauflage in den Vereinigten Staaten nur noch mit 88 Millionen Dollar bewertet (inzwischen ging es wieder ein Stück bergauf). Nicht zu reden von den 15 Milliarden Dollar Börsenwert vor 15 Jahren. Und Gannett ist kein Einzelfall in der US-Verlagsbranche.

Wie geht es weiter mit dem Journalismus nach Corona und den wirtschaftlichen Folgen des Virus auch auf die Medienbranche mit Werbeeinbrüchen um 30, 40 und mehr Prozent, mit Kurzarbeit, Gehaltsverzicht und -kürzungen, Kündigungen? Werbeeinbrüchen von einem ohnehin schon erodierten Niveau, teils auf Null, jedenfalls in den USA. Werbeeinbrüchen auch, weil die Auftraggeber die Werbeplatzierung im Umfeld die Berichterstattung über das Corona-Virus und die Folgen gesperrt haben.

Jedenfalls in den USA wird es um einen "Neustart aus der Asche", von Null weg, gehen, sagt Jeff Jarvis, Journalist, Autor, Medienexperte und Professor für Journalismus an der City University of New York. Donnerstagabend dachte er laut über den Journalismus nach Corona in einem Webinar des Wiener Forum Journalismus und Medien (FJUM) und des Presseclubs Concordia nach.

Zielgruppe: 22 Millionen neue Arbeitslose

Was sieht Jarvis – mit seinen Studierenden – aus der Asche wachsen? Lokaljournalismus-Projekte in US-Städten, in denen die letzte Tageszeitung aufgegeben hat. Journalismus für bestimmte Zielgruppen. Jarvis rätselt, warum die großen Medienhäuser noch keine großen Service- und Informationsangebote etwa für Arbeitslose haben – binnen vier Wochen verloren in der Corona-Krise 22 Millionen Menschen in den USA ihren Job. Warum gibt es noch kein Medium für diese Menschen, fragt sich Jarvis, oder auch für die Eltern, die ihre Kinder nun daheim unterrichten (solche Plattformen lassen sich schon finden).

Und wie sollen sich solche neuen journalistischen Projekte finanzieren? Ohne Werbung wird es wohl nicht gehen, sagt Jarvis, aber die gelte es neu zu erfinden. Etwa in Kooperation mit dem lokalen Handel, die über klassische Werbung hinausgehe.

Mit Abos für Bezahlinhalte würden es die wenigsten schaffen – die großen nur in den USA, also "New York Times", "Washington Post", "Wall Street Journal". Schon die "Los Angeles Times" scheitere da.

"Dumm, keine andere Bezahlmöglichkeit als Abos anzubieten"

Die "LA Times" dient Jarvis auch gleich als Beispiel für zu eng gedachte Bezahlangebote: "Es ist dumm, den Menschen keine andere Möglichkeit zu bieten, für Inhalte zu bezahlen, als ein Abo anzubieten."

Jarvis verweist auf die Beispiele von "Guardian" und "El Diario", wo über freiwillige Beiträge und Spenden "einige dafür zahlen, dass alle freien Zugang auf Inhalte haben". Er hat gerade einem spezialisierten Newsportal 50 Dollar gespendet, weil er dessen Berichterstattung über Covid-19 schätzt. Jarvis: "Wir müssen die Menschen dazu bringen, sich noch einmal zu überlegen, welchen Wert Medien für sie haben."

Der Austausch von Inhalten, Knowhow, Technik zwischen solchen Medien und Medienprojekten könne die Finanzierung erleichtern. Sie zu schaffen, sei ein "großes Puzzle".

Und wie sieht dieser in kleinen Einheiten, der neue Journalismus nach Jarvis' Vorstellungen aus? Er entstehe im Austausch mit der Community, mit einer öffentlichen, vielleicht auch anwaltschaftlichen Aufgabe: "Wir waren immer Anwälte für Communities", sagt Jarvis über Journalismus und Journalisten.

Er definiert die "Mission" des Journalismus heute so: "Communities zu einer höflichen, informierten und produktiven Konversation zu versammeln." (fid, 17.4.2020)