Die Mimik fehlt weitgehend – wir erkennen einander in unserem emotionalen Status nicht mehr so leicht.

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Wenn Menschen einen Großteil ihres Gesichts hinter Masken verstecken, wirkt sich das direkt auf unser Verhalten aus. Die Gesichter der Menschen sind ausgesprochen beweglich, wir verfügen da über eine Vielzahl an Muskelsträngen, die mehr bewegen können, als zum Kauen oder Zwinkern notwendig ist. Wir brauchen diese Muskeln zum Signalisieren. In der zwischenmenschlichen Kommunikation sind die Gesichter die ersten Ansprechpartner. Wir brauchen den freien Blick auf das Gesicht des Gegenübers.

Wir lesen im Gesicht des Gegenübers sehr viel über dessen Gemütszustand, über dessen Emotionen. Die nonverbale Kommunikation via Mimik ist eine Ewigkeit und ein Jahr alt. Sie ist auch nicht uns Menschen oder den anderen Affen vorbehalten. Auch Mäuse zeigen Mimik, wie Nejc Dolensek und sein Team vom Max-Plank-Institut für Neurobiologie in einer Publikation in der Fachzeitschrift im April 2020 Beweis führen konnten. Mit der Entwicklung der Sprache trat die mimische Information in ihrer Bedeutung nicht zurück.

Sie dient als ehrlicher Botschaftsträger des emotionalen Status´. Das unterscheidet sie vom gesprochenen Wort. Während die Sprache gut Inhalte und Zusammenhänge kommunizieren kann, bietet die Mimik die begleitende Bewertung dieser Inhalte an. Wir erfahren via Mimik, wie ein Mensch zu den Inhalten steht, die er spricht. Wir brauchen deshalb den freien Blick auf die Mimik der Gesprächspartner, um möglichen Lügnern auf die Schliche zu kommen. Wir suchen in der Mimik unbewusst Anhaltspunkte, die auf Lügen hinweisen.

Auslöser

Finden wir diese – unbewusst, so zeihen wir den Mitmenschen nicht gleich einen Lügner, aber attribuieren diesem Menschen nicht das volle Maß an Glaubwürdigkeit. Die Mimik der Mitmenschen ist auch die Rückmeldung der Empfänger auf die Botschaften der Sender. Wir suchen in der Mimik der anderen zu erkennen, wie unsere Signale ankommen. Entsprechend der mimischen Reaktion modulieren wir darauf hin unsere Signale. Damit sind wir Menschen in der Kommunikation in einer ständigen Feedbackwolke gefangen. Anders gesagt: Wir manipulieren einander via Mimik. Meine Signale lösen bei den Mitmenschen etwas aus.

Deren Reaktion nimmt man selbst wieder wahr – und lässt diese Information in sein weiteres Verhalten einfließen. Das ist gegenseitige Manipulation. In manchen Kulturen ist das Zeigen von Emotionen unhöflich und damit verpönt. Man kann das als rücksichtsvoll betrachten. Man möchte davon Abstand nehmen, andere durch die eigenen Emotionen zu beeinflussen. Jetzt kommt die Gesichtsmaske ins Spiel. Es gibt Kulturen, wo das Bedecken des Gesichts für Frauen verpflichtend ist.

Blockierte Erkenntnis

Dieses Verstecken des Gesichts soll zwischenmenschliche Interaktion im öffentlichen Raum unterbinden. Das gelingt. Und hier sehe ich auch die Folgen einer Maskenpflicht im öffentlichen Raum: Wir empfangen einen wesentlichen Teil an nonverbaler Botschaft nicht mehr in dem Ausmaß, wie wir es gewöhnt sind. Wir haben nur noch den direkten Blickkontakt zum Erkennen nonverbaler Botschaften im Gesicht. Jedoch ist direkter Blickkontakt ein viel zu starkes Signal für uns Menschen. Wir meiden diesen eher. Plus: Wir erkennen einander nicht mehr so einfach.

Durch die Gesichtsmasken ist die gegenseitige Feedbackschleife größtenteils unterbrochen. Wir empfangen nicht mehr, und daher senden wir auch nicht mehr, da wir keine Rückmeldung über unsere Signale erhalten. Wer sich die Zeit nimmt, kann im Supermarkt auch beobachten, dass Menschen viel öfter zusammenstoßen, wenn sie vor Regalen stehen. Die Gesichtsmasken wirken wie Scheuklappen, wie dargestellt jedoch nicht physisch, sondern verhaltensbiologisch. Rückzug, Introversion, Unterbinden nonverbaler Kontaktaufnahme – das sind die Folgen des teilweise bedeckten Gesichts. (21.4.2020)