Foto: Concordia/Luiza Puiu

Was macht das Coronavirus mit dem Journalismus und der Medienbranche? Viele Sorgen, um eingeschränkte Grundrechte, um Quellenschutz etwa durch Corona-Apps und Homeoffice und vor allem um die Finanzierung, sagt Daniela Kraus (47), Generalsekretärin des Presseclubs Concordia. Aber die Krise birgt auch Chancen – etwa als Beschleunigerin von Innovationen –, betont die langjährige Medienberaterin, Medienforscherin und Journalismusakademiechefin.

STANDARD: Wer Mitglied des Presseclubs Concordia werden will, wird verpflichtet, sich für Presse- und Meinungsfreiheit einzusetzen und sie zu verteidigen. Was hält die Generalsekretärin dieses Vereins davon, wenn ein Chefredakteur* in einem Leitartikel zur Corona-Krise schreibt: "Jede öffentliche Diskussion schwächt selbstverständlich auch den von der Regierung verordneten Maßnahmenkatalog."

Kraus: Die Aufgabe des Journalismus ist, genau in dieser Phase diese öffentliche Diskussion zu führen. Darauf zu verzichten ist eine Selbstaufgabe des Journalismus. Der Journalismus darf seinen, wenn man so will, Normalmodus des systematischen und kritischen Hinterfragens, des Diskurses über Folgen und Auswirkungen von Maßnahmen in keiner Situation vernachlässigen. Und wenn wir schon beim Normalmodus sind: Wichtig ist, darauf zu achten, dass der Ausnahmezustand mit Einschränkungen von Grundrechten eine Ausnahme bleibt, befristet ist und keine dieser Einschränkungen schleichend zur Normalität wird.

STANDARD: Der Corona-Ausnahmezustand fordert den Journalismus vielfach. Wenn etwa eine App auf meinem Mobiltelefon automatisch mit der App auf einem anderen Mobiltelefon Kontakt aufnimmt und das, wie auch immer verschlüsselt, registriert, dann sind wir recht rasch beim Thema Quellenschutz und Redaktionsgeheimnis. Mit uns Journalistinnen und Journalisten reden Menschen ja recht häufig deshalb, weil sie davon ausgehen können, dass wir nicht preisgeben, von wem wir diese oder jene Informationen haben.

Kraus: Die auch diskutierte Verpflichtung zu einer solchen App scheint zwar kein Thema mehr zu sein. Aber natürlich ist das problematisch. Wenn Journalisten mit einer App oder einem Schlüsselanhänger unterwegs sind, die jede Begegnung registrieren, ist der Quellenschutz nicht mehr gewährleistet.

STANDARD: Solchen Bedenken begegnen die Befürworter solcher Corona-Apps mit Hinweisen, dass die Daten verschlüsselt, anonymisiert et cetera werden. Und der Medienbeauftragte des Bundeskanzlers sagt: Das ist doch eine App einer NGO – des Roten Kreuzes –, das ist keine Regierungsmaßnahme.

Kraus: Was geht, wird irgendwann auch missbraucht. Wir beide haben nicht den Einblick in die Technik, ob man das tatsächlich ausschließen kann. Aber abgesehen davon: Wenn wir als Nichttechniker dieses Misstrauen haben, dann müssen wir davon ausgehen, dass unsere Quellen erst recht dieses Misstrauen haben und so umso mehr zögern, vertrauliche Informationen weiterzugeben. Das heißt: Unabhängig von einem tatsächlichen Missbrauch solcher Technik reduziert das natürlich die Bereitschaft, einen Journalisten zu treffen.

STANDARD: Wobei man über Wochen ohnehin niemanden treffen durfte – und so auch keine Journalisten.

Kraus: Das ist ein viel grundsätzlicheres Problem der Maßnahmen gegen Corona: Ich fühle mich abgeschnitten. Ich beziehe viele meiner Informationen, indem ich Menschen treffe und mit ihnen rede. Nicht nur absichtlich, sondern zufällig, oder sie kommen vorbei. Das fällt weg, und das ist ein grundsätzliches Problem für den Journalismus.

