In der Serie alles gut? denkt STANDARD-Redakteur Andreas Sator über eine bessere Welt nach – und darüber, welchen Beitrag er leisten kann. Melden Sie sich hier für seinen kostenlosen Newsletter an.

Es geht ja doch, heißt es immer wieder. Die Politik hört auf die Wissenschaft, die Menschen verändern ihr Verhalten, sie tragen Maßnahmen mit, die ihr Leben massiv einschränken. Die CO2-Emissionen dürften heuer so stark fallen wie noch nie zuvor, seit es Aufzeichnungen gibt. Aber lässt sich von der aktuellen Lage wirklich etwas für die Klimapolitik lernen?

Kreative Protestierende in Seoul: Der Klimawandel reißt Pinguinen den Boden unter den Füßen weg, und jetzt kommt auch noch ein Virus.
Foto: APA/AFP/JUNG YEON-JE

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1. Die Emissionen werden schnell wieder steigen

Die schlaueste Prognose für heuer kommt derzeit auf ein Minus von 5,5 Prozent bei den CO2-Emissionen. Das ist im Vergleich zu den Jahren zuvor massiv. Aber sobald die Welt geimpft ist und die Wirtschaft wieder anläuft, ändert sich das schlagartig. Das Muster kennen wir etwa von der globalen Finanzkrise 2008/09. Weil die Wirtschaft einbrach, sind auch die Emissionen gesunken. Ein Jahr später stiegen sie viel stärker wieder an.

Wenn, dann zeigt die aktuelle Krise, was für eine riesige Aufgabe der Klimawandel ist. Um unter 1,5 Grad Erwärmung zu bleiben, müssen die Emissionen bis 2030 jedes Jahr um sogar 7,6 Prozent sinken. Das geht, wenn überhaupt, nur mit einem schnellen Umbau von Mobilität, Wohnen und Industrie.

2. Trotzdem haben Klima- und Corona-Krise etwas gemeinsam

Wissenschafter haben seit vielen Jahren davor gewarnt, dass die Welt auf eine Pandemie nicht vorbereitet ist. Menschenleben hätten gerettet und sehr viel wirtschaftlicher Schaden verhindert werden können. Gleichzeitig lassen sich bei einem ansteckendes Virus Menschen einfacher von seiner Gefahr überzeugen. Oma wird krank, jetzt sofort. Unmittelbarer geht es nicht.

Oma wird auch von Hitzewellen bedroht, die der Klimawandel häufiger und schlimmer macht, aber das ist keine so sexy Geschichte. Auch Ernteausfälle, Unwetter, gefährdete Ökosysteme, Artensterben, überschwemmte Inseln klingen mehr wie Science-Fiction aus einer fernen Zukunft als etwas, dass das Leben der Menschen betrifft.

3. Beide sind mit großer Unsicherheit behaftet

Wir wissen noch sehr viel über das Virus nicht. Etwa wie viele daran sterben. Es könnte alles gar nicht so schlimm sein – oder schlimmer als gedacht. Beim Klimawandel ist es ähnlich. Zwar gibt es hier zigtausende Studien, die über Jahrzehnte Erkenntnisse aufgebaut haben. Aber die Erde ist so komplex, dass keiner sagen kann, was bei zwei oder drei Grad in dreißig oder hundert Jahren genau passiert. Bei hoher Unsicherheit liegt das Vorsorgeprinzip nahe.

"Leider geht das Risiko beim Klimawandel sehr stark in die Richtung, dass es deutlich schlimmer wird als erwartet", sagt Klimaökonom Gernot Wagner. "Wir denken, dass doppelt so viel CO2 in der Atmosphäre zu 1,5 bis 4,5 Grad Erwärmung führt, wissen aber, dass 1,5 Grad wahrscheinlich viel zu optimistisch ist." Auf dem jetzigen Emissionspfad gibt es außerdem eine über zehnprozentige Wahrscheinlichkeit, dass sich die Erde um sechs Grad erhitzt, wie Wagner mit dem Ökonomen Martin Weitzman berechnet hat.

