Traummotiv für jeden Städtereisenden, gleichzeitig der reale Albtraum eines jeden Touristikers: die als Pilgerstätte gegen aktuelle Seuchen wiederbelebte und mit Kerzen und von Kindern gemalten Kalvarienbildern geschmückte Pestsäule auf dem derzeit menschenleeren Wiener Graben.

Foto: Gregor Auenhammer

Genau genommen war es eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis das System des Massentourismus, des weltweit grassierenden und auch oft beklagten Übertourismus – Stichwort Venedig, Hallstatt, Salzburger und Wiener Innenstadt – der letzten Jahren entweder implodieren oder explodieren musste, bestätigt Waltraud W., ihres Zeichens Reiseleiterin und Expertin für nachhaltige Genusstouren in Wien und Umgebung. Sie selbst habe schon lange versucht, dem Trend gegenzusteuern, nur Touren mit kleinen Gruppen zu organisieren, Qualität zu bieten statt Quantität. Effizienz stehe nicht a priori im Gegensatz zu einer Stärkung der heimischen Betriebe, zur Stärkung regionaler Beherbergung und Bewirtung. Der ökologische Fußabdruck mit persönlichen Kontakten und Vertrauen in saisonale sowie regionale Produkte war ihr in ihrem Handeln à la Slow Tourism schon lange ein Anliegen.

Gastronomie und Tourismus waren nebst Künstlerinnen und Künstlern die Ersten, die von der Corona-Krise und den rigorosen Maßnahmen betroffen waren, als Anfang März Veranstaltungen zunächst reduziert und kurz danach komplett untersagt wurden.

Die Absagen von Reisen, Sightseeingtouren, Veranstaltungen, die Schließungen von Hotels, Pensionen, Wirtshäusern, Cafés, Lokalen und Tourismusbetrieben aller Art bedeuten für die saisonal ja schon teils am Rande des Prekären stehende Szene ein gravierendes Problem, das sich auch beim besten Willen nicht mehr als "Herausforderung" umschreiben lässt. Das betrifft große wie kleine Hotels, Tourismusverbände, Institutionen, Seilbahnen, Bootsverleihe, noch mehr allerdings private Veranstalter, die schlicht und einfach von jedem Kunden von Tag zu Tag leben.

Neue Chancen

Manche Veranstalter versuchen nun, die Krise als Chance zu betrachten, nutzen den Zeitraum zur Askese, zur Reinigung, zur Ideenfindung, sammeln sich und bereiten sich auf "die Zeit danach" vor.

Die oftmals beschworene Entschleunigung aber gerät zum Wettlauf mit der Zeit. Zudem besagte Institutionen auch die Letzten sein werden, die wahrscheinlich erst im Sommer, trotz Öffnung von Gastronomie und Hotellerie im Mai, voraussichtlich erst Anfang Juli, wieder ihrem Geschäft nachgehen dürfen, den Hunger und Durst nach Kulturgenuss zu stillen.

Eine Chance sieht Waltraud W., Guide bei Vitalplus und den Wiener Genusswelten, in der Überwindung der Krise darin, dass die Menschen nachher eventuell etwas mehr Wert legen werden auf Qualität, auf individuelle Betreuung, auf Regionalität, auf (auch wenn das Wort schon lange zum populistisch missbrauchten Schimpfwort verkommen ist) auf ehrliche, echte Nachhaltigkeit, auf natürliche Produkte aus biologischem Anbau und Zucht.

Gemeinsames Erleben

"Kultur sei weit mehr als nur die Hochkultur, mehr als die historische Dimension des Landes – auch wenn dies die Grundlage in Form eines wahren Füllhorns ausmacht." Die von Empathie, Interesse und Enthusiasmus Getriebene beschreibt Kultur als "Gemeinschaft, gemeinsames Erleben, gemeinsames Tun, als Freude und Erfolg, als gemeinsames Erwachen, gemeinsames Entdecken und Interesse an einer Sache".

Kultur sei eine gelungene Melange aus Wissen und Emotion. Das versucht W. auf ihren Reisen ebenso wie auf Tagestouren oder Abendveranstaltungen zu vermitteln. "Kultur bedeutet aber vor allem auch Genuss!" Das wird erlebbar in Touren des "koscheren Wien" genauso wie bei "Imperial Austria", am Naschmarkt, in traditionellen Cafés, bei Lesungen, beim Nachspüren und Aufspüren exotischer Spuren berühmter (noch lieber unbekannter) Literaten und Architekten.

Diese Krise sei unangenehm, aber nicht der Weltuntergang. W. empfiehlt weniger Facebook, dafür selbstständiges Denken, Kochen und Genießen. Persönlich betrachtet: Nachspüren und Beziehungen aller Art überdenken, geliebte Rituale reflektierter leben. In Hinblick auf "neue" Erkrankungen in unserem System rät sie zur Stärkung des Immunsystems durch gesundes Essen und Selberkochen. Kein Fast-food, Convenience und Gastroessen, "so wenig wie möglich Supermärkte, "auf zum Markt"! Bei aller (nach der Krise mit Sicherheit sofort wiederkehrenden) Oberflächlichkeit und der allein schon aus wirtschaftlichen Gründen zu erwartenden doppelten Schlagzahl gilt es, gegen die Schnelllebigkeit anzukämpfen. "Es geht ans Eingemachte", sagt sie und verweist auf die Basis von Vertrauen und Wertschätzung – vor jedweder Wertschöpfung.

Respektvoller Umgang

Auch beruflich gilt für sie das Credo, dass Nachhaltigkeit als Fundament für die Zukunft wichtiger sei denn je. Abseits populistischer Beschwichtigungsplacebos, jenseits von solidarischer Sozialromantik aber wird die Praxis schwierig werden. Der Markt wird enger, die Brieftasche von Kunden leerer sein, der Konkurrenzkampf um Kundschaft in fast jeder Branche härter sein nach der "Auferstehung", noch härter als ohnehin schon davor. Sie selbst orientiere sich an Hengstschläger und nennt sich eine "Possibilistin", die sich nach dem Machbaren aber nicht nur sehnt, sondern das Erreichen aktiv sucht. Mit Bodenhaftung und Respekt.

Derzeit liest die Kulturvermittlerin aus Passion viel, bereitet neue Touren vor und studiert Karten, damit nachher jeder einzelne Pflasterstein exakt sitzt, den es zu besuchen, und naturgemäß auch zu besichtigen gilt. (22.4.2019)