Zyklon Harold verursachte im April in Vanuatu und Nachbarländern große Schäden. Gerade in armen Ländern, können sich nach Naturkatastrophen auch Seuchen ausbreiten.

Foto: APA/AFP/International Federation

Nie wurde ein stärkeres Erdbeben gemessen als am 22. Mai 1960 in Chile. Die Erschütterung der Stärke 9,5 tötete rund 1500 Menschen. Der Tsunami vom 26. Dezember 2004 war viel tödlicher: Mehr als 200.000 Menschen in Indonesien und anderen Ländern starben. Das Erdbeben, das den Ozean zum Überschwappen brachte, war mit einer Stärke von 9,1 aber schwächer als das in Chile. Nimmt man den ökonomischen Schaden als Maßstab, liegt das Erdbeben samt Tsunami, das 2011 das Kernkraftwerk in Fukushima zerstörte, bei den Naturkatastrophen der jüngeren Vergangenheit vorn. Die Schäden beliefen sich je nach Berechnung auf bis zu 411 Milliarden Dollar.

Bild nicht mehr verfügbar.

2011 wurde das Kernkraftwerk Fukushima von einem Tsunami getroffen. Wegen der Corona-Pandemie ist Schutzausrüstung knapp, die Arbeiter auch fast zehn Jahre später im verstrahlten Kraftwerk noch benötigen.
Foto: AP

Drei Skalen, drei Spitzenreiter. Die Stärke eines Erdbebens lässt sich schwer mit der Kraft eines Hurrikans vergleichen. Aber für den Tsunami im Indischen Ozean und für die Fukushima-Katastrophe gilt: Der eine war die tödlichste, das andere die teuerste Naturkatastrophe der letzten Jahrzehnte. Aber die Corona-Pandemie schickt sich an, beiden Katastrophen den Rang abzulaufen. Sofern sie eine Naturkatastrophe ist.

Bereits mehr als 161.000 Menschen sind dem neuartigen Erreger erlegen. Prognosen zufolge könnten es bis Jahresende weltweit um sehr viele mehr werden. Und die von Regierungen verabschiedeten Hilfspakete übertreffen die Kosten von Fukushima bereits bei weitem. Ganz abgesehen von den rund neun Billionen, um die das weltweite BIP laut dem Währungsfonds IWF bis Ende 2021 geringer ausfallen wird als ohne Pandemie. Trotzdem wird Corona laut gängigen Definitionen wohl nicht in der Liste der verheerendsten Naturkatastrophen der vergangenen Dezennien aufscheinen.

Definiere: Katastrophe

Der Reihe nach: Gemäß österreichischer Definition ist eine Katastrophe ein Ereignis, bei dem Leben oder Gesundheit einer Vielzahl von Menschen, die Umwelt oder bedeutende Sachwerte in außergewöhnlichem Ausmaß unmittelbar gefährdet oder geschädigt werden. Zudem erfordert eine Katastrophe laut einer ÖNORM einen behördlich koordinierten Einsatz von dafür notwendigen Mitteln. Demnach scheint die Corona-Pandemie eine Katastrophe zu sein. Katastrophen sind im Landesrecht definiert. Die Bekämpfung von Seuchen obliegt aber dem Bund. Deswegen ist Corona laut heimischem Recht keine Katastrophe.

Genauso in Deutschland: Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenschutz schreibt auf seiner Homepage, dass Epidemien und Pandemien nicht als Naturkatastrophen gelten. Und auch ein Blick auf die Homepage des Katastrophenwarndienstes von Uno und EU (GDACS) zeigt nicht Covid, sehr wohl aber Dürren, Erdbeben und Stürme. Es gibt aber auch Einrichtungen wie das Center for Research on the Epidemiology of Disasters, das Pandemien als Naturkatastrophen führt.

Wo ist der Unterschied?

Worin unterscheiden sich nun Pandemien von Naturkatastrophen? Beide sind natürlichen Ursprungs. Ist das Coronavirus wirklich auf chinesischen Wet-Märkten zu ersten Mal auf den Menschen übergesprungen, hat es seinen Ausgang in der Interaktion zwischen Mensch und Tier.

Bild nicht mehr verfügbar.

In Wuhan hat das Coronavirus seinen Ursprung. Hinter der Umzäunung befindet sich ein Wet-Markt.
Foto: Reuters

Zwar entfalten Erdbeben oder Vulkanausbrüche ihre zerstörerische Kraft meist lokal – freilich gibt es Ausnahmen, wie den Ausbruch des Vulkans Tambora in Indonesien, dessen Eruption 1815 im Folgejahr Ernteausfälle in Europa verursachte. Treffen Naturkatastrophen Ballungsräume, können auch sie hunderttausende Menschen töten. Erreger sind nicht zwangsläufig tödlicher.

Bei Pandemien hilft Social Distancing. Und ihre Letalität hängt auch von der Qualität des Gesundheitssystems ab. Es komme viel mehr auf die Menschen an, ob eine Pandemie zur Katastrophe wird oder nicht, könnte man argumentieren. Auch falsch. Man kann Häuser auch erdbebensicher bauen – vorausgesetzt man hat das Geld dafür. Naturkatastrophen und Pandemien haben gemeinsam: Die Ärmsten sind ihnen hilfloser ausgesetzt, wie Ruth Kutalek von der Med-Uni Wien erklärt.

Kapital und Arbeit

Die Ökonomie liefert ein Begriffspaar, mit dem man Pandemien von Naturkatastrophen unterscheiden könnte: Kapital und Arbeit. Denn während etwa eine Flutwelle Lebewesen wie Werkstätten gleichsam zunichtemacht, unterscheiden Viren zwischen Mensch und Maschine.

Eine Pandemie hat es auf Menschen abgesehen. Ein Hurrikan zerstört alles, was ihm in die Quere kommt.
Foto: APA/AFP/MARK RALSTON

Nach Pandemien kommt es zu einem Kapitalüberschuss. Während die realen Löhne in den Jahren nach Pandemien steigen, gibt es oft über Jahrzehnte getrübte Investitionsmöglichkeiten, wie drei Ökonomen der University of California in einer Studie zeigen. Jedoch ist das Coronavirus besonders für ältere Menschen, die ihr Erwerbsleben hinter sich haben, eine Gefahr. Die Weltwirtschaft könnte sich also deutlich schneller von der Corona-Pandemie erholen als etwa von der Spanischen Grippe, die vor rund 100 Jahren auch viele Junge das Leben kostete.

Für Versicherung relevant

Auch für Versicherungen ist der Unterschied zwischen Naturkatastrophen und Pandemien relevant: Sie gerieten in Schwierigkeiten, würden sie Pandemien grundsätzlich abdecken – das tun sie aber nur, wenn es in den Vertrag hineinverhandelt wurde.

Aber wie es auch sei. Die Grenzen zwischen Pandemie und Naturkatastrophe sind unscharf. Und die Klimakatastrophe dürfte die Corona-Katastrophe ohnehin einmal in den Schatten stellen. (Aloysius Widmann, 20.4.2020)