STANDARD: Und viele andere Kontaktmöglichkeiten empfinden Informanten auch nicht so sicher – je heikler die Information, desto heikler das Telefonat oder die – womöglich unbedacht unverschlüsselte – Nachricht.

Kraus: Die allermeisten Journalistinnen und Journalisten arbeiten seit Wochen von daheim. Ich habe so meine Zweifel, dass im Homeoffice überall geschützte Recherchemöglichkeiten, sichere Chats, VPN-Zugänge verfügbar sind. Da sind Medienhäuser noch einmal gefordert.

STANDARD: Wenn offenbar nicht ganz klar ist, wann ein Unfall im Homeoffice ein Arbeitsunfall ist: Wie ist denn das eigentlich mit dem häuslichen Redaktionsgeheimnis?

Kraus: Juristisch nicht geprüfte, aber aus meiner Sicht logische Antwort: Das Redaktionsgeheimnis kann ja nicht an einen bestimmten Ort gebunden sein. Was aber mit der Redaktion als physischem Raum zu tun hat und mir ebenfalls problematisch erscheint: Mit Homeoffice und Social Distancing fällt viel informeller Austausch in der Redaktion weg, auf dem Gang, in der Küche, im Ressort – über Storys, Informationen und ihre Glaubwürdigkeit, ihr Gewicht, über weitere Recherchen.

STANDARD: Dafür glühen die Videokonferenz-Tools recht munter. Aber natürlich, Tisch an Tisch ist das deutlich einfacher.

Kraus: Dieser Austausch ist systemtheoretisch ein zentraler Aspekt, warum Journalismus in einer Organisation Sinn hat. Weil da Diskurs stattfindet, Austausch, Abwägung von Sichtweisen. Das finde ich extrem problematisch. Gerade haben alle auf Newsrooms umgestellt und Workflows organisiert, wo möglichst viele möglichst nahe beieinander sitzen, um möglichst direkt und rasch zu kommunizieren. Und schon ist das wieder weg.

STANDARD: Virtuell geht sich das nicht ganz aus – die permanente Videokonferenz halten vermutlich die wenigsten aus.

Kraus: Vielleicht mit VR-Brillen? Der wahre Roboterjournalismus ...

STANDARD: Der Corona-Ausnahmezustand hat in den Medienhäusern vieles binnen Tagen möglich gemacht, was im normalen Redaktionsbetrieb viele, viele Konferenzen, Workshops und Abstimmungen gebraucht hätte, viel Zeit, viele Bedenken und womöglich auch Proteste. Neue Workflows, digitale Konferenzen und vieles mehr.

Kraus: Ich staune, was da alles möglich ist, wie dieser Ausnahmezustand vieles beschleunigt, im Guten wie im Schlechten. Die Frage ist eigentlich: Was kann man aus dieser Krise lernen? In den Managementetagen nicht nur von Medien könnten die Erfahrungen zur Frage führen: Geht das alles nicht viel effizienter?

STANDARD: Ich könnte mir vorstellen, dass das umfassende Homeoffice den einen oder anderen Verlagsmanager schon überlegen lässt, ob man wirklich so viele Stockwerke braucht. Ganz abgesehen von der Mann- und Fraustärke.

Kraus: Das kann natürlich passieren.

STANDARD: Wobei die gerade in einigen Häusern nach jahrelangen Appellen doch abgebauten Urlaubsrückstände auch darauf hindeuten könnten, dass es in den Redaktionen eher zu viel als zu wenig zu tun gibt. Vorerst gibt es großflächig öffentlich geförderte Kurzarbeit wegen der Wirtschafts- und damit Werbekrise. Aber die ist auf maximal sechs Monate angelegt.

