Remdesivir wird schwer an Covid-19 Erkrankten als Infusion über einige Tage verabreicht und soll die Vermehrung des Virus stoppen – einige Studienergebnisse werden Anfang Mai mit Spannung erwartet.

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Seit 2015 ruht der Wirkstoff wieder in der Labordatenbank, bei der Ebola-Epidemie 2014/15 in Westafrika kam er zum letzten Mal zum Einsatz. Remdesivir ist ein antivirales Medikament, das sich gegen die Viruserkrankung Ebola als nicht effektiv genug erwiesen hat. Andere Medikamente waren damals erfolgreicher bei der Eindämmung einer Erkrankung, die im Vergleich zu Sars-CoV-2-Infektionen wesentlich schwerer und tödlicher verläuft.

Für den US-Pharmariesen Gilead, den Hersteller von Remdesivir, war das Medikament also erst einmal ein Misserfolg, doch gleichzeitig auch ein Erkenntnisgewinn. 500 Menschen hatten im Rahmen von Studien das Medikament bekommen. Das erlaubt Gilead heute Rückschlüsse auf das Sicherheitsprofil. Der Einsatz des Wirkstoffs schadete den Menschen damals zumindest nicht. Diese Erkenntnis ist nun in der Corona-Pandemie zum großen Vorsprung geworden. Was andere Wirkstoffhersteller erst beweisen müssen, hat Gilead mit Remdesivir zu einem Teil schon hinter sich.

Vorarbeiten mit Viren

Seit 30 Jahren erforscht das Unternehmen mit Sitz in Kalifornien, wie sich Viren verhalten und wie sie sich, wenn sie die Menschen krank machen, erfolgreich bekämpfen lassen. In der HIV-Therapie erfolgreich engagiert, erregte Gilead großes Aufsehen, als es ein sehr teures Medikament gegen Hepatitis-C, ebenfalls von Viren ausgelöst, auf den Markt brachte. Zudem setzt das Unternehmen sehr erfolgreich genetisch modifizierte Viren als Vektoren bei der Herstellung von Medikamenten, etwa den Car-T-Zellen, ein.

Viel Know-how, aber viele unterschiedliche Viren: "Im Falle einer akuten Notlage wie der Corona-Pandemie probieren wir die Wirkstoffe, die wir in unser Datenbanken haben, und schauen uns an, wie sie wirken könnten," sagt Clemens Schödl, Geschäftsführer von Gilead Österreich. Das habe man, sobald die RNA des Sars-CoV-2-Virus veröffentlicht war, auch unter Hochdruck gemacht.

Das Ergebnis: Remdesivir verhindert, dass sich das Virus in den Zellen weiter vermehrt. EC-500 heißt ein Kennwert, der diese "gut ausnützbare Effektivität" auch beziffert. Im Reagenzglas wird die Vermehrung des Virus schon in geringen Konzentrationen gehemmt, und das entsprach auch den Erfahrungen, die man mit Remdesivir während des Mers- und Sars-Ausbruchs im Reagenzglas und im Tierversuch gesehen hatte. Sars und Mers sind Coronaviren, auch daraus generierte man Zuversicht.

Der große Vorteil des Medikaments: Es hat einige der vielen Hürden eines klinischen Testverfahrens bereits hinter sich. Nun geht es für Gilead darum, die Wirksamkeit von Remdesivir auch gegen Covid-19 zu belegen, also das Medikament gegen ein Scheinmedikament – ein Placebo – oder ein Vergleichsmedikament zu testen. Und das an jener Gruppe, die den Medizinern am meisten Sorge bereitet, also an Covid-19-Patienten mit schweren Krankheitsverläufen.

Laufende Studien

Für eine erste Wirksamkeitsstudie hatte Gilead die als Infusionen zu verabreichenden Medikamente nach China geschickt. Das Studiendesign sah zwei Gruppen bei hospitalisierten Patienten vor. 450 schwer Betroffene und 308 weniger schwer Kranke sollten zehn Tage lang eine Infusion bekommen. Die Verantwortung zur Durchführung wurde den chinesischen Zulassungsbehörden überlassen. "Das Problem war, dass die Pandemie im Laufe der Studie unter Kontrolle gebracht wurde und es nicht mehr genügend Schwerkranke gab", vermutet Schödl. Das Einhalten der Patientenzahlen sei aber wichtig, weil sonst die Wirksamkeit nicht bewiesen werden kann.

