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Hier lehrt der malende Aktionskünstler Otto Mühl (1925–2013), wie man die Kunstgeschichte neu zu bewerten habe: Mühl anno 1998 vor dem Gemälde "Apotheose des Marcel Duchamps" (1995).

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Die über uns verhängte Quarantäne wird gerade an vielen neuralgischen Punkten gelockert. Und dennoch sieht sich jeder, der mit hochtrabenden Plänen schwanger geht, auf die engen Grenzen der Vorstellungskraft verwiesen. Denken wir an die Frühlingsgefühle: Wer sich als lediger Mensch vornimmt, auf Freiersfüßen zu wandeln, wird mit Hühneraugen aufwachen. Gerade zwischen Wildfremden gilt: Das Abstandhalten verhindert jede Vertraulichkeit, die den Klapperstorch dazu animiert, nach neun Monaten mit einem Ränzel im Schnabel wiederzukehren.

Von der Überwindung indoktrinierter Schamgefühle handelte einst auch das stürmische Wirken der Wiener Aktionisten. Die Farbausschütter rund um Hermann Nitsch und Otto Mühl riefen in mir, einem Babyboomer, der in den ambivalenten Jahren der Ära Sinowatz Theaterwissenschaft studierte, großes Staunen hervor. Ich sah Satyrn auf Filmleinwänden, die über nackten Frauenkörpern Farbbeutel ausklopften.

Lust auf Nachahmung

Rasch überkam mich und einen lieben Kommilitonen das dringende Bedürfnis, das Treiben der Wüstlinge mit vereinten Kräften nachzustellen. Ein Proseminar mit Gruppenreferatszwang bot uns naseweisen Forschern die ersehnte Gelegenheit, es den Faunen gleichzutun. Anarchie wie noch nie!, lautete unser Motto.

Niemand hatte uns freilich mitgeteilt, wie schwer es wirklich ist, im Wissenschaftsmilieu die Avantgarde zu bilden. Wir dachten daran, erst über die berüchtigte "Hörsaal 1"-Aktion zu berichten, um uns allmählich, coram publico, zu entkleiden und allein durch unser Beispiel die Mitstudierenden zu einer anarchischen Lebenspraxis zu überreden.

Die erhoffte Sprengung der Lehrveranstaltung missriet. Zwar entblößten wir uns. Wir brachten Hundekot auf Partytellern zur Verteilung; einander bewarfen wir lustlos mit Schmierseife. Doch der Dozent erhob kaum den Blick. Wir ernteten Gekicher, ansonsten entlud sich der Studierstress in Gähnkrämpfen. Beschmutzt, wie wir waren, trotteten wir nach Verrichtung unserer Aktion in das Refugium des Lehrkörpers. Der Dozent spendierte Frotteehandtücher. Die Rache der Philister? Folgte auf dem Fuße. Mein Partner und ich erhielten jeder einen glatten "Einser". (Ronald Pohl, 22.4.2020)