Bis auf Weiteres finden Auktionen weltweit – so auch im Dorotheum in Wien – nur online statt.

Foto: Dorotheum

Der Shutdown des Kunstmarktes fördert derzeit teils verblüffende Gegensätze unter den Protagonisten des Handels zutage. Die einen verfallen in eine verzweifelt anmutende Form von Aktionismus, die anderen beginnen, bislang erfolgreiche Strukturen und Dogmen zu hinterfragen.

Zu ersterer Gruppe gehören jene, die ihre Klientel seit einem Monat mit Newslettern bombardieren, wenigstens einmal wöchentlich, wenn nicht sogar täglich. Unter Titeln wie "An Artwork a Day", "Couch Gallery", "Künstlerporträts" oder "Highlights" informieren sie über ihre Programme, verheißen "Mit einem Klick zur Kunst frei Haus" oder bieten "kontaktloses Probehängen".

Überlebenskampf

In Summe mag das ein Overload für potenzielle Interessenten sein. Den eifrigen Absendern wird man das in Corona-Zeiten nachsehen müssen. Es ist eine der wenigen Chancen, den Kundenkontakt aufrechtzuerhalten, während man, wie in anderen Branchen auch, um das geschäftliche Überleben kämpft.

Denn so viel konnten die Margen aus Verkäufen seit Jahresbeginn gar nicht bringen, um die laufenden Kosten jetzt noch decken zu können. Neben behördlich verordneten Schließungen wiegt der Ausfall der Messesaison am schwersten. Der wirtschaftliche Aspekt ist in der gegenwärtigen Krise für viele die mit Abstand größte Bedrohung.

Zeitgleich üben sich andere aus unterschiedlichen Gründen in Reflexion. Etwa Marc Glimcher, Präsident und CEO der Pace Gallery (New York, London, Genf), der über Artnews einen persönlichen Einblick in seine letzten Wochen gewährte: von den ersten Symptomen seiner Covid-19-Erkrankung am 4. März bis zum Höhepunkt am 19. Krankheitstag um drei Uhr morgens, als seine Angst zur Panik eskalierte.

Isolation und Einsicht

"Wie bei den meisten Menschen, die auch nur im Entferntesten mit der Sterblichkeit konfrontiert sind", waren die "Berechnungen der Miete, der Lohnabrechnung, der Versicherung" von einem Moment auf den anderen nicht mehr von Bedeutung, stattdessen: "Was würde ich vermissen, wen würde ich vermissen, was habe ich beigetragen?"

Während sich Glimchers Welt in der Isolation verengte, veränderte sich die Kunstwelt in bislang unbekannter Weise. Auch seine Galerie nutzte die Technologie und das Internet, um die Präsenz ihrer Künstler aufrechtzuerhalten, während die bisherigen Systeme von Ausstellungen, Kunstmessen, Auktionen und Museumsausstellungen verschwanden.

Pace ist nur eine von tausenden Galerien, die ihre Onlinepräsenz mit virtuellen Ausstellungen bespielt, auf "dass sie in einer neu isolierten Kunstwelt Widerhall finden". "Gerade der Kommerz, der uns am Leben erhalten sollte, begann in der Welt, in der wir uns jetzt befanden, surrealistisch zu wirken", schildert er. Sein Resümee: "Innerhalb einer Woche wurden die Gespräche mit Sammlern über den Kauf von Werken von fruchtlos zu geschmacklos."

Solidarische Gemeinschaft

Dieser Tage meldet sich auch Lorenzo Rudolf mit einem Essay zu Wort. Er gilt als Macher der Art Basel, der von 1991 bis 2000 die weltweite Expansion der Messe einleitete, die für ihr strenges Auswahlverfahren für Aussteller bis heute berüchtigt ist. Der Schweizer, Jahrgang 1959 hatte auch das Potenzial des asiatischen Marktes früh erkannt. Noch bevor 2013 die erste Art Basel Hongkong stattfand, hob Lorenzo 2007 die ShContemporary (Schanghai) und 2010 die Art Stage Singapore aus der Taufe.

Sein damaliges Credo: Der Markt expandiere ständig und in rasantem Tempo, den damit einhergehenden wachsenden Bedürfnissen von Künstlern, Galeristen und Sammlern müsse folglich entsprochen werden. Rudolf war einer der Regisseure, nun sinniert er über seine ehemalige Spielwiese. Über eine Kunstwelt "als solidarische globale Gemeinschaft" mit "ideellen und akademischen und weniger vom absoluten Imperativ des Kunstmarkts diktierten Werten".

"Hemmungslose Gier"

Er reflektiert den Kunstmarkt "als verantwortungsbewusste internationale Drehscheibe, basierend auf gegenseitigem Respekt, Toleranz und Akzeptanz, und weniger als Nullsummenspiel, jeder für sich selbst ... und gegen den Rest". Und sollte man die Kunst nicht wieder "vermehrt als authentisches, tiefsinniges und inspirierendes Kulturgut und weniger als gehyptes Spekulationsobjekt oder trendiges Luxusprodukt" wahrnehmen?