Aktuell laufen zwei weitere von Gilead selbst verantwortete Wirksamkeitsstudien, sogenannte Open-Label-Studien. Das sind Studien, die nicht verblindet sind. Sowohl Arzt als auch Patient können sehen, ob sie den Wirkstoff erhalten. Die Studien sind relativ einfach gehalten und werden daher "simple trials" genannt. "In einer akuten Pandemie kann niemand von den ohnehin auf Anschlag arbeitenden Medizinern verlangen, penibel genaue Dokumentationsarbeit zu leisten", begründet Schödl diese für die Pandemie gewählte Strategie.

Beide Studien laufen weltweit. Remdesivir wird derzeit bei 400 schweren und 600 moderaten Covid-Patienten erprobt. Wobei noch eine weitere Unterteilung vorgenommen wird: Das Medikament wird in jeweils einer Gruppe zehntägig verabreicht, in einer anderen nur fünf Tage. Experten wissen von Influenza-Viren, dass eine kürzere Medikamentengabe unter Umständen genauso effektiv sein kann. Am 9. April ist die erste Phase beendet worden. Die ersten publizierten und überprüften Ergebnisse werden Anfang Mai erwartet.

Erste Gerüchte

Aus einer der in die Studie eingebundenen Kliniken in Chicago ist in einem inoffiziellen Statement durchgesickert, dass sich Remdesivir als erfolgreich erweist, also Verläufe mildert. "Man muss tatsächlich aber erst die weltweiten Daten abwarten", betont Schödl, nur die Patienten in Chicago seien zu wenig. Es sind auch europäische Kliniken etwa in Italien und Frankreich eingebunden.

Zudem arbeitet Gilead längst auch an einer Erweiterung der klinischen Prüfungen – bis Sommer sollen in dem derzeit laufenden Studienprogramm 7.000 Patienten eingeschlossen sein. "Wir stellen Remdesivir weltweit für 140.000 Patienten kostenlos zur Verfügung, bauen parallel die Produktion massiv aus und arbeiten also auf volles Risiko", sagt Schödl. Kann die Effektivität von Remdesivir nicht mit Zahlen aus diesen Studien belegt werden, wären alle diese Vorarbeiten umsonst, umreißt er das Risiko. Doch das sei in Studien so üblich und ein bekanntes Procedere, mit dem Gilead vertraut ist.

Produzieren können

Doch Medikamentenentwicklung ist gerade in einer akuten Pandemie viel mehr als nur die Erforschung des reinen Wirkmechanismus. Letztlich geht es vor allem darum, den Wirkstoff auch in ausreichender Menge produzieren zu können. Das Medikament aus der Gruppe der "small molecules" benötigt in der Produktion eine ganze Reihe von Rohstoffen, deren Produktion ebenfalls sichergestellt sein muss. Gilead hängt insofern seinerseits von einer Reihe von Lieferanten ab. Im April kann das Unternehmen Remdesivir für 30.000 Patienten zur Verfügung stellen, im Mai werden es Mengen für 140.000 Covid-Erkrankte sein, das sind 1,5 Millionen Dosen.

"Unter normalen Bedingungen dauert dieses Hochfahren der Produktionskapazitäten zwölf Monate, wir konnten diese Zeit um die Hälfte reduzieren", berichtet Schödl. Im Herbst jedenfalls wolle man Remdesivir für 500.000 Patienten und Ende des Jahres für eine Million bereitstellen können.

Doppelblind und Placebo

Immer vorausgesetzt, dass die klinischen Studien parallel dazu gute Ergebnisse bringen. Zusätzlich zu den aktuell laufenden "simple trials" wird Gilead im Mai auch noch eine doppelblinde placebokontrollierte Studie auf den Weg bringen. Sie wird nicht vom Unternehmen selbst, sondern vom unabhängigen National Institute of Health der USA durchgeführt werden. Die Ergebnisse werden Ende Mai erwartet.

"Remdesivir soll ein Baustein sein, der hilft, die schweren Fälle abzufedern, Tode zu verhindern und damit Spitalskapazitäten zu sichern", hofft Schödl. Eine Impfung ersetze es aber keineswegs. Um Viren zu bekämpfen, brauche es stets viele unterschiedliche Strategien. Das ist eine Erfahrung, die Gilead in 30 Jahren Forschung an Viren verinnerlicht hat. (Karin Pollack, 21.4.2020)