Sieht der Hund auf eine Wurst, oder zeigt der Mensch einem Hund eine Wurst?

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Im Zuge der Ausbreitung des Coronavirus setzte der US-Präsident Donald Trump Anfang März die Symptome der Infektion mit einer saisonalen Grippe gleich:

"So you can’t put them down in the category of the overall population in terms of this Corona flu."

Für diese Aussage wurde der Präsident heftig gescholten. Statt die Aufmerksamkeit auf die drohende Gefahr zu richten, wiegt die Aussage uns in falscher Sicherheit. Grippe hat es schon oft gegeben. Meist war sie harmlos.

Das Beispiel zeigt, dass Sprache Aufmerksamkeit und Wahrnehmung auf angesprochene Inhalte lenkt. In diesem Augenblick erfassen Sie zum Beispiel den vorliegenden Text und spüren die Kleidung auf Ihrer Haut kaum. Aber merken Sie, dass die Sprache das ändert und wie sie Ihre Aufmerksamkeit steuert? Spreche ich Ihre Hautempfindung an, nehmen Sie diese auch wahr. Noch ein Beispiel: Wenn wir in einem Bilderbuch lesen, dass der Hund mit den Würsten davonläuft und der Fleischhauer hinterher, schauen wir zuerst den Hund und dann den Fleischhauer an. Ist der Satz aber so formuliert, dass der Fleischhauer den Hund verfolgt, betrachten wir erst den Fleischhauer und dann den Hund.

Grammatik setzt dem Geist Grenzen

Wir haben die koreanische und die deutsche Sprache verglichen. Wie im Deutschen verlangt die Grammatik im Koreanischen bei der Satzbildung ein Verb. "Ich einige Nüsse in die Schüssel" ist ohne Verb kein Satz. Hingegen ist "Ich gebe einige Nüsse in die Schüssel", mit Verb, ein vollständiger Satz. Anders als im Deutschen unterscheiden koreanische Verben aber immer zwischen räumlich engen und lockeren Umschließungen von Gegenständen. Werden zum Beispiel Nüsse in eine Schüssel gegeben, die Nüsse also nur locker umschlossen, wird im Koreanischen das Verb "netha" oder "notha" verwendet. Wird hingegen beispielsweise Teig in eine Schüssel gegeben, der Teig also eng umschlossen, muss das Verb "kkita" verwendet werden. Auch im Deutschen können wir zwischen locker und eng unterscheiden. Aber anders als im Koreanischen, ist die Unterscheidung im Deutschen nicht zwingend, keine strenge grammatische Regel. Im Deutschen würden wir sagen, dass die Dinge in die Schüssel gegeben werden, egal ob Nüsse oder Teig. Wie gut diese Dinge die Schüssel ausfüllen, müssen wir dabei nicht angeben. Wir haben gezeigt, dass diese grammatischen Unterschiede auch die Wahrnehmung beeinflussen: Koreaner*innen bemerken enge und lockere Umschließungen, wohingegen Österreicher*innen diese nicht auffallen.

Eine Frage der Perspektive

Die Sprache beeinflusst auch viele andere geistige Prozesse. Beispielsweise wirkt sich die Leserichtung auf die Vorstellung von Zeit aus. In Westeuropa und den USA verläuft die Zeit in der Vorstellung von links nach rechts, in einer Sprache wie dem Hebräischen hingegen von rechts nach links. Auch Farbwahrnehmung wird von Sprache beeinflusst. Russisch sprechende Personen können zum Beispiel schneller zwischen hellem und dunklem Blau unterscheiden, weil diese Farben im Russischen unterschiedlich bezeichnet werden.

Die Wirkung von Sprache auf den Geist ist somit vielfältig und teils auch unbewusst. Sprache ermöglicht es uns, auf abwesende Gegenstände Bezug zu nehmen und diese zu erfassen und zu reflektieren. Auch geistige Zustände können so unterschieden werden. So verwenden wir den Begriff der Freude, wenn wir uns auf die Gegenwart oder die Vergangenheit beziehen. Aber für auf die Zukunft gerichtete Gefühle verwenden wir den Begriff Vorfreude oder Hoffnung. All das schafft die Sprache durch ihr Vermögen, unsere Wahrnehmung direkt auf ihren Gegenstand zu lenken. Sie kann uns daher das Wesentliche vor Augen führen, aber auch vom Relevanten ablenken.

Was wollte Trump?

Bleibt die Frage, was Trump mit seinem Grippevergleich bezwecken wollte. Wollte er uns Mut machen? Optimismus verbreiten? Wenn ja, ist er übers Ziel hinausgeschossen. Vielleicht können wir etwas reflektierter formulieren? Hier ein Vorschlag: Versuchen wir es doch einmal mit "Corona-Zeit" statt mit "Corona-Krise". Wir betonen dann nicht nur das Negative und heben den Blick auf die Zukunft. Das ist tröstlich und macht Mut. Vielleicht lässt sich nach der Corona-Zeit von uns erzählen, dass wir uns der Infektion entschlossen entgegengestellt und das Schlimmste verhindert haben, als es darauf ankam? Das wäre eine schöne Geschichte. Achten Sie bewusst auf Ihre eigene Sprache, um sich selbst oder gar andere zu beeinflussen? Welche weiteren Beispiele aus anderen Sprachräumen, wie die russischen Bezeichnungen für Blau oder die koreanischen Umschließungen von Gegenständen, fallen Ihnen ein? (Ulrich Ansorge, 21.4.2020)