Licht am Ende des Tunnels? Viele Arbeitnehmer sehen keines.

Foto: Imago / Hans-Günther Oed

Die Hiobsbotschaft kam mit Verzögerung. "Bleib einmal zu Hause!", hat der Chef vor einem Monat seinem Arbeiter geraten, solange halt, bis die Baustelle wieder aufsperrt. Als dieser, da es nun so weit war, dort auftauchte, setzte es eine böse Überraschung: "Was tust du hier? Du bist seit Wochen abgemeldet."

Um zu retten, was zu retten ist, bittet der Gefeuerte vor einem gelben Haus am Währinger Gürtel um Einlass. Die automatische Schiebetür am Eingang lässt sich nur von innen auslösen, zwei mit Mundschutz und Gelbwesten adjustierte Torwächter nehmen Besucher in Empfang.

Schilder in acht Sprachen mahnen, möglichst nicht persönlich aufzukreuzen, doch letztlich wird der Bauarbeiter vorgelassen. Der Betreuer am Schalter macht vorsichtig Mut: Corona-Sonderregelungen könnten helfen, dass der Klient nicht um die ganzen vier Wochen Arbeitslosengeld umfällt.

Es sind hauptsächlich Migranten, die an diesem Vormittag beim Arbeitsmarktservice Wien im neunten Bezirk landen. Persönliche Vorsprache ist in allen Geschäftsstellen nur noch für Kunden gedacht, denen es an Deutschkenntnissen oder Internetzugang mangelt, das Gros der Anfragen wird per Telefon bearbeitet – und das im Akkord. Gut 80.000 Anrufe ereilte das AMS in der Bundeshauptstadt innerhalb eines Tages nach dem Lockdown. Das Telefonnetz brach zusammen.

Verzweifelte Kleinverdiener

Nathalie de Wilde ist für viele, die hier Arbeitslosengeld beantragen, die erste Ansprechpartnerin. Die Mitarbeiterin der Serviceline erzählt von Ehepaaren, die sich um das Auskommen ihrer Familien sorgen, von verzweifelten Kleinverdienern, die nicht wissen, wovon sie ihr Essen bezahlen sollen, und von schwer Erkrankten, deren Versicherungsschutz ausläuft.

Etliche Probleme, wie die Freischaltung einer E-Card, ließen sich rasch lösen. Auf andere Fragen wusste auch das AMS anfangs keine Antwort. Die Politik eilte mit Lösungen voran, deren Umsetzung in der Praxis noch hakte.

Einfach nur reden

Manchmal, sagt de Wilde, helfe es den Leuten auch einfach nur, dass da jemand ist, der ihnen zuhört. Sich selbst emotional von den vielen Schicksalsschlägen abzugrenzen, mit denen sie täglich konfrontiert werde, sei nicht einfach. Zweieinhalb Minuten sollte ein Servicegespräch laut den statistischen Vorgaben dauern – in Zeiten des Virus ein oft gesprengter Rahmen.

Für so manchen Arbeitnehmer sei in den vergangenen Wochen Unvorstellbares eingetreten, sagt Alois Oberhauser, der Gäste mit einem Corona-korrekten Ellbogenstupser begrüßt. Der Leiter der Dependance am Währinger Gürtel feierte im Vorjahr sein 40-Jahr-Dienstjubiläum, doch einen derartigen Einbruch hat er noch nie erlebt.

Normalerweise schlitterten vielfach Menschen in die Arbeitslosigkeit, die in der Firma als verzichtbar gelten, erzählt Oberhauser: "Diesmal trifft es aber querbeet auch Leute, deren Leistung nie bemängelt wurde. Die haben ihren Lebtag nicht damit gerechnet, den Job zu verlieren."

Breit gestreute Misere

200.000 Arbeitslose mehr zählte das AMS Ende des Vormonats im Vergleich zum März 2019 – ein Anstieg von 66 Prozent, der nicht nur auf das Konto der üblichen Verdächtigen geht. Dass Arbeitnehmer mit maximal Pflichtschulabschluss die weitaus höchste Arbeitslosenrate aufweisen, ist quasi ein Naturgesetz, der aktuelle Zuwachs aber gewichtet sich anders.

Das größte Plus verbuchen Lehrlinge mit 79 Prozent, gefolgt von Personen mit mittlerer Ausbildung (63 Prozent). Am besten schneiden Akademiker ab, doch auch hier fällt der Anstieg mit 31 Prozent massiv aus – was den Stillstand in der Kultur- und Unterhaltungsbranche widerspiegelt.

Breit gestreut sei die Misere, sagt Helmut Mahringer vom Wirtschaftsforschungsinstitut: "Dass ganze Belegschaften mit einem Schlag gekündigt werden, ist eine Besonderheit dieser Krise."

Drei Monate Wartezeit

Auf 55 Prozent des Nettoeinkommens rasseln Arbeitslose herunter, nach gewissen Fristen setzt die noch etwas niedrigere Notstandshilfe ein. Letztes Netz für Menschen ohne Anspruch ist die Mindestsicherung, die für Alleinstehende in der Regel 917 Euro beträgt. Doch Neuansucher müssen bis zu drei Monate warten, ehe Geld fließt.

Wer nicht über die Runden kommt, kann auf den Härtefonds der Regierung hoffen – und auf Unterstützung von Hilfsorganisationen. Bei der Sozialberatung der Caritas Wien hat sich die Anruferzahl in der Krise verdoppelt.

Unter den Bedürftigen finden sich Unternehmensgründer, die von einem Tag auf den anderen Kredite nicht mehr bedienen können, ebenso wie Familien, für die allein der Wegfall des günstigen Kindergartenessens ein schwerer Schlag ist. Neuerdings, erzählt Generalsekretär Klaus Schwertner, riefen auch Sexarbeiterinnen an, die völlig in der Luft hingen.

Hoffen auf Comeback

Schwertner warnt davor, Notprogramme nur auf Erwerbstätige zu fokussieren. Wer schon bisher von der Mindestsicherung lebte, dem beschere Corona zwar keinen direkten Einkommenseinbruch, sehr wohl aber indirekte Nachteile – etwa indem die Kinder in der Schule weiter abgehängt werden, als es ohnehin schon der Fall ist.

Und dennoch: Nicht jede Prognose fällt düster aus. Dauert der Shutdown nicht zu lange, glaubt AMS-Leiter Oberhauser, dann hätten viele Arbeitslose von heute die Chance, morgen wieder bei der alten Firma unterzukommen. (Gerald John, Verena Kainrath, 18.4.2020)