Die Vorkommnisse rund um das Coronavirus in Tirol vom März 2020 sorgen international weiter für Schlagzeilen. In Tirol selbst sprechen Touristiker von einem "kommunikativen Meisterstück".

Foto: APA/EXPA/Erich Spieß

Berlin/Innsbruck/Wien – Tirol sorgt weiter für internationale Negativschlagzeilen. Die niederländische öffentlich-rechtliche NOS, vergleichbar mit dem österreichischen ORF, berichtete am Montag groß über mehrere hundert Niederländer, die in Tirol geurlaubt und sich dabei mit dem Coronavirus infiziert haben – und die sich nun der Sammelklage von Verbraucherschützer Peter Kolba anschließen wollen. Betroffene berichten, dass sie sich "betrogen fühlen", weil die Wintersportsaison in Tirol einfach weiterging, obwohl den Verantwortlichen längst hätte klar sein müssen, welchen Gefahren sie die Touristen damit aussetzten.

NOS zitiert niederländische Tirol-Urlauber, die angeben, sich vor Reiseantritt im März noch extra erkundigt zu haben, ob ein Urlaub in Ischgl sicher sei. Sowohl in den Niederlande selbst als auch in Tirol habe man ihnen keinerlei gegenteilige Informationen gegeben, weshalb sie angenommen hatten, die Reise sei sicher. Dass die Skisaison trotz zahlreicher Warnungen und offenkundiger Infektionen von Urlaubern bis 15. März weitergelaufen ist, werfe die Frage auf, ob hier strafrechtlich relevantes Versagen der Verantwortlichen vorliege, so der NOS-Bericht.

15 Amerikaner überlegen Klage nach US-Recht

Insgesamt haben sich bis Dienstag mehr als 5.000 Tirol-Urlauber bei Kolbas Verbraucherschutzverein (VSV) gemeldet, die sich seiner Sammelklage anschließen wollen. Rund 70 Prozent der Betroffenen kommen aus Deutschland, danach folgen die Niederlande, Dänemark, Norwegen sowie Großbritannien. Auch 15 US-Amerikaner haben sich gemeldet, weshalb man nun prüfe, ob diese eine Sammelklage nach US-Recht einbringen könnten. Mittlerweile, so Kolba im Gespräch mit dem STANDARD, seien mindestens sechs Todesopfer zu beklagen, die sich direkt im Urlaub in Tirol angesteckt hatten.

Aktuell arbeitet der VSV mit rund 500 dieser Betroffenen daran, dass sich diese als Privatbeteiligte dem Verfahren anschließen können. Das würde ihnen einerseits die Möglichkeit der Akteneinsicht bieten, aber auch den Druck auf die ermittelnde Staatsanwaltschaft Innsbruck erhöhen, so Kolba. Von den insgesamt mehr 5.000 Personen, die sich der Sammelklage anschließen wollen, haben rund die Hälfte eine Rechtsschutzversicherung, so Kolba. Für die andere Hälfte suche man noch nach einem Prozessfinanzierer, der für die Kosten aufkommen würde.

Seitens der Staatsanwaltschaft Innsbruck heißt es auf Nachfrage, dass die polizeilichen Ermittlungen in der Causa weiterlaufen. Man eruiere noch, wer wann Bescheid gewusst habe. Erst nach dem Abschluss dieser Ermittlungen werde man darüber entscheiden, ob es tatsächlich zu einer Anklage komme. Kolba hofft noch bis zum Sommer auf erste Verfahren vor dem Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen.

Tiroler Touristiker weisen Schuld weiter von sich

In Tirol selbst sprechen hochrangige Vertreter der Tourismuswirtschaft indes weiter davon, alles richtig gemacht zu haben oder sich keiner Schuld bewusst zu sein. Mario Gerber, ÖVP-Landtagsabgeordneter und Obmann der Sparte Hotellerie in der Wirtschaftskammer Tirol, nannte die vorzeitige Beendigung der Wintersaison im Interview mit dem ORF Tirol ein "kommunikatives Meisterstück". Die kritische Berichterstattung dazu ist für Gerber wiederum "Tourismus-Bashing".

Auch der in die Kritik geratene Tiroler ÖVP-Nationalratsabgeordnete, Wirtschaftsbundobmann und Seilbahn-Lobbyist Franz Hörl meldete sich am Dienstag in der Tiroler Tageszeitung zu Wort. Nicht nur in Tirol, sondern weltweit seien Fehler passiert, was den Umgang mit dem Virus anbelange. Doch die Tourismusbranche selbst treffe keine Schuld, da man sich immer an die Empfehlungen der Experten gehalten habe. Mit Verweis auf die bayerischen Kommunalwahlen, die noch am 15. März stattgefunden hätten, sowie Bundesligaspiele und Karnevalsveranstaltungen in Deutschland sagte Hörl: "Ich denke, hier sollte sich jeder gut überlegen, wer den ersten Stein wirft."

Mehr deutsche Urlauber als Tiroler in Tirol infiziert

In Deutschland selbst wurde dem Robert-Koch-Institut (RKI) bisher für 9.526 Covid-19-Fälle der Expositionsort Österreich genannt, darunter 3.719-mal Tirol als Bundesland, 428-mal ein anderes österreichisches Bundesland, 5.049 Fälle gaben kein Bundesland an (pro Fall sind Mehrfachnennungen eines Expositionsortes möglich, daher ist die Gesamtzahl der Fälle mit Angabe Österreich kleiner als die Summe der Nennungen nach Bundesland). Zum Vergleich: Das Land Tirol zählte bis Dienstag 3.437 Infizierte, also haben sich mehr deutsche Touristen als Einheimische angesteckt.

Insgesamt führt Österreich damit das negative internationale Ranking bei den Deutschen an. In keinem anderen Land – abgesehen von Deutschland selbst – haben sich so viele Deutsche angesteckt. Von den 14.051 Ansteckungen im Ausland erfolgten 9.526 in Österreich, danach folgt Italien mit 1.631 Nennungen. Das selbst so hart getroffene Italien liegt damit sogar noch hinter Tirol.

In den ersten Wochen des Covid-19-Geschehens hat das RKI Informationen zu genauen Aufenthaltsorten im Rahmen der internationalen Kontaktpersonennachverfolgung "an die Kollegen in Österreich weitergegeben, damit dort vor Ort entsprechende Maßnahmen getroffen werden können", heißt es im Institut. Mittlerweile aber spielten ausländische Herde aufgrund der Reisebeschränkungen nur noch eine "untergeordnete Rolle".

In Deutschland gibt es derzeit 143.457 Infizierte, 4.598 sind bisher gestorben, laut Robert-Koch-Institut haben aber auch 95.200 Patienten die Infektion überstanden. "Aber ernst ist die Situation dennoch immer noch. Es ist kein Ende der Epidemie in Sicht, die Fallzahlen können wieder steigen. Das Virus ist nicht weg", sagte Vizepräsident Lars Schaade am Dienstag. (Steffen Arora, Birgit Baumann, 21.4.2020)