Zuerst in die Welt hinaus und dann in den väterlichen Betrieb in Freistadt zurück. Marlene Kittel hat schon früh gewusst, dass sie mit Fotobüchern ihr Geld verdienen und den Betrieb übernehmen will. Von Erbschafts- oder Vermögenssteuern zur Bewältigung der Krisenkosten hält sie nichts.

STANDARD: Viele Menschen hatten oder haben jetzt gezwungenermaßen viel Zeit. Eigentlich eine gute Gelegenheit, um tausende Fotos zu organisieren. Zählen Sie zu den Krisengewinnern?

Kittel: Nach den Hamsterkäufen, als die Menschen zu Hause bleiben mussten und ihnen wohl die Decke auf den Kopf gefallen ist, hatten wir ein paar Bestellungen mehr. Jetzt geht das zurück. Extrem viel hängt auch vom Wetter ab. Gibt es einen schlechten Winter, wird weniger fotografiert. Die Menschen werden aber auch durch Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit weniger Einkommen haben. Fotoprodukte braucht man nicht unbedingt. Außerdem kann man weniger reisen, auch deswegen wird weniger fotografiert.

STANDARD: Gibt nicht andererseits der Alltag mit Masken derzeit fotografisch einiges her?

Kittel: Bei den Fotobüchern wäre mir das noch nicht aufgefallen. Im Bekanntenkreis schon. Das Thema hat uns aber beschäftigt. Wir haben schon vor einem Monat mit der Maskenpflicht begonnen. Masken hat man damals nicht bekommen. Zum Glück hatten wir Kontakte nach Tschechien, wo eigens welche geschneidert worden sind.

Marlene Kittel (32) reist und taucht gerne. Derzeit ist eher Schmökern angesagt. Ihr Lesestoff: "Die Macht der Geografie" – Weltpolitik anhand von Karten erklärt.
Regine Hendrich

STANDARD: Die Krise verlangt Menschen und Betrieben viel ab. Sie haben unter anderem eine Produktion. Was war zu tun?

Kittel: Homeoffice war bei uns nie ein Thema. Ich habe das aber kommen sehen. Die Mitarbeiter in der Verwaltung, im E-Business und in der Grafik haben das auch angenommen. Wir hatten keine Laptops. Das und sichere Internetzugänge mussten wir auf die Schnelle organisieren. Was mir und meinem Produktionsleiter aber schlaflose Nächte bereitet hat, war die Grenzregelung ...

STANDARD: ... die Ihre Mitarbeiter aus dem nahen Tschechien betrifft?

Kittel: In der Produktion kommt knapp die Hälfte der Mitarbeiter aus Tschechien. Vor gut zwei Wochen wurde am Montag um 19 Uhr beschlossen, dass sie nur über die Grenze dürfen, wenn sie sich mindestens 21 Tage in Österreich aufhalten. Wir hatten knapp 48 Stunden Zeit, Unterkünfte und Verpflegung zu organisieren und uns zu überlegen, wie wir die Produktion aufrechterhalten können.

STANDARD: Freistadt ist also trotz Krise ausgebucht?

Kittel: Wir haben in der Region etwas gefunden und machen in der Firma mittlerweile Frühstück für alle Mitarbeiter. Auch als Danke, dass sie so einen Zusammenhalt zeigen. Für die tschechischen Mitarbeiter ist das eine große Belastung, weil sie ihr Leben für drei Wochen komplett nach Österreich verlagern. Einige von ihnen haben Familie. Hut ab vor ihnen. Wir haben nun zwei Schichten. Wenn die Mitarbeiter zurück nach Hause fahren, müssen sie zwei Wochen in Quarantäne. Sie haben dann noch eine Woche frei, denn die ganze Zeit im Haus eingesperrt zu sein ist auch nicht lustig.

STANDARD: Und das alles für nicht eben berauschende Löhne. Für Sie bedeutet das wohl jede Menge Papierkram. Viele klagen, dass rund um die Hilfsprogramme jede Menge nicht funktioniert.

Kittel: Natürlich bringt das viel Bürokratie, ebenso wie die Kurzarbeit, die auch Thema ist. Da ändert sich immer wieder etwas, aber wir werden gut informiert. Das funktioniert hier recht gut.

STANDARD: Einer Ihrer Aufgabenbereiche beim Einstieg in den Betrieb waren die Kunden. Man hört, dass die Menschen derzeit weniger lästig und eher milde gestimmt sind. Stimmt das?

Kittel: Ist bei uns auch so. Wir bekommen übers Jahr sehr viele Dankesmails, wenn etwas gut funktioniert. Normalerweise gibt es vor Weihnachten besonders viel Lob, jetzt ist das auch so.

Ihr Vater habe oft einen guten Riecher bewiesen, etwa beim frühen Umstieg von analog auf digital Anfang der 2000er. Den Riecher habe er ihr neben dem Betrieb hoffentlich auch vererbt, sagt Marlene Kittel.
Regine Hendrich

STANDARD: Sie haben in den USA studiert und gearbeitet, nachdem Sie gut behütet aufgewachsen waren. Im beschaulichen Freistadt sind Sie die Tochter vom Chef?