4. Beide richten massive Schäden an

Wie viele Menschen am neuen Coronavirus sterben werden, ist ungewiss. Man lehnt sich aber nicht weit aus dem Fenster, wenn man davon ausgeht, dass es Millionen werden (schon jetzt gibt es 180.000 Tote). Es gibt keine sinnvollen Berechnungen, wie viele Menschen am Klimawandel sterben. Aber man kann sich über Luftverschmutzung annähern, die durch Heizen, Autos, Fabriken entsteht. Daran starben 2015 geschätzt neun Millionen Menschen einen zu frühen Tod, wegen Asthma, Schlaganfällen, Krebs ("nur" 700.000 davon in reicheren Ländern). Wer in einer Stadt lebt, die stark verschmutzt ist, ist auch anfälliger für das Coronavirus.

"Der Klimawandel hat eine ganz andere Dimension", sagt Herbert Formayer vom Institut für Metereologie der Wiener Boku. "Da geht es darum, dass wir in Situationen kommen, wo jetzt dicht besiedelte Gebiete nicht mehr bewohnbar sind, Menschen wegmüssen und das zu Konflikten führt, dass die Versorgung mit Lebensmitteln infrage gestellt wird."

5. Beide zeigen: Es braucht schlaue Politik

Corona- und Klimakrise lassen sich nicht ohne den Einzelnen lösen. Wenn jetzt niemand zu Hause bleiben würde, hätten wir keine Chance, die Verbreitung des Virus einzudämmen. Würde die Politik aber nicht die Maßnahmen vorgeben, Strukturen aufbauen, Kontakte identifizieren, mehr Geld in Labors stecken et cetera, wäre das ziemlich sinnlos. Auch in der Klimakrise ist das so.

Wenn gegen jedes Windrad, gegen jede ökologische Steuerreform protestiert wird, wird das nichts. Die Bereitschaft des Einzelnen reicht aber nicht: Es braucht Politik, die nach vorne prescht, und neue Technologien. Was Medikamente und Impfungen gegen das Virus sind, sind für das Klima kluge erneuerbare Stromnetze oder Innovationen in der Zement- und Stahlerzeugung. Hier ist aber die Klimakrise im Vorteil: Die meisten Lösungen gibt es schon, sie können jetzt (oder könnten vor zehn oder zwanzig Jahren) umgesetzt werden.

6. Beide werden immer noch schlimmer

Am 11. März gab es null Corona-Tote in Österreich, eine Woche später neun, dann 54, dann schon 167. Je länger man wartet, desto schlimmer wird es. Beim Klimawandel ist es ähnlich. "Zwei Grad ist nicht doppelt so schlimm wie ein Grad, es ist um ein Vielfaches schlimmer", sagt Gernot Wagner von der New York University. "Drei Grad ist noch mal um ein Vielfaches schlimmer, bei fünf oder sechs Grad gibt es keinen Forscher, der glaubt zu wissen, was dann passiert."

Wagner sagt, er freue sich, dass jetzt Kanzler und Vizekanzler im Fernsehen exponentielles Wachstum erklären. Er versuche aber seit 20 Jahren öffentlich den Klimawandel zu erklären, und es sei "verdammt schwierig", jemandem in der Politik zu erklären, dass es auch dort exponentielles Wachstum gibt. "Wir sind gescheitert."

7. Irgendwann lassen sich beide nicht mehr aufhalten

Der Virologe Christian Drosten meinte vor kurzem, man müsse jetzt sehr aufpassen. Denn im Hintergrund habe sich das Coronavirus auf breite Teile Deutschlands ausgebreitet, es sei nicht mehr nur in einigen Herden vorhanden. Wenn der Normalbetrieb zu früh losgehe, könnte die Situation unkontrollierbar werden. Es sei wie mit den Skiern auf einer schwarzen Piste zu fahren. Man könnte sich dabei etwa denken "Die ist steil, ja, aber man kann bremsen" – und plötzlich merkt man dann, doch nicht. Es gibt kein Zurück mehr.

Das Beispiel passt auch wunderbar zum Klimawandel. Es gibt Kipppunkte im Klimasystem. Sind die einmal erreicht, lässt sich die Entwicklung nicht mehr aufhalten. Etwa wenn der Amazonas-Regenwald abstirbt, weil es zu trocken wird, oder der Grönländische Eisschild schmilzt, weil es zu warm wird und so der Meeresspiegel langfristig bis zu sieben Meter ansteigt. Darum verlangt die Klimakrise, wie Corona, hohe Vorsicht und frühes Handeln.

