Was führt Frauen in den Pharmabereich? Jede Geschichte klingt anders, viele Frauen sind von männlich dominierten Fächern abgeschreckt.

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In den sogenannten Mint-Fächern, die Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik zusammenfassen, gibt es, was die Geschlechterverteilung betrifft, bekanntlich schwere Schieflagen. Nur ein Drittel der Studienanfänger ist weiblich, bei Sorgenkindern wie Informatik liegt der Studentinnenanteil bei unter 20 Prozent.

Es gibt allerdings einen Bereich in den Naturwissenschaften, in dem der Frauenanteil überraschend hoch ist – die Biowissenschaften. Im Life-Sciences-Bereich, zu dem Fächer wie Biologie, Pharmazie, Medizin oder Chemie gehören, sind zwei Drittel der inskribierten Personen weiblich.

Viele der Absolventinnen dieser Studienfächer kommen offenbar im Pharmabereich unter. Laut Zahlen der Statistik Austria für das Jahr 2017 sind 55,84 Prozent der Beschäftigten im Bereich Forschung und Entwicklung (F&E) in Pharmaunternehmen weiblich. Zum Vergleich: Der gesamte F&E-Bereich Österreichs kommt auf einen Frauenanteil von lediglich 30,6 Prozent, blickt man nur auf die Unternehmen, sind es gar nur noch 16,99 Prozent.

Geschlechterspezifische Medizin

Die Vorteile der Diversität bei der Therapieentwicklung sind spätestens seit der Herausbildung einer geschlechterspezifischen Medizin ab den 1980er-Jahren belegt. In anderen Disziplinen wären diese Vorteile aber gleichfalls nützlich.

Man denke nur an die bekannten Diskriminierungsfälle im Artificial-Intelligence-Bereich, wobei etwa Frauen oder Menschen mit dunkler Hautfarbe von Bilderkennungsalgorithmen schlechter erkannt wurden als weiße Männer.

Wie kommt es also, dass im Vergleich etwa zu Informationstechnologien gerade im Pharmabereich die Gender-Diversität gegeben ist? An zuständiger Stelle im Fachverband der Chemischen Industrie Österreich (FCIO) wird der hohe Nutzen diverser Teams betont. "Diversity ist ein Erfolgsfaktor", erklärt Ilse Bartenstein, Obfrau der pharmazeutischen Industrie im FCIO.

"Es bedeutet, die Chancen der Vielfalt zu nutzen, auf unterschiedliche Perspektiven und Herangehensweisen bei Herausforderungen in der Forschung zu setzen. So wie Frauen einen eigenen Führungsansatz haben, so haben sie auch einen eigenen Zugang zur Forschungsarbeit. Auf weibliche Talente zu verzichten würde bedeuten, auf 50 Prozent der Talente zu verzichten."

"Menschen helfen"

Fragt man bei Frauen in der Branche nach, welche Umstände sie in die Pharmaforschung führten, ist jede Geschichte natürlich anders. "Für mich waren zwei Aspekte hauptverantwortlich", sagt etwa Birgit Seyfried, die den Bereich Analytical Development beim Pharmaunternehmen Takeda in Wien leitet. "Zum einen wurde ich durch meine Familie sehr naturwissenschaftlich geprägt, was meine Talente befördert hat. Zum anderen wollte ich meine Fähigkeiten einsetzen, um Menschen zu helfen. Das hat also auch einen ideologischen Aspekt."

Seyfrieds Weg führte über ein Biochemiestudium zu einer Dissertation über Gerinnungsfaktoren aus Hämatologie-Produkten, die bereits von Takeda gesponsert wurde, hin zu einem Jobeinstieg als Labortechnikerin ebendort und einem folgenden, kontinuierlichen Aufstieg in dem Unternehmen, dem sie mittlerweile elf Jahre verbunden ist.

Heute führt sie eine 50-köpfige Gruppe mit einem Frauenanteil von etwa 70 Prozent. "In meiner Abteilung beschäftigen wir uns mit der Entwicklung analytischer Testmethoden zur Charakterisierung, Entwicklung und Freigabe von Wirkstoffen."

Grundstein für Interesse

Für Seyfried hat der hohe Frauenanteil in der Pharmaforschung viele Ursachen. "Natürlich werden die Grundsteine für das Interesse in der Erziehung und der Schulbildung gelegt. Ich glaube zudem, dass die vielen verschiedenen Berufe, die hier zusammenkommen – unter anderem Pharmazeuten, Biologen, Ärzte, Biotechnologen – für Frauen anziehend wirken. Das war auch bei mir so. Und vielleicht ist es für Frauen auch in größerem Maß eine Motivation, in einem Bereich zu arbeiten, der mit dem Leben selbst zu tun hat und wo man Menschen helfen kann."

Auch Anna Bachmayr-Heyda hat in der Pharmaforschung eine Heimat gefunden. Die Biologin ist in der Immunonkologie beim Branchenriesen Boehringer-Ingelheim in Wien tätig. "Ich habe einige Studien begonnen, darunter auch Mathematik – Biologie war anfangs nicht dabei", blickt sie zurück. "Für mich wurde klar: Ich möchte etwas handfestes Naturwissenschaftliches machen, das aber nicht ganz so theoretisch ist wie Mathematik."

Motiviertes Team

Bachmayr-Heyda war schon früh in der angewandten Forschung tätig. "Ich hatte beim Ph.D. das Glück, in einem extrem motivierten Team zu landen – mit einem Betreuer, der in vielen Dingen den richtigen Riecher hatte. Das hat mich motiviert, in der Forschung zu bleiben", sagt die Biologin.

Auf der Suche nach Forschungsjobs kamen die ersten positiven Rückmeldungen auch aus der Privatwirtschaft. In ihrem Bereich der Immunonkologie geht es darum, körpereigene Immunzellen zu aktivieren, um Krebszellen zu bekämpfen.

Bachmayr-Heyda: "In meiner Arbeit geht es kurz gesagt darum, herauszufinden, ob Substanzen die Kapazität haben, Immunzellen in einem Krebsmodell zu aktivieren." Sie arbeitet an sogenannten 3D-Zellkulturen, die Tumor- und Immunzellen möglichst wie im Patienten abbilden sollen.

Männlich dominierte Fächer

Dass viele Frauen eine Karriere in den Life Siences anstreben, liegt für Bachmayr-Heyda nicht nur an der Anziehungskraft dieser Fächer: "Vielleicht sind auch viele Frauen trotz einschlägigen Interesses vor männlich dominierten Fächern wie der Physik abgeschreckt."

Und die Forscherin gibt zu bedenken, dass der Frauenanteil in den Laboren zwar hoch ist, die Führungsebenen aber dann wieder männlicher dominiert seien. "Der Gedanke, dass Familie und Karriere schwierig zu vereinen ist, steckt noch in vielen Köpfen", resümiert die Forscherin.

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf spielt im hohen Maße bei der Wahl des Arbeitgebers mit. Birgit Seyfried betont etwa, dass für viele Frauen in ihrem Team die Möglichkeit zur flexiblen Karenzgestaltung und das Vorhandensein eines Betriebskindergartens wichtig seien.

Auch Ilse Bartenstein vom Fachverband hebt das hervor: "Wie richtig die Entscheidung zur Unterstützung unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist, zeigt sich auch an der hohen Anzahl weiblicher Beschäftigter in der Pharmaforschung." (Alois Pumhösel, 27.4.2020)