Sollen insolvente Selbstständige bevorzugt behandelt werden? Experten sind sich uneinig.
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Viele Menschen blicken derzeit in eine ungewisse Zukunft, die Corona-Krise unterzieht viele Haushalte einer finanziellen Belastungsprobe. Wer schon zuvor in finanzieller Bedrängnis war, dem können Jobverlust oder Einnahmenstillstand endgültig den Boden unter den Füßen wegziehen. Wenn noch Schulden dazukommen, bleibt oft nur ein Ausweg: Privatkonkurs. Experten erwarten, dass dieses Schicksal nun deutlich mehr Österreichern droht.

Vor der Krise gab es zwei Hauptursachen für Überschuldung, nämlich den Verlust des Arbeitsplatzes oder Verbindlichkeiten aus unternehmerischer Selbstständigkeit. Dazu kommt, dass "die zwei davon betroffenen Personengruppen wiederum von der Corona-Krise besonders stark betroffen sind", sagt Clemens Mitterlehner, Chef der ASB, der Dachorganisation der Schuldenberatungen. "Daher erwarten wir ab Sommer sehr viele Anfragen. Das wird sich mit zeitlicher Verzögerung auf die Privatkonkurse durchschlagen."

Bis zu 40 Prozent mehr

Konkret erwartet Mitterlehner einen Anstieg um etwa 40 Prozent bei den Privatinsolvenzen. Das wären etwa 13.500 Konkurse innerhalb eines Jahres statt der zuletzt 9500. Bis diese Welle ins Rollen kommt, wird es allerdings noch dauern. Zunächst muss erst der Stau an coronaunabhängigen Fällen abgearbeitet werden, der sich durch den Stillstand seit Mitte März gebildet hat.

Zudem wurde auch für Schuldner ein Corona-Paket geschnürt, um diesen nicht gleich das Wasser abzugraben: Können etwa wegen Einkommensausfällen bis inklusive Juni Kreditraten nicht bezahlt werden, gelten diese als gestundet. Zudem gilt bis dahin auch eine Beschränkung von Verzugszinsen und Inkassokosten.

Derzeit können Schuldenberater nur telefonisch mit den Klienten kommunizieren – eine starke Einschränkung, wie Mitterlehner empfindet. Persönlicher Kontakt sei bei psychosozialer Beratung fast unerlässlich, bei vielen Betroffenen bedürfe es viel Motivationsarbeit, um sie zu einem Privatkonkurs zu bewegen. In der Praxis bedeutet dies seit der Neuregelung des Privatkonkurses im Jahr 2017 zumeist: Fünf Jahre in finanziellem Korsett mit Gehaltspfändungen, am Ende lockt die Entschuldung – also ein Neustart ohne Altlasten.

Ausmaß ungewiss

Dass für Betroffene die ersten Schritte die schwierigsten sind, weiß euch Hans-Georg Kantner, Insolvenzexperte des Gläubigerschützers KSV 1870. Auch er erwartet mit zeitlicher Verzögerung einen gewissen Anstieg der Privatkonkurse, Schätzungen über das Ausmaß will er derzeit aber nicht abgeben. Noch sei etwa gar nicht gewiss, wie lange und in welchem Ausmaß die Einschränkungen zur Bekämpfung des Coronavirus noch bestünden – und wie sehr diese die Wirtschaft beeinträchtigten.

"Nicht so pessimistisch" sieht der Ökonom Thomas Url vom Wifo die Lage, er erwartet heuer in Summe zunächst nur etwas mehr Privatkonkurse. Werkzeuge wie Kurzarbeit und der Härtefallfonds sollten bei vielen Unselbstständigen eine Insolvenz abwenden. Allerdings räumt er ein, dass etliche Gewerbetreibende mit ihren Firmen in Konkurs schlittern würden, welcher mangels Masse abgewiesen werde. Für diese Personen wäre wohl der Privatkonkurs ein Weg zur Entschuldung. Allerdings erwartet Url diese Auswirkungen erst nächstes Jahr.

Übrigens steht dann just für diese Personengruppe die nächste Reform des Privatkonkurses an, wenn bis Jahresmitte die Umsetzung der EU-Restrukturierungsrichtlinie in nationales Recht ansteht. Diese sieht unter anderem vor, dass bei privaten Insolvenzen wegen unternehmerischer Tätigkeit die Verfahrensdauer auf drei Jahre verkürzt wird. Es wird auch erwähnt, dass diese Verkürzung bei der Umsetzung auch auf sämtliche Privatkonkurse ausgeweitet werden kann.

Erleichterung für Selbstständige

Gläubigerschützer Kantner begrüßt zwar die Verkürzung für Selbstständige, da es Menschen eher dazu ermuntere, sich unternehmerisch zu betätigen. Eine Ausweitung auf Konsumschulden lehnt er jedoch ab. Anders sieht das Schuldenberater Mitterlehner und führt ins Treffen, dass der volkswirtschaftliche Schaden größer ausfalle, wenn überschuldete Personen ihre Schulden nicht regeln würden.

Das sieht auch Wifo-Ökonom Url so: "Der Privatkonkurs ist ein absolut sinnvolles Instrument." Ohne käme es bei überschuldeten Personen zu andauernden Lohnpfändungen, es gebe überhaupt keinen Anreiz, zusätzliches Geld verdienen zu wollen – "eine verheerende Situation". Allerdings dürfe Entschuldung auch nicht zu leicht gemacht werden, um dadurch nicht das Vertrauensverhältnis zwischen der Banken und Kreditnehmern zu stören. Urls Kompromiss für die Umsetzung der EU-Richtlinie lautet daher: drei Jahre für Selbstständige, vier für alle anderen. (Alexander Hahn, 20.4.2020)