8. Die Welt muss an einem Strang ziehen

Die Corona-Pandemie ist erst vorbei, wenn die ganze Welt geimpft ist. Sonst kann das Virus immer wieder eingeschleppt werden. Die Klimakrise ist erst vorbei, wenn die gesamte Welt die nötigen Reformen einleitet. Nationalstaaten haben es im Kampf gegen das Coronavirus aber einfacher. Mit strengen Einreisekontrollen lässt sich das eigene Schicksal relativ gut lenken. Beim Klimawandel ist das nicht so. Säumige Länder machen den Klimawandel nicht nur für sich schlimmer, sondern für alle anderen auch.

Krisen seien aber auch eine Chance, sagt Ökonom Wagner. Der New Deal in den USA war eine Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise, nach dem Zweiten Weltkrieg gab es für Europa den Marshallplan, und zur Stabilisierung des Finanzsystems sind die Weltbank und der Internationale Währungsfonds gegründet worden. "Es ist nicht so lange her, dass auf globale Katastrophen mit globalen Institutionen reagiert wurde", sagt Wagner. "Es ist zu hoffen, dass das dieses Mal auch passiert. Es braucht einen Green New Deal."

9. Mit guter Kommunikation lässt sich viel erreichen

Für Herbert Formayer von der Universität für Bodenkultur ist die große Lehre aus Corona, "wie wichtig ist, dass man ein Thema kommuniziert". Bei Corona hätte die Regierung rasch und klar der Öffentlichkeit kommuniziert, was Sache sei, und die Menschen seien dadurch mitgegangen. Auch die Opposition habe nicht den Spielverderber gespielt. "Wenn man kommuniziert, dass wir jetzt dringend etwas tun müssen, dann zeigt das Ernsthaftigkeit."

Der Klimawandel sei immer kontroversiell dargestellt worden, man habe meist eher von den wirtschaftlichen Nachteilen gesprochen oder gleich die Auswirkungen kleingeredet. "Da braucht man sich nicht wundern, wenn nichts weitergeht. Würde man beim Klima ähnlich klar kommunizieren, würde das auch funktionieren." Aber: Auch hier hat es die Politik gegen das Virus einfacher: Eine Pandemie will niemand. Eine Abkehr von fossiler Energie tut hingegen einigen weh, die stark lobbyieren.

10. Corona bringt dem Klima nichts, aber vielleicht ...

Die Emissionen werden nur kurzfristig sinken. Was länger bleibt, ist, dass das Momentum, das Klimapolitik zuletzt hatte, weg ist. Nun sind Gesundheit und Arbeitsplätze wichtiger. Wenn die akute Gesundheitskrise vorbei ist, wird es Spritzen für die Wirtschaft brauchen, damit sie wieder auf die Beine kommt. Das könnte der Zeitpunkt sein, an dem Klimapolitik ihr Comeback feiert, nämlich mit nachhaltigen Konjunkturprogrammen.

Formayer sagt, wenn Fluglinien aufgefangen werden, dann dürfe man diese Chance nicht vergehen lassen. Das sei ein guter Zeitpunkt, um zum Beispiel EU-weit eine Kerosinsteuer durchzusetzen. Man könnte, anstatt Autofirmen direkt Geld zu geben, Förderungen für Autos ohne oder mit sehr niedrigen Emissionen einführen, schlägt der Berater Michael Liebreich vor. Es dürfe kein Geld in Geschäftsmodelle fließen, die der Klimaneutralität langfristig im Weg stehen. Ökonom Wagner hat ein Beispiel für ein Jobprogramm: "Jetzt in Österreich auf einer Million Dächern Solaranlagen zu installieren bringt sehr viele Arbeitsplätze."

Wenn Ihnen der Beitrag gefallen hat, melden Sie sich für den Newsletter an. Ich schreibe Ihnen, wenn im Rahmen der Serie ein neuer erscheint. (Andreas Sator, 26.4.2020)