Formeller Baubeginn für das Ö3/Ö1-Haus und den multimedialen Newsroom auf dem Küniglberg Anfang 2020: Projektleiter Pius Strobl (links) und ORF-General Alexander Wrabetz.

Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

ORF-Chef Alexander Wrabetz wollte die längste Zeit weg vom Küniglberg und den ORF in St. Marx neu bauen, wie sich das vor allem die Stadt Wien wünschte. Und derselbe Alexander Wrabetz holt sich nun die Kritik des Rechnungshofs ab, dass der ORF das alte, baufällige ORF-Zentrum auf dem Küniglberg saniert hat, statt neu zu bauen. Das Schicksal eines letztverantwortlichen Alleingeschäftsführers, der sich nicht gegen durchaus politische Mehrheiten in seinem Aufsichtsgremium und gegen seinen Finanzdirektor durchsetzte.

ORF hätte Neubau ernsthafter prüfen müssen

Der Rechnungshof kommt in seinem am Freitag vorgelegten Prüfbericht über die erste Phase des 303,7 Millionen Euro schweren Bauprojekts von 2012 bis 2016 zum Schluss: Der ORF hätte einen kompletten Neubau ernsthafter prüfen müssen.

Der ORF-Stiftungsrat hat 2012 für die Sanierung des bestehenden ORF-Zentrums und einen – später an der Flächenwidmung und Anrainerprotesten gescheiterten – Zubau dort entschieden statt für einen Neubau. Als neuer Standort war vor allem das ehemalige Schlachthofareal in St. Marx im dritten Wiener Bezirk über Jahre Thema, aber auch andere, zentralere Flächen wie am Zentralbahnhof. Die Entscheidung habe die ORF-Geschäftsführung ohne umfassende Analyse der Vor- und Nachteile eines Neubaus getroffen, kritisiert der Rechnungshof.

Kein Rückenwind durch Bundes-SPÖ

Wrabetz favorisierte lange einen – von Wien gewünschten – Neubau im Stadtentwicklungsgebiet St. Marx ("Media Quarter"). Dagegen positionierten sich in den 2010er-Jahren die bürgerliche Hietzinger Bezirksvertretung, die Wiener ÖVP, die (damals zweitgrößte) ÖVP-Fraktion im ORF-Stiftungsrat und der damals wichtigste Mann der ÖVP im ORF-Management, Finanzdirektor Richard Grasl. Dazu gesellte sich die Bundes-SPÖ: Der damalige SPÖ-Chef und Bundeskanzler Werner Faymann soll – offenbar in Sorge vor einem skandalträchtigen Großbauprojekt – dem ORF-Projekt St. Marx auch eher reserviert gegenübergestanden sein.

Das Ergebnis: Der ORF entschied sich für Sanierung und Umbau des denkmalgeschützten und teils einsturzgefährdeten ORF-Zentrums von Roland Rainer aus den späten 1960er- und frühen 1970er-Jahren. Zunächst ohne kundigen Projektleiter mit ausreichend Durchgriffsrechten – entsprechend lief der erste Abschnitt auch gleich aus dem Ruder.

"Erwartungsgemäß" nannte ORF-General Wrabetz die Kritik des Rechnungshofs an den Kostenüberschreitungen für den großen Haupttrakt des ORF-Zentrums vor einem Jahr, als die Staatsprüfer ihren Rohbericht zum ORF-Bauprojekt vorlegten. Der Rechnungshof verweist auch im abschließenden Bericht darauf, dass die Schäden an den ORF-Gebäuden schon seit 2004 bekannt gewesen seien. Bis zur tatsächlichen Sanierung sei zu viel Zeit verstrichen, fanden die Prüfer.

Wrabetz verweist auf Kostenrahmen

Der "unmittelbare Handlungsbedarf" mit "Gefahr für Leib und Leben" sei erst 2012 offensichtlich geworden, erklärte Wrabetz seinen Stiftungsräten 2019 zum Rohbericht. Und: Man habe aus dem teuer sanierten Objekt 1 gelernt und entsprechend reagiert. Inzwischen engagierte Wrabetz den Immobilien- und Projektprofi Pius Strobl, das Vorhaben bleibt nach allen Zwischenberichten seither im geplanten Kostenrahmen von 303,7 Millionen.

