Reinhold Schärf, Kaffeekönig: "Da hilft auch kein Kredit mehr"

Zog in der Krise die Reißleine: der Unternehmer Reinhold Schärf.
Foto: privat

An Kraft habe es ihm nie gefehlt, sagt Reinhold Schärf. "Aber wer so hart getroffen wird, kann nur noch die Reißleine ziehen, sonst macht man sich strafbar." 44 Jahre lang führte der Niederösterreicher die Geschäfte der Familiendynastie Schärf. Als Kaffeekönig ist er gemeinhin bekannt, doch nun ist das Herzstück der Unternehmensgruppe pleite.

"Der Glanz, den wir uns über die Jahrzehnte aufgebaut haben, der ist weg, und er wird auch nicht mehr kommen", resümiert Schärf nüchtern und gibt sich keiner Illusion hin, dass nach Corona alles besser wird. Er will retten, was zu retten ist, "schließlich fließt immer noch Unternehmerblut in mir. Auch kann ich ohne meinen Kaffee nicht leben." Zu alter Größe zurückzukehren sei aber unmöglich.

Schärf röstet Bohnen, stattet die Gastronomie mit Kaffeemaschinen aus und ist mit 250 Coffeeshops in mehr als 20 Ländern vertreten. Die Kaffeehausfilialen sind von der Insolvenz unberührt. Die Betriebe Alexander Schärf & Söhne und The Art of Coffee sind hingegen zahlungsunfähig. Ihre Schulden summieren sich auf zehn Millionen Euro. 250 Gläubiger und 86 Mitarbeiter sind betroffen.

Schärf ist Komplettausstatter für die Gastronomie – das fällt ihm nun auf den Kopf. Wirte verfielen angesichts der Corona-Krise weltweit ins Wachkoma. Alle internationalen Messen, auf denen er seine Gastromaschinen verkauft, sind abgesagt. "Bricht der Umsatz auf 15 Prozent ein, hilft auch kein Überbrückungskredit mehr." Geld der Banken ist an Prognosen geknüpft. Und diese wagt Schärf seit Covid-19 nicht mehr zu treffen. Es mangle nicht an Eigenkapital, sagt er. "Wir scheitern an der Liquidität." Er habe zuletzt viel privates Geld ins Unternehmen investiert. Weitere zwei bis drei Millionen Euro könne er nicht riskieren.

Die Konkursanmeldung vor zwei Wochen war ein Schock, sagt Schärf. Es gehe ihm dabei um keine Entschuldung, die Krise habe ihn schlicht auf dem falschen Fuß erwischt. "Vielleicht musste uns Corona passieren, um zu lernen, dass es im Leben nicht nur um Wachstum geht." (Verena Kainrath, 18.4.2020)


Gregor Ulrich, Nachhilfelehrer: "Ich fühle mich wie Hiob aus der Bibel"

Verscherbelt Hab und Gut, um über die Runden zu kommen: Pädagoge Ulrich.

Das Unglück machte sich als Erstes in der Nase bemerkbar. "Ein Geruch wie von drei Leichen" schlug Gregor Ulrich entgegen, als er neulich seinen Eiskasten aufklappte. Das eingelagerte Fleisch – alles verdorben.

Ein kaputtes Küchengerät bereitet Ulrich auch in normalen Zeiten Sorgen, nun aber drängt sich das Wort Katastrophe auf. Er jammere nicht, schickt der 54-Jährige voraus, doch seit dem Ausbruch der Corona-Krise fühle er sich mitunter schon wie Hiob aus der Bibel, der einen Schlag nach dem anderen einstecke und dennoch sage: "Ich preise Gott."

Vor wenigen Wochen noch wähnte sich Ulrich auf dem aufsteigenden Ast. Die Depression, in die ihn der Tod der Mutter und anderer Verwandter gestürzt hatte, schien weitgehend überwunden, der ehemalige Förderlehrer an Volksschulen hatte sich ein neues Standbein aufgebaut. Über den von ihm gegründeten Verein Wiener Lerndrehscheibe bot Ulrich Kindern gegen Spenden Nachhilfe an. Was von 300 bis 400 Euro Umsatz im Monat netto überblieb, bescherte ihm ein Zubrot zur Notstandshilfe von 660 Euro.

Ulrich schickte sich gerade an, den Sprung ins reguläre Unternehmertum zu wagen, da vertrieb das Virus die Kundschaft. Von zwölf Schützlingen blieb dem Pädagogen ein einziger via Skype – womit auch das Zusatzeinkommen weggebrochen ist. Die Wohnkosten fressen die Notstandshilfe fast auf, Ulrich hat Mindestsicherung beantragt. Doch die Bewilligung kann drei Monate dauern.

Wie viele andere miste er nun seine Wohnung aus, erzählt der Alleinstehende, nur dass er dabei nicht Überflüssiges, sondern Verwertbares suche. Geschirr, die Küchenwaage, die Sammlung alter Straßenbahnerkappen – vielleicht bringt das auf willhaben.at ja Geld?

