Besonders in Krisenzeiten ist es wichtig, dass eine Regierung mit sich zufrieden ist. Soweit darf Österreich als eine Insel der Seligen gelten. Wie berechtigt diese Zufriedenheit ist, lässt sich klarer als in Fakten in zwei Zahlen messen. Da zauberte der Bundeskanzler die schon wegen ihrer Präzision imposante Zahl von 100.000 möglichen Corona-Toten aus dem Hut, denen derzeit 393 als Corona-Opfer ausgewiesen Tote gegenüberstehen. Wenn man berücksichtigt, dass etliche davon zwar das Virus in sich hatten, aber an anderen Erkrankungen gestorben sind, vergrößert sich der Abstand noch einmal. Egal, die Differenz sollte der Bevölkerung subkutan einen Eindruck von der Alternativlosigkeit der Regierungsmaßnahmen vom Shutdown bis heute und in alle Zukunft einflößen, womit sich auch jede Kritik daran verbietet.

Untermauert von einer Pandemie an Pressekonferenzen ist die Botschaft bei der Bevölkerung angekommen wie im Sinne der MC beabsichtigt. Nur selten, wenn überhaupt je, wurde ein Volk von seiner Regierung mit so viel polizeilich unterfüttertem Lob fürs Bravsein überfüttert, wie das hiesige. Es darf als Vertrauensbeweis des Bundeskanzlers gelten, den Braven nun "so viel Freiheit wie möglich, so viel Einschränkungen wie nötig" zu gewähren, was derzeit ebenso schwach begründet ist, wie etliche Einschränkungen ohne Gartenfreiheit vor vier Wochen es waren. Hat er nicht eben erst Ruhe vor dem Sturm angekündigt? Aber wehe, das Bravsein lässt nach!

Bundeskanzler Sebastian Kurz.
Foto: APA/AP/Roland Schlager

Den schönen Brauch der Obrigkeit, die Bevölkerung in den Medien zum Jahreswechsel zu beglückwünschen, hat der Bundeskanzler heuer österlich und umfänglich erweitert, ohne dass seine Adresse über die Mahnung hinaus, in der "neuen Normalität" nicht übermütig zu werden, Neues geboten hätte. Er ahnte zwar ein gewisses Bedürfnis zu wissen: Wie geht es jetzt weiter? Aber ungebührliche Neugier ist ihm ein Dorn im Auge, weshalb er zwar auf eine ferne Schutzimpfung vertröstete, doch ohne zu sagen, wie sich seine Regierung zu deren Einsatz verhalten würde. Sollte sie angesichts der Corona-Bedrohung zu einer Pflicht werden, oder reicht es, wenn sich, wie gegen Grippe, gerade acht Prozent der Bevölkerung impfen lassen, oft nicht einmal das medizinische Personal?

Gern möchte man allmählich nicht nur wissen, dass "wir" auch wirtschaftlich so schnell wie möglich aus der Krise kommen wollen, sondern wie sich er und seine Regierung das genauer vorstellen. Gilt künftig das schöne Gerede vom Schulterschluss, soll die Sozialpartnerschaft eine neue Chance erhalten, und wer genau soll für das Desaster aufkommen? Da sollte man sich nicht hinter der verschleiernden Rede verstecken, das Virus sei an der Krise schuld. Viren sind nicht schuldfähig. Die gewaltigen Probleme, vor denen die Staaten stehen, sind die Folgen von Regierungsmaßnahmen, früheren und aktuellen. Dort liegt die Verantwortung.

Klimaschutz, Umgang mit der Verfassung, mit Flüchtlingen, Haltung zu den Medien, etc. – das alles wird sich in der neuen Normalität nicht mit der Phrase abhandeln lassen, die Regierung macht, was im Koalitionsprogramm steht. Das ist längst obsolet. (Günter Traxler, 16.4.2020)