Zehn Meter Abstand sind im Freien nicht notwendig, sagt Expertin Suchomel.

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Frage: Wie viel Abstand muss man wirklich halten? Was sagen Experten dazu?

Antwort: Aus Sicht von Infektiologen sei der Rat, beim Laufen einen Abstand von zehn Metern einzuhalten, nicht nachvollziehbar, sagt Miranda Suchomel vom Institut für Hygiene der Med-Uni Wien. Sie erklärt: Bei der Tröpfcheninfektion spielen drei Optionen ein Rolle: große Tröpfchen, die beim Niesen oder Husten etwa einen Meter, kleine Tröpfchen, die zwei Meter weit fliegen können, und die sogenannten Tröpfchenkerne oder Aerosole. Letztere können, so wisse man aus Studien zu Sars-CoV, bis zu zehn Meter "im Raum stehen". Allerdings wurden diese Simulationen in einem bewegungslosen Innenraum durchgeführt. "Es ist ein großer Unterschied, ob man sich im Freien befindet, wo das Sekret sofort verdünnt wird, es möglicherweise windig ist und sich ein riesiges Luftvolumen um den Läufer befindet, oder in einem Raum ohne Luftaustausch", so Suchomel.

Auch wenn Läufer durch eine intensive Atmung sicherlich mehr ausatmen als jemand, der spazieren geht, wisse man noch nicht, welche Rolle Aerosole, die beim Atmen in die Umgebung gelangen, bei der Übertragung spielen, sagt Suchomel: "Reines Atmen ist nicht der Übertragungsweg. Und ausgeatmete und ausgenieste Tröpfchen – das ist ein großer Unterschied." Muss ein Läufer tatsächlich niesen, "sollte man aber nicht durch die Tröpfchenwolke gehen", sagt Suchomel. In allen anderen Fällen seien zwei Meter Abstand ausreichend.

Frage: Wie ist die generelle Situation im Gesundheitswesen?

Antwort: Prinzipiell gab es Stand 2018 in ganz Österreich 64.285 Betten in Spitälern. Die wiederum sind im Jahresdurchschnitt zu 82 Prozent ausgelastet, im Jänner und Februar zu 85 Prozent. Das heißt, in einem ganz normalen Jahr sind durchschnittlich etwa 11.571 Betten frei.

Wegen der Corona-Krise wurden die Spitäler Mitte März angehalten, nicht dringende OPs zu verschieben, damit Betten frei bleiben. Dazu zählen etwa Hüft- und Knie-Ops, wenn ein Patient deswegen keine starken Schmerzen hat. So wurden ganze Stationen für Covid-Patienten reserviert, damit diese nicht mit anderen in Berührung kommen. Bei den Normalbetten sind von diesen aktuell 560 belegt und 16.629 frei, bei den Intensivbetten sind 196 belegt und 985 frei.

Insgesamt gibt es etwa 2.500 Intensivbetten in Österreich, von denen derzeit etwa 1.000 mit Nicht-Corona-Patienten belegt sind. Weil die Kapazitäten Stand jetzt ausreichen, verkündete Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) am Freitag, dass Spitäler die schrittweise Rückkehr zum Normalbetrieb planen sollen, also auch nicht dringende OPs wieder stattfinden sollen – der Prozess wird jedoch Wochen dauern.

Frage: Situation in der Psychotherapie: Welche Angebote gibt es? Wie wird gearbeitet? Wie wirkt sich das auf die Klienten aus?

Antwort: Ambulatorien und Therapeuten haben geöffnet oder halten ihre Therapiestunden online oder übers Telefon ab. Die Vereinigung Österreichischer Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten listet auf ihrer Homepage zertifizierte Anbieter, außerdem wurde eine Erstberatungshotline eingerichtet. Eigentlich gilt in Österreich ein Fernbehandlungsverbot. "In der aktuellen Krise ist dieses Verbot allerdings ausgesetzt", sagt Sylke Andreas, Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Klagenfurt. Aktuell ermöglicht die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) Patienten – sowohl solchen, die vorhaben, sich in eine psychotherapeutische Behandlung zu begeben, als auch allen, die sich bereits in einer befinden –, für die Dauer der Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie Einheiten via Telefon, Skype, Zoom oder Facetime zu nützen. Sie werden wie eine in der Ordination erbrachte Leistung abgerechnet.

Für Menschen mit psychischen Erkrankungen sind das Zusammenbrechen ihrer gewohnten Alltagsstrukturen und eine sich täglich ändernde, völlig ungewisse Situation schwerer zu ertragen als für psychisch Gesunde. Wobei die soziale Isolation die psychischen Krankheitsbilder weiter verstärkt. Die Ausgangsbeschränkungen nehmen den Betroffenen ihre gewohnte Struktur, an der sie sich festhalten können, die ihnen Orientierung gibt und damit Stabilität. Gerade bei psychischen Erkrankungen wie einer Depression, oder wenn Medikamente eingenommen werden müssen, ist ein geregelter Tagesablauf wichtig. Ansonsten laufen viele Menschen Gefahr, in ein Tief zu fallen. "Viele meiner Klienten sorgen sich zudem um die eigene Gesundheit oder die ihrer Angehörigen, andere haben durch den Shutdown ernsthafte finanzielle Probleme", so Just.

Frage: Wie konform sind die Regierungsmaßnahmen mit der Verfassung?

Antwort: Genau das versucht gerade ein Beratergremium von Gesundheitsminister Anschober zu sichten, parallel dazu sind bereits Ersuchen um Stellungnahme des Verfassungsgerichtshofs an die Regierung ergangen. Ab 1. Mai haben Türkis-Grün, betroffene Landesregierungen und Bezirkshauptmannschaften sechs Wochen Zeit, um dem Höchstgericht ihre Sicht der Dinge zu den aufgeworfenen Rechtsfragen darzulegen. Die nächste Session des Verfassungsgerichtshofs findet im Juni statt, doch in schwierigen Fällen können sich die Beratungen länger hinziehen.

Frage: Was gilt rechtlich als besonders heikel?

Antwort: Um die Epidemie einzudämmen, hat Türkis-Grün seit Mitte März nicht nur 134 Gesetze durchgebracht, dazu setzte es auch eine Vielzahl an ministeriellen Verordnungen und Erlässen, die unter namhaften Juristen als bedenklich gelten. Dafür als exemplarisch wird meist die Verordnung von Minister Anschober angeführt, die alle Menschen in Österreich betrifft und die quasi den gesamten öffentlichen Raum zur verbotenen Zone erklärt: Denn für den Aufenthalt im Freien sind nur wenige Ausnahmen definiert worden. Das Problem: Die Regierung leitet daraus Besuchseinschränkungen selbst für die Familie ab, und die Polizei muss bei Kontrollen zwischen Gesagtem der Regierung und tatsächlich Untersagtem entscheiden.

Frage: Wer berät Anschober bei dieser Angelegenheit konkret?

Antwort: In seinem Beratergremium sind neben Ex-Justizminister Clemens Jabloner auch Christiane Wendehorst, Professorin für Zivilrecht an der Uni Wien, Wolfgang Peschorn, Ex-Innenminister und Präsident der Finanzprokuratur, Michael Mayrhofer, Institutsvorstand für Verwaltungsrecht an der Johannes-Kepler-Uni in Linz, Andreas Janko, Vizeinstitutsvorstand für Staatsrecht an der JKU Linz, und Verfassungsrechtler Heinz Mayer vertreten. (Nina Weißensteiner, Gabriele Scherndl, Bernadette Redl, 22.4.2020)