Kraus: Die Krise könnte auch ein Vorwand sein, um ohnehin schon länger geplante Kostenkürzungen, auch Personalreduktionen umzusetzen, ohne sich öffentlicher Kritik aussetzen zu müssen. Derzeit schaut niemand hin. Und wo leider noch weniger hinschauen: Für die freien Journalistinnen und Journalisten und die Fotografen ist diese Krise ein Desaster – denen bricht alles weg. Die Frage ist: Wie fair können sich Medienunternehmen jetzt ihren Freien gegenüber verhalten?

STANDARD: Wird die Krise den Journalismus verändern?

Kraus: Natürlich. Hoffentlich bringt sie die Medienhäuser dazu, ihre Wissenschaftsberichterstattung zu stärken und ihre Kompetenzen in der Interpretation von Daten. Wenn man das Positive sehen will: Jetzt redet man einfacher über Innovationen, das kann die Medien weiterbringen. Und das ist ein Digitalisierungsschub. Alle verstehen, dass man digital arbeiten und publizieren kann, ohne daran zu sterben. Die jüngsten Gallup-Umfragen zum Informationsverhalten in Corona-Zeiten zeigen die deutlich gestiegene digitale Nutzung. Und daran gewöhnt man sich.

STANDARD: Die digitale Nutzung ist ja wunderbar – aber die Zahlungsbereitschaft für digitale Medien ist bisher eher überschaubar im Vergleich etwa zu gedruckten Zeitungen. Und: Bisher ist nicht absehbar, dass Userbeiträge und Digitalabos die ohnehin sinkenden und nun eingeknickten Werbeeinnahmen ausgleichen können.

Kraus: Und die Frage ist: Kommen die Werbeeinnahmen nach diesem Ausnahmezustand in ausreichendem Maß zurück? Mir scheint, die österreichischen Medien nutzen die Chance dieses Digitalisierungsschubs nicht wirklich. Abgesehen vom Support-Aufruf beim STANDARD sehe ich keine Hinweise darauf.

STANDARD: Hinweise worauf?

Kraus: Medien müssen und müssten schon lange kommunizieren: Was ist Journalismus, was unterscheidet ihn von anderen Inhalten, warum kostet er etwas, warum soll man dafür bezahlen? Und jetzt stellt sich die Frage: Wie hole ich die Leute in dieser Situation an Bord und bringe sie später dazu, dafür zu bezahlen? Der "Economist" etwa macht das sehr gut: Man kann die profunde Corona-Berichterstattung im Gegensatz zum übrigen Angebot kostenlos lesen – muss aber den Newsletter abonnieren.

STANDARD: Die Regierung hilft Medien in der Krise – neben der allgemein geförderten Kurzarbeit – mit einer 15 Millionen schweren Regierungskampagne, die Teile der ausgefallenen Wirtschaftswerbung abfedern kann. Und mit gut 30 Millionen Sonder-Medienförderung.

Kraus: Die sich großteils an Druckauflagen orientiert und die Massen- und Gratiszeitungen am stärksten fördert. Das Kriterium ist schlicht absurd.

STANDARD: Wie wird Österreichs Medienbranche aus dieser Krise kommen? Und welche Maßnahmen wären sinnvoll?

Kraus: Wann ist danach? Ich kann das nicht abschätzen. Wer dieser Situation intelligent begegnet, wer seriös berichtet, wird mit gestärkter Glaubwürdigkeit und gestärkter Marke aus ihr hervorgehen. Der ORF geht in der öffentlichen Wahrnehmung sicher gestärkt aus dieser Phase hervor. Die Werbekunden zurückzugewinnen wird eine größere Herausforderung, als Leserinnen und Leser zum Zahlen zu bewegen.

STANDARD: Welche Maßnahmen wären sinnvoll?

Kraus: Diese leidige Thematik der Medienförderungen muss endlich sinnvoll angegangen werden: Sie müssen unabhängigen, qualitätsgesicherten Journalismus unterstützen, egal auf welchem Weg er sein Publikum erreicht – auch und vor allem digital. Und sie sollten nicht in Form von Inseratenbuchungen ohne Qualitätskriterien nach möglichst großer Auflagenhöhe und Reichweite vergeben werden. (Harald Fidler, 21.4.2020)