Lanzettfischchen, im Bild Branchiostoma lanceolatum, spalteten sich kurz vor dem Erscheinen der ersten Wirbeltiere ab.

Foto: Hans Hillewaert

Wien – Zwischen den ersten Wirbeltieren der Erdgeschichte und den modernen Vertebrata, wie dieser Unterstamm wissenschaftlich heißt, liegen rund 500 Millionen Jahre Entwicklungszeit. Die Urahnen der späteren Fische, Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugetiere traten bereits während der Kambrischen Explosion auf. In dieser Ära spalteten sich die Lanzettfischchen ab, eine Gruppe von Schädellosen, die anstatt der Wirbelsäule eine einen elastischen Rückenstab namens Chorda dorsalis besitzen. Anhand dieser urtümlichen Wesen haben nun Wissenschafter nachvollzogen, wie sich das Erbgut der heutigen Wirbeltiere im Laufe der Evolution verändert hat.

Aufschlussreicher Vergleich

Lanzettfischchen(Branchiostoma) sind quasi Außenstehende gegenüber dem Wirbeltierreich, ihre Linie spaltete sich kurz vor dem Erscheinen der ersten Wirbeltiere ab, was wahrscheinlich vor gut 500 Millionen Jahren passierte. Deshalb kann man aus dem Vergleich erfahren, wie das Erbgut des Urahnen ausgesehen hat, und wie daraus jenes der heutigen Wirbeltiere entstand, so die Forscher um Oleg Simakov, der am Department für Neurowissenschaften und Entwicklungsbiologie der Universität Wien arbeitet.

Sie fanden heraus, dass die Vorläufer der Wirbeltiere ihr Erbgut auf 17 unabhängig vererbte Einheiten verteilt hatten, also dass es 17 Urchromosomen gab, aus denen sich etwa die 87 Chromosomenpaare bei Neunaugen, zwölf bei Laubfröschen, 39 bei Hühnern und 23 bei Menschen bildeten.

Erbgut-Verdoppelungen

Mit dem Wissen um die 17 Urchromosomen konnten die Forscher eine Reihenfolge diverser Erbgut-Umgestaltungen bei den Wirbeltieren nachvollziehen. Es gab zum Beispiel vor rund 490 Millionen Jahren eine Erbgut-Verdopplung in einer Vorfahren-Art, bevor sich die Linien der kieferlosen Neunaugen mit ihren Saugmäulern und den "Kiefermäulern" (das sind alle heute lebenden Fische, Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugetiere) trennten, wie die Forscher im Fachjournal "Nature Ecology and Evolution" berichten.

Eine zweite Verdoppelung passierte, indem sich nahe verwandte, aber genetisch getrennte Arten wieder vermischten (Hybridisierung), erklärte Simakov. Dies passierte vor 465 bis 438 Millionen Jahren, ehe sich die Linien der Knochen- und Knorpelfische auftrennten. Außerdem gab es zahlreiche Durchmischungen und Verschmelzungen der Chromosomen, die zur heutigen Erbgut-Vielfalt bei den Wirbeltieren führten. (red, APA, 21.4.2020)