Nach 30 Jahren im Geschäft ist der 61-Jährige überzeugt: "Die Zeiten der hemmungslosen Gier nach Profit, nach Macht und nach neuen Rekorden dürfte für lange vorbei sein. Was jetzt zählt, ist Demut, Zusammenhalt und Verantwortungsbewusstsein." Ob solche Einsichten dem internationalen Kunstmarkt eine neue Ära bescheren, wird sich weisen. Dass da und dort allein durch die weitgreifende Entschleunigung ein Umdenken stattfindet, ist hingegen evident.

Untertouriges Auktionsbusiness

Auch das Auktionsbusiness läuft Corona-bedingt weltweit untertourig, wenn überhaupt, dann finden Onlineauktionen statt. Seit Mitte Februar verschoben die Marktgiganten Christie’s und Sotheby’s bereits mehrmals die wichtigsten, weil lukrativsten Versteigerungen. Erste Mitarbeiter wurden gekündigt, wie viele noch folgen, ist momentan nicht absehbar. Die Situation in den internationalen Kernmärkten ist weniger trostlos als eher verheerend. Kein Wunder angesichts der dramatischen Entwicklung der Pandemie, in der engagierte Sammler tendenziell andere Prioritäten haben dürften.

Manche vertreiben sich die Ausgangsbeschränkungen durchaus mit Kunstkäufen bei Onlineversteigerungen. Die daraus lukrierten Provisionen decken allerdings nicht die laufenden Kosten der großen Auktionshäuser. Sie setzen deshalb verstärkt auf "private sales" ohne öffentliches Publikum. Zeitgleich wurden reihenweise Niederlassungen in Europa geschlossen – vorerst vorübergehend, vielleicht aber auch für immer. Die Aussichten sind düster, der Alltag kompliziert. Momentan können weder neu akquirierte noch bereits verkaufte Kunstwerke transportiert werden.

Dass die gegenwärtige Krise, wie all jene in der Vergangenheit schon, global sowohl Vermögen als auch hochrangige Meisterwerke in den Markt spülen wird, ist gesichert. Die Frage ist nur, wann und wer bis dahin seinen Betrieb aufrechterhalten kann. So weit der Status an der internationalen Front.

Situation in Österreich

Hierzulande, wo man sich sonst gerne in Optimismus übt, allein um der potenziellen Klientel nur ja nicht die Laune am Kunstkauf zu verderben, gibt man sich momentan eher pragmatisch. Man nutzt Verkaufsmöglichkeiten, die nicht explizit verboten sind. Will heißen: Onlineauktionen und "by appointment".

Die wichtigen Versteigerungen wurden sowohl vom Dorotheum, wo 80 Prozent der Mitarbeiter zur Kurzarbeit angemeldet wurden (Stand 10. April 2020), als auch von "im Kinsky" in den Juni verschoben. Falls die Corona-Verordnungen bis dahin nicht gelockert werden, bleibt es bei Onlineauktionen mit Livestream. Trotz Schließung waren und sind beide Häuser für Kunden erreichbar. Anfang Mai wird man, unter Einhaltung aller behördlichen Vorgaben, wieder öffnen.

Die seit Anfang der Woche gültige Lockerung für den Handel gilt auch für Galerien und Kunsthändler mit einer Kundenfläche von maximal 400 m2. Mangels Touristen, die seit jeher die wichtigsten Laufkunden waren, werden die Verkäufe überschaubar bleiben. Viele halten sich derzeit mit Überbrückungskrediten über Wasser.

Absetzbarkeit von Kunstkäufen

Für das Hochfahren des Kunsthandels in Österreich, der unzählige Dienstleistungsbranchen nährt, Steuern abwirft und ein wichtiger Arbeitgeber ist, wird es seitens der Politik wohl Unterstützung geben müssen. Es sei denn, man riskiert unzählige Insolvenzen und Arbeitslose.

Eine Reduktion der Umsatzsteuer auf höchstens zehn Prozent wäre wünschenswert, wenngleich nur ein kleines Trostpflaster. Eine Erhöhung der Galerienförderung und auch der Ankaufsbudgets der Museen wäre hilfreich.

Die mit Abstand effektivste Maßnahme wäre jedoch die steuerliche Absetzbarkeit von Kunstankäufen. Das sei ein wichtiges Mittel zur Konjunkturbelebung, ist Sepp Schellhorn von den Neos überzeugt, die das schon seit Monaten in ihrem Kunst- und Kulturprogramm fordern. Jetzt wäre der perfekte Zeitpunkt zur Umsetzung. Davon würde nicht nur der Handel nachhaltig profitieren, sondern besonders auch die von der Corona-Krise stark betroffenen Künstler. (Olga Kronsteiner, 18.4.2020)