Kittel: Am Anfang war es so. Aber ich glaube schon, dass jetzt auch gesehen wird, das ist nicht nur die Cheftochter, die kann auch was.

STANDARD: Seit Februar sind Sie Alleingeschäftsführerin. Da ging es bald einmal richtig los mit Krise. Macht Ihnen die Zukunft Angst?

Kittel: Man muss es nehmen, wie es ist, und das Beste draus machen. Ich gehe schon davon aus, dass uns die Krise noch länger begleiten und Auswirkungen auf unser Unternehmen haben wird. Die Herausforderungen waren aber schon in den letzten drei Jahren nicht gering. Wir hatten zwei große IT-Umstellungen und eine riesige Maschinenumstellung. Es bringt nichts, verzweifelt zu sein.

STANDARD: Wer gibt Ratschläge und tröstet, wenn es doch nötig ist?

Kittel: Mein Papa steht mir zur Seite, wenn ich ihn brauche. Einfach ist es nicht. Ich lebe allein, hab auch Ostern allein verbracht. Aber es geht sehr vielen Österreichern so. Zum Glück kann man sich zumindest virtuell sehen. Meine Eltern sind freiwillig in häuslicher Quarantäne. Ich versorge sie mit Lebensmitteln, stelle sie im Vorhaus ab und bekomme umgekehrt Aufträge mit.

STANDARD: Vieles läuft derzeit nur virtuell. Ihre Produkte gibt es schon lange nur mehr online – warum?

Kittel: Mein Vater entschied sich gegen den stationären Verkauf, obwohl es genug Angebote von Drogerieketten und Supermärkten gab, ausarbeiten zu lassen. Begonnen hat er mit großen Kunden wie Donauland und Gerngross. Er sagt: Immer wenn ich nach Wien gefahren bin, haben sie mir die Hosen noch weiter runtergezogen.

STANDARD: Sie sind gerne auf zwei Beinen durch die Stadt getigert. Das und die gemeinsamen Spaziergänge mit Vater und Dackel fallen jetzt wohl aus.

Kittel: Ich habe meinen Vater vor zwei Wochen einmal gebeten, er soll den Dackel ins Vorhaus bringen, weil ich jemand zum Knuddeln gebraucht habe. Ich borge mir den Hund jeden Abend aus und gehe acht Kilometer. Das tut dem Dackel gut und mir auch.

STANDARD: Der Dackel und Sie brüten also gemeinsam über den großen Fragen und entspannen so?

Kittel: (lacht) Genau. Spazieren gehen, Musik hören, Freunde und Familie – das hilft sehr.

STANDARD: Angesichts der etwas ruppigen Gegenwart: Was braucht es da für Musik, um den Alltag abzustreifen? Punkrock?

Kittel: Ich höre eher Parov Stelar und diese Richtung, Instrumentalmusik statt Gesang.

STANDARD: Also eleganter Electroswing made in Austria. Nichts zum Schwindligwerden. Wird Ihnen angesichts der Milliarden schwindlig, die jetzt so an Hilfen ausgegeben werden?

Von Vermögens- und Erbschaftssteuern hält die junge Unternehmerin wenig.
Foto: Regina Hendrich

Kittel: Ich bin sehr froh, dass ich nicht in der Haut unserer Regierung stecke, ich glaube schon, dass die ordentlich schwitzen. Es ist eine Gratwanderung, wie weit man die Wirtschaft aufdrehen kann, damit sie nicht an die Wand gefahren wird, und was die Krankenhäuser aushalten. Denn natürlich brauchen wir auch die Steuereinnahmen, damit wir unter anderem auch das Gesundheitswesen weiterhin finanzieren können.

STANDARD: Passendes Stichwort. Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer, Grundeinkommen, es kursieren einige Ideen. Wie retten wir die Welt, nachdem wir uns vor dem Coronavirus gerettet haben?

Kittel: Gute Frage. Ich halte Vermögens- und Erbschaftssteuer für nicht sehr positiv. Es ist besser, wenn man dieses Geld investiert, um Arbeitsplätze zu schaffen, und so die Wirtschaft stärkt. Grundeinkommen? Es ist sicher ein Zusammenspiel von verschiedenen Mechanismen, den man sich anschauen muss. Denkverbote soll es keine geben. Es ist eine Situation, die wir noch nie hatten.

STANDARD: Sie gehören zu den berühmt-berüchtigten Millennials, einer Generation, der man nachsagt, anspruchsvoll und ein bisschen zimperlich zu sein. Umgekehrt sagen manche, dass die große Party für die Jungen vorbei sei. Es gehe ihnen schlechter als der Generation zuvor. Sehen Sie das auch so?

Kittel: Natürlich sind die Mieten exorbitant hoch und die Preise beim Kauf einer Wohnung nicht mehr schön. Dafür haben wir viel mehr Möglichkeiten, als unsere Eltern hatten. Uns steht in gewissen Bereichen die Welt offen, beim Reisen, Arbeiten, in der Ausbildung. Das war für unsere Eltern so nicht möglich. Dass es uns schlechter geht als der Generation davor, würde ich nicht sagen. (Regina Bruckner, 19.4.2020)