Die Caritas hat ihm unter die Arme gegriffen, das Gleiche tun Nachbarn und Freunde – einer will sogar beim Eiskasten aushelfen. "Ich bin mittlerweile wieder eher zuversichtlich", sagt Ulrich: "Denn Nachhilfe wird nach der Krise ja mehr denn je gebraucht werden." (Gerald John, 18.4.2020)


Ursula Leitner, freie Künstlerin: "Ich arbeite komplett ins Blaue hinein"

Ursula Leitner ist freie Theaterregisseurin. Alle Projekte sind abgesagt.
Foto: Reinhard Maximilian Werner

Es hätte ein richtig gutes Jahr werden können. Drei Regiearbeiten im ersten Halbjahr, eine im zweiten, dazu Wiederaufnahmen und szenische Lesungen. Ursula Leitner (32) ist seit sechs Jahren freischaffende Regisseurin. Den Sprung in die Selbstständigkeit hat sie aber erst heuer gewagt.

"Der Zeitpunkt hätte nicht blöder sein können", sagt sie und zählt die Theaterproduktionen auf, die in den vergangenen Wochen abgesagt werden mussten. Das Stationendrama Sherlock Holmes der freien Gruppe Handicapped Unicorns Niederösterreich im Erlebniskeller Retz: zwei Wochen vor der Premiere abgesagt. Alle 21 Vorstellungen waren zu diesem Zeitpunkt bereits ausverkauft, 1000 Karten mussten refundiert werden. Entgangene Gesamteinnahmen: 50.000 Euro

Eine szenische Lesung mit sechs Schauspielern, bei der im Wiener Kosmos Theater fünf neue Autorinnen hätten vorgestellt werden sollen: ebenso abgesagt. Genauso wie die Premiere des Schüler Gerber im Theater Westliches Weinviertel im April. Bei manchen Produktionen wurde immerhin die Vorbereitungszeit bezahlt, im Fall von Sherlock Holmes aliquot die Probenzeit. Das waren 1000 Euro.

Ein Betrag, von dem Leitner einige Zeit leben kann. Die Niederösterreicherin sitzt derzeit in ihrer Wohnung in Floridsdorf und versucht sich, so gut es geht, zu beschäftigen. Beim Künstlersozialversicherungsfonds hat sie um Hilfe angesucht, für zukünftige Projekte wälzt sie Ideen. "Ich arbeite derzeit komplett ins Blaue hinein", sagt sie. Niemand weiß, wie es mit kleinen Theatern und den vielen freien Gruppen weitergeht.

6000 Euro habe sie die Krise unmittelbar gekostet, sagt sie, die Angst, dass zwar großen Theaterhäusern, nicht aber freien Kulturschaffenden die Verluste abgegolten werden, sei groß. Wie sie es finanziell über die kommenden Monate schaffe? "Ich habe mir ein bisschen was zur Seite gelegt", sagt sie. Das sei in ihrem Beruf überlebensnotwendig. Auch in normalen Zeiten. Erst recht aber jetzt. (Stephan Hilpold, 18.4.2020)


Carla Apschner, Social Business: "Wir müssen hoffen, dass die Zusagen halten"

Carla Apschner und das Team von Sindbad hoffen auf bessere Zeiten.
Foto: Sindbad

Grundsätzlich, sagt Carla Apschner in Graz, seien sie bei Sindbad hoffnungsfroh. Sie hätten Zusagen, dass man ihre Dienste auch nach der Krise weiter benötigen werde. Grundsätzlich, sagt auch Matthias Lovrek in Wien, sei das schon richtig – aber genau wisse man es eben nicht. Und diese Unsicherheit sei eine "riesige Herausforderung".

Das mit der Herausforderung ist den jungen Macherinnen und Machern von Sindbad (alle unter 30) ja nicht fremd, allein die Gründung des Sozialunternehmens im Jahr 2016 war eine Herausforderung. Die Idee war gewagt: Junge Menschen, die gerade dabei sind, sich in ihren Jobs zu etablieren, sollen Mentoren anderer junger Menschen sein – solcher, die in der neunten Schulstufe sind und eher weniger Aussichten auf eine Lehrstelle haben.

Das Unternehmen des Mentors funktioniert dabei als Scharnier, junge Mitarbeiter sammeln erste Erfahrungen in Sachen Führungsverantwortung – und Jugendliche aus bildungsfernen Schichten erhalten eine Chance auf dem Arbeitsmarkt. Die Idee funktionierte so gut, dass Sindbad im Vorjahr nach Wiener Neustadt und nach Graz expandierte. Für den Herbst war die Eröffnung weiterer Dependancen in Linz und in Innsbruck geplant.

Diese Pläne sind zurzeit gestoppt, von zusätzlicher Akquise kann nicht die Rede sein. Die rund 20 Sindbad-Mitarbeiter sind auf Kurzarbeit. Insgesamt 170 Jugendliche werden zwar weiterbetreut. Aber, sagt Gründer Lovrek: "Wir sind doppelt betroffen." Einerseits finanziert sich Sindbad durch Unternehmensstiftungen, die aus Dividenden gespeist werden, andererseits aus Förderungen der öffentlichen Hand – beides ist derzeit unsicher.

Das dritte Standbein sind Workshops in Personalentwicklung. Dass es nach der Corona-Krise wichtiger denn je sein werde, abgehängte Jugendliche zu unterstützen, darin sind Sindbad-Gründer Lovrek in Wien und Sindbad-Gründerin Apschner in Graz einig. Ein wenig Skepsis bleibt dennoch: "Hoffentlich sehen das unsere Partner auch so." (Petra Stuiber, 18.4.2020)