Die letzten vier Wochen vergingen wie im Traum, manchmal wie im Albtraum. Dennoch, irgendwie war es für mich, als wären wir alle – in einer absurden Realität – gemeinsam in der Isolation und irgendwie auch gleichgestellt. Es schien, als plagten uns dieselben Sorgen. An manchen Tagen Zukunftsängste und Streit, an anderen schlechte Ernährung und körperliches Unwohlsein. Aber es gab auch Phasen der Hoffnung: bestärkende Worte guter Freunde in langen Telefonaten oder die Eltern, die auch brav zu Hause blieben, der Stolz auf selbstgekochtes Essen oder darauf, die Kinder beim Uno-Spielen geschlagen zu haben.

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Flashmob am Fenster in der Corona-Krise.
Foto: AP / Luca Bruno

Auch wenn wir alle unterschiedliche Voraussetzungen hatten – die einen in der Villa mit Garten, die anderen in der Einzimmerwohnung –, hatte ich das Gefühl, dass wir in diesem Land und in Europa unter Lockdown doch kurze Momente des Zusammenseins in der Isolation erlebten. Die auf sozialen Medien verbrachten Stunden waren nicht umsonst. Sie erzeugten in manchen Momenten Gefühle der Rührung: von italienischen Opernsängern auf dem Balkon über humorvolle Whatsapp-Nachrichten bis hin zu lustigen Tiervideos. Ich hatte das Gefühl einer großen Solidarität, eines Opfers, das wir füreinander bringen.

Harte Realität

Diese Traumwelt ist geplatzt: Ökonomisch stehen viele vor dem Ruin, und Kurzarbeit heißt nicht, dass man nach der Krise noch einen Job hat. Homeoffice und gleichzeitig Kinder unterrichten ist keine Idylle, sondern mittelfristig unmöglich. Menschen in systemrelevanten Berufen, von den Briefträgern bis zu den Pflegerinnen, kommen nicht zur Ruhe. Langsam wird uns klar, dass die Realität nach dem Lockdown noch härter ist als davor. Die Dinge, die wir früher vielleicht leichter kaschieren konnten, treten nun mit Härte und Brutalität zutage. Hatten Schulen und Kindergärten für eine Grundversorgung an Normalität gesorgt, sind Kinder gewalttätiger Eltern diesen nun komplett ausgeliefert. Jene, die schon vorher an psychischen Erkrankungen litten, leiden in der Isolation doppelt.

Zu schön war auch die Illusion von freiwilligen Helfern, die auf den Feldern des Marchfelds oder in Baden-Württemberg die Bauernschaft bei der Ernte unterstützen. Weder waren die meisten Bauern bereit, faire Löhne zu zahlen, noch die Konsumenten dazu, faire Preise zu bezahlen. Das Leben einiger Hundertschaften, die sich gerade dichtgedrängt in Charterflügen nach Westeuropa aufmachen, ist uns offensichtlich weniger wert als eine billige Ernte. Unter Missachtung aller Regeln, die wir hier gehorsamst einhalten und einfordern, reisen die Wanderarbeiter zu uns. Und nicht nur Erntehelfer, sondern auch ebenjene Pflegekräfte, denen Österreich gerade noch durch die EU-rechtswidrige Indexierung der Familienbeihilfe das Leben schwermachte. Das Spargelessen und das Sterben – auch das wird in Europa mit der Corona-Krise zusammengehören und das traumatische Erwachen aus dem schlaftrunkenen Isolationszustand beschleunigen.

Diese Krise hat das Potenzial, die Ungleichheit und ihre Folgen noch weiter zu verstärken, wenn wir nicht ehrlich auf alle schauen, von denen wir jetzt Solidarität verlangen – auch auf jene, die keinen österreichischen Pass haben. (Philippe Narval, 20.4.2020)