Der Rechnungshof kritisiert in seinem am Freitag vorgelegten abschließenden Prüfbericht vor allem die Entscheidungsfindung. Für den Neubau an der Südosttangente hätten der Denkmalschutz auf dem Küniglberg, Synergieeffekte und "gute Verkehrsanbindung" gesprochen. Im Stiftungsrat habe sich aber eine "breite Mehrheit" dafür gefunden, resümiert der Rechnungshof. Der ORF habe öffentliche Ablehnung für den neuen Standort befürchtet und deshalb Nachteile für das Unternehmen.

Aber, so ließen die Staatsprüfer am Freitag verlauten: "Der Rechnungshof Österreich kann die Argumente für die Entscheidung der Konsolidierung am Standort Küniglberg nicht ausreichend nachvollziehen. Alle Szenarien hätten hinsichtlich Kosten, Risiken sowie Vor- und Nachteilen bewertet und beurteilt werden müssen. Eine umfassende Risikoanalyse und Risikobewertung fehlte."

Update um 13.00 Uhr: Reaktion des ORF

Der ORF betonte einerseits, die meisten Empfehlungen schon umgesetzt zu haben, wies andererseits etliche Kritikpunkte zurück. Heute merkte der ORF in einer Stellungnahme an, dass die Entscheidung für die Konsolidierung auf Grundlage umfangreicher strategischer und wirtschaftlicher Prüfungen sowie intensiver Abstimmung mit internen Arbeitsgruppen und externen Experten erfolgt sei und dabei alle damals plausiblen Szenarien berücksichtigt worden seien. Da die beiden Varianten Konsolidierung und Neubau wirtschaftlich nahezu gleichwertig gewesen seien, sei selbstverständlich auch die Akzeptanz der Öffentlichkeit, der Mitarbeiter und der Gremien ein wichtiger Faktor gewesen.

Der ORF habe anfänglich die Komplexität und den Aufwand der Sanierung unterschätzt, kritisiert der Rechnungshof. Hintergrund dafür sei der vom ORF selbst verschuldete Zeitdruck gewesen. Schließlich sei der Sanierungsbedarf seit 2004 bekannt gewesen.

Dem hält das Unternehmen heute entgegen, dass auch Gutachten entsprechende Fristen von bis zu drei Jahren für die Umsetzung vorsahen und keine "Gefahr im Verzug" ausgewiesen hätten. Erst im Jahr 2012 sei dann durch ein weiteres Gutachten, das Basis für die durchzuführenden Sanierungen sein sollte, unmittelbarer Handlungsbedarf entstanden, dem der ORF dann sofort nachgekommen sei. Die Organisationsprobleme sieht man dann auch im Zeitdruck begründet, entsprechende Defizite seien mittlerweile aber behoben worden.

Verkehrskonzept vermisst

Nun geht es um den Umgang mit der Standortentscheidung, und auch da hat der Rechnungshof Kritikpunkte: Der Küniglberg als zentraler ORF-Standort mit Radio (bisher in Heiligenstadt und im Funkhaus) erfordere ein Verkehrskonzept zwischen Stadt Wien und ORF – für immerhin bis zu 860 Mitarbeiter mehr auf dem Küniglberg. Die zuständige Stadträtin, die Bezirksvertretung von Hietzing und der ORF hätten sich aber bisher auf kein Verkehrskonzept einigen können, moniert der Rechnungshof. Er empfiehlt, dass die Stadt Wien und der ORF die Gespräche zur Ausarbeitung eines Verkehrs- und Mobilitätskonzepts nach der Corona- Krise "wieder vorantreiben".

Reaktion: Das Verkehrskonzept, heißt es im ORF, sei inzwischen großteils erledigt in dem Jahr zwischen Rohbericht und Freitag veröffentlichtem Endbericht: Zwei zusätzliche öffentliche Buslinien fahren den ORF an, die ORF-Mitarbeiter hätten inzwischen 1600 "Job-Tickets" (Jahreskarten der Wiener Linien für 65 Euro für die Mitarbeiter, 300 Euro übernimmt der ORF). Und für die Mitarbeiter von Ö3 und Ö1, die 2022 auf den Küniglberg ziehen sollen, gebe es noch ausreichend freie Stellplätze auf dem ORF-Gelände. (fid, 17.4.2020)