Im Gastkommentar unterstützt George Soros, Gründer und Vorsitzender der Open Society Foundations, den Vorschlag Spaniens, EU-Anleihen mit unbegrenzter Laufzeit auszugeben.

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Wie den Wiederaufbau finanzieren? Die Staats- und Regierungschefs tagen am Donnerstag per Videokonferenz.
Foto: AP / Stephanie Lecocq

Der Europäische Rat hält am Donnerstag ein virtuelles Gipfeltreffen ab, um zu überlegen, wie die Europäische Union mit den wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie umgehen soll. Der bei weitem am besten durchdachte und innovativste Vorschlag kommt aus Spanien. Er sollte bei dem Treffen ganz oben auf der Tagesordnung stehen.

Historische Vorbilder

Die größte Innovation, die Spanien vorschlagen will, ist die Ausgabe von EU-Anleihen mit unbegrenzter Laufzeit. Die Idee ist nicht neu: Großbritannien hat konsolidierte Anleihen (oder Consols) erstmals 1752 ausgegeben und später zur Finanzierung der Napoleonischen Kriege und der Krim-Kriege, des Gesetzes zur Abschaffung der Sklaverei, des Irischen Notkredits und des Ersten Weltkriegs verwendet. Und 1870 hat der Kongress der Vereinigten Staaten Consols dazu verwendet, die Schulden des Bürgerkriegs zu konsolidieren.

Aber in der EU standen solche Anleihen noch nie zur Debatte. Jetzt allerdings werden sie von Spanien als außerordentliche Maßnahme vorgeschlagen, um mit einer außergewöhnlichen Lage umzugehen. Dazu könnten sie sehr effektiv sein.

Starker Hebel

Wir werden von einem weitgehend unbekannten, neuartigen Coronavirus angegriffen, und Anleihen ohne Laufzeit könnten uns mit den finanziellen Ressourcen ausstatten, die wir brauchen, um diese Schlacht zu gewinnen. Und wir befinden uns noch in einem weiteren Krieg, der droht, unsere Zivilisation zu zerstören: dem Kampf gegen den Klimawandel. Auch dafür können solche Daueranleihen mit unbegrenzter Laufzeit eingesetzt werden.

Wie ihr Name nahelegt, muss der Nennwert dieser Anleihen niemals zurückgezahlt werden, obwohl dies unter anderen Umständen durchaus angemessen sein könnte. 2015 beispielsweise hat Großbritannien die britischen Consols und Kriegsanleihen vollständig zurückgezahlt. Eine Emission in Höhe von einer Billion Euro mit einer Verzinsung von 0,5 Prozent würde jährlich fünf Milliarden Euro an Zinsen kosten. Das würde fünf Milliarden Euro eine zweihundertfache Hebelwirkung verleihen. Vielleicht haben sogar die Verfasser des spanischen "inoffiziellen Arbeitspapiers" den Kern dieses Prinzips nicht verstanden: Sie widmen einen großen Teil ihres Vorschlags der Frage, wie solche dauerhaften Anleihen bedient werden können.

Beispiel: Österreichische Anleihen

Aber dies ist kein Problem. Die EU-Regierungen könnten sich leicht auf fünf Milliarden Euro einigen, um eine Emission laufzeitloser Anleihen in Höhe von einer Billion Euro zu finanzieren – entweder einstimmig oder durch eine Koalition der Willigen. Es besteht keine Notwendigkeit, neue Einkommensquellen zu finden.

Auch eine solche Emission von Anleihen mit 0,5 Prozent Zinsen auf den