Die Corona-Pandemie erhöht Experten zufolge das Risiko für Alkohol- und Drogenmissbrauch.

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Soziale Isolation, Einkommensverlust, vielleicht sogar Jobsuche: Schwierigkeiten bringt die Corona-Krise derzeit für viele mit sich – manche treffen die Auswirkungen dennoch härter als andere. Menschen mit Suchterkrankungen sind aufgrund eines schwachen Immunsystems und etwaiger Vorerkrankungen im Fall einer Coronavirus-Infektion besonders gefährdet. Ein Verlust der Tagesstruktur und eingeschränkter Zugang zu Hilfsangeboten erhöhen zusätzlich das Risiko eines Rückfalls. Suchthilfe-Experten warnen vor den Nachwirkungen der Corona-Krise.

"In Situationen, wo der Druck ein größerer ist, weichen viele Menschen darauf aus, irgendwelche Substanzen zu konsumieren", sagt Ewald Lochner, Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen der Stadt Wien. Oft seien es Menschen mit einer besonders ausgeprägten Suchtkrankheit, die als Letzte in einem sonst leeren Stadtbild auffallen. Im Verlauf der Corona-Krise beobachte die Suchthilfe Wien vor allem beim Alkoholkonsum einen deutlichen Anstieg.

Suchtmittelgesetz adaptiert

Beim Konsum von illegalen Drogen falle derzeit noch keine Veränderung auf, so Lochner. Dies habe vor allem damit zu tun, dass es in Wien ein gut ausgebautes Substitutionsprogramm gebe. 6.500 bis 7.000 Menschen sind in diesem Programm und haben damit gesicherten Zugang zu ihren Medikamenten – seit kurzem auch, ohne dafür zum Arzt müssen. Aufgrund der Corona-Maßnahmen wurde nämlich das Suchtmittelgesetz adaptiert. Um den Gang zum Arzt zu vermeiden, kann dieser Rezepte nun direkt an die Apotheken schicken, und die Substitutionspatienten holen sich ihre Medikamente direkt dort ab. Die Ebene des Amtsarztes fällt damit weg.

Straßenhandel eher ruhig

Österreichweit ist knapp die Hälfte der Menschen mit risikoreichem Konsum von Opioiden in ein Substitutionsprogramm eingebunden. Wie es der anderen Hälfte momentan geht, ist vergleichsweise unklar. Man könnte annehmen, dass durch Grenzschließungen und Ausgangsbeschränkungen das Drogenangebot sinkt oder die Preise steigen. "Im Moment haben wir dahingehend aber noch nichts festgestellt", so Daniel Lichtenegger vom Bundeskriminalamt (BK). Auch im Straßenhandel sei es momentan eher ruhig, und die Anzeigen seien rückläufig. Es sei davon auszugehen, dass eher in Wohnungen verkauft wird.

Auch beim Onlinehandel im Darknet habe sich bisher keine nennenswerte Veränderung gezeigt. Laut einem internen Bericht des deutschen Bundeskriminalamts, aus dem das Nachrichtenportal NTV zitiert, sollen die Drogenangebote im Darknet im März im Vergleich zum Februar um 18 Prozent gestiegen sein. Diese Beobachtung könne er nicht bestätigen, meint Lichtenegger. "Das heißt aber nicht, dass sich das nicht noch ändern kann."

Eingeschränkter Zugang zu Hilfsangeboten

In der Behandlung von Suchtkranken hat sich bereits einiges geändert. Krisenintervention, Spritzentausch und Beratungsangebote werden im Corona-Modus zwar mit Hygienemaßnahmen oder per Telefon weitergeführt, im stationären Bereich ist das Angebot aber eingeschränkt. Viele Spitäler nehmen nur Akutfälle auf, und einige Reha-Zentren für längerfristige Therapien sind ganz geschlossen. Wer sich in einer stabilen Behandlung befinde und jetzt einen Entzug beginnen wolle, den bitte man, in ein paar Wochen wiederzukommen, heißt es beispielsweise vom Klinikum Mauer in Krems.

Die Gefahr einer Einschleppung des Coronavirus ist hoch, da Suchtpatienten oft ein geschwächtes Immunsystem haben. Häufige Vorerkrankungen wie Hepatitis oder die Lungenkrankheit COPD erhöhen das Risiko zusätzlich.

In Wien werden Suchtpatienten nach wie vor stationär aufgenommen. Dafür wurde im Anton-Proksch-Institut (API) eine Aufnahmestation mit 36 Betten eingerichtet. Neuzugänge müssen dort sieben Tage bleiben und sich danach auf den Coronavirus testen lassen, um eine Infektion auszuschließen. Dann werden sie auf die Wiener Einrichtungen verteilt. Der Bedarf sei "riesig", sagt Geschäftsführerin Gabriele Gottwald-Nathaniel und warnt davor, Suchtbehandlungen als "verschiebbar" einzustufen: Wenn die Aufnahmesituation so bleibt wie aktuell, "könnte das zu einem Versorgungsproblem führen".

Die Pandemie wird einen Nachhall haben

Drogensucht sei eine psychische Erkrankung, und Behandlungskontinuität spiele eine bedeutsame Rolle, sagt Georg Riffer, ärztlicher Leiter des Therapiezentrums Waldviertel. Durch Schließungen seien Behandlungen vorzeitig beendet worden, neue könnten teilweise nicht sofort begonnen werden. "40 Prozent unserer Patienten sind suizidgefährdet, wenn sie zu uns kommen", sagt Riffer. "Man muss sich also sehr genau überlegen, wie lange man die Einrichtungen geschlossen hält."

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) hat bereits angekündigt, dass die Spitäler im Laufe des Mai schrittweise wieder auf Normalbetrieb hochgefahren werden sollen – auch Reha-Zentren sollen ab 4. Mai wieder öffnen dürfen. Damit könnte die Versorgungslage für Suchtkranke bald wieder besser werden. "Die Bedrohung der Pandemie wird aber noch steigen", meint Georg Psota, Leiter des Psychosozialen Dienstes der Stadt Wien.

Schon jetzt zeichne sich ein Anstieg im Bereich der Angsterkrankungen und Depressionen ab. Leiter von Suchthilfeeinrichtungen in den Bundesländern erwarten einen Anstieg der Behandlungsanfragen in den nächsten Monaten. Die lange Zeit der Isolation, finanzielle Sorgen und womöglich zusätzlich beengte Wohnsituationen gehen nicht spurlos an den Menschen vorüber. Das wahre Ausmaß der Krise werde sich daher erst in einigen Monaten zeigen, meint Psota. "Das wird auf jeden Fall einen Nachhall haben." (Johannes Pucher, 30.4.2020)