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Das Flüchtlingscamp Moria auf der griechischen Insel Lesbos ist dramatisch überfüllt.

Foto: reuters

Es zählt auch die Geste, und für die Betroffenen ist es die Rettung: 47 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus griechischen Flüchtlingslagern sind am Wochenende in Deutschland gelandet. Der deutsche Innenminister Horst Seehofer freut sich darüber. Ja, genau der.

Es sind fast 40.000 Menschen, die in den Lagern auf den griechischen Inseln festsitzen, viele davon sind Kinder. 1.600 von ihnen sollen in andere EU-Staaten gebracht werden, zehn haben sich bereiterklärt. Österreich nicht.

Beschämend

Österreich lässt Erntehelfer und Betreuerinnen für die 24-Stunde-Pflege einfliegen. Man soll das eine nicht gegen das andere aufrechnen, das hat auch seine Berechtigung. Aber keine einzige Familie, kein einziges Kind aus einem der Lager aufzunehmen, das ist wirklich beschämend. Ja, wir haben unsere eigenen Sorgen und Nöte, aber das entbindet einen Staat oder eine Gesellschaft nicht von der Verpflichtung, anderen zu helfen, auch über Grenzen hinweg.

Sebastian Kurz sieht das anders, er fährt da eine ganz konsequente Linie der nationalen Egoismen. Das finden viele Leute im Land gut, und sie finden mehr noch gut, da schlägt auch die Bewältigung der Corona-Krise hinein: In einer aktuellen Umfrage liegt die ÖVP bei 48 Prozent. Die absolute Mehrheit scheint in Greifweite zu sein.

Christlich-sozialer Anspruch

Für die Grünen ist das ganz schwierig: Sie finden die Einstellung von Kurz beschämend, aber siehe Umfragen. Allzu forsch wollen sie das Thema Flüchtlinge nicht angehen, sie wollen den Koalitionsfrieden nicht stören und erst recht keinen Vorwand dafür liefern, dass Kurz wieder einmal eine Regierungskoalition platzen lassen und dem anderen dafür die Schuld zuschieben könnte. Das wäre in der jetzigen Situation ganz schlecht, siehe Umfragen.

Aber gerade die Umfragen sollten Kurz die Souveränität geben, sich von der strategischen Politikplanung abzuwenden und eine Entscheidung zu treffen, die sich nicht an der Mehrheitsmeinung orientiert, die spiegelt ja nicht immer die nobelste Einstellung wider. Wenn Kurz schon nicht auf seinen kleinen Koalitionspartner hören mag, es gibt auch in seiner eigenen Partei viele, die den christlich-sozialen Anspruch hochhalten und Nächstenliebe nicht nur auf Inländer beschränkt sehen. Zumal es für andere Staaten Vorbildwirkung haben könnte, wenn Österreich sich mit einer Vorleistung in die europäische Solidarität einordnet. Wenigstens eine Geste wäre gefragt, und dieser Geste würden die paar, die sie berührt, unendlich viel verdanken. (Michael Völker, 19.4.2020)