Vor allem zu Beginn, als in Italien gerade die Corona-Hölle ausbrach, packte mich eine ungeheure Italien-Sehnsucht. Meine Familie mütterlicherseits stammt aus Italien, der größte Teil der Verwandtschaft lebt in Bologna, der nach der Lombardei am schlimmsten von der Covid-19-Krankheit erfassten Region. Jedenfalls muss es irgendwas damit zu tun haben, dass ich damit begonnen habe, alles zu kochen, was ich an italienischen Speisen auf Lager habe: in erster Linie Pasta mit allen möglichen Saucen, schlichte wie durchaus aufwendigere. Hinzu kamen ein paar zum ersten Mal ausprobierte Rezepte.

Screenshot von dem Video, auf dem
meine Nonna gerade ihre Geburtstagstorte erhält.
Foto: privat

Würde es der neue Quarantäne-Alltag nicht gerade abverlangen, dass immer alles gleichzeitig erledigt werden muss – Kind, Haushalt, Arbeit –, dann würde ich momentan am liebsten alle meine Bücher mit Italien-Bezug lesen. Selbst auf die letzten beiden Teile der Elena-Ferrante-Neapel-Saga, für die ich mich eigentlich nicht so wirklich begeistern konnte, habe ich gerade große Lust. Vielleicht weil ich Italien in meinem Kopf dringend mit etwas anderem in Verbindung bringen möchte als mit Bildern von überfüllten Krankenhäusern, verzweifelten Ärztinnen und Ärzten und mit Leichen überfüllten Kirchen. Wenn ich mich über die Lage in Italien informiere, dreht es mir den Magen um. Die ersten Wochen konnte ich überhaupt keine Nachrichten verfolgen, ohne dass mir dabei die Tränen in die Augen schossen.

Tränen der Rührung

Inzwischen heule ich nur noch aus Rührung, wenn ich schöne Bilder sehe, von über Balkonen hinweg, mittels auf Stäben fixierten Gläsern sich zuprostenden Menschen etwa. Mit der italienischen Zivilgesellschaft verhält es sich in Krisen ähnlich wie mit der amerikanischen: Sie blüht zur Höchstform auf.

Meine Nonna, meine Großmutter, verlässt ihre Wohnung in Bologna nun schon seit fast zwei Monaten so gut wie gar nicht. Sie hat Asthma, vergangene Woche wurde sie 93, meine Cousinen brachten ihr eine Torte vorbei. Eine meiner Tanten sagt immer, die Nonna sei wie Unkraut, so schnell kriege sie, die angeblich noch nie eine Grippe gehabt haben soll, nichts unter. Ich habe beschlossen, ihr zu glauben. Erkrankt ist von der Familie bisher schließlich niemand. (Anna Giulia Fink, 20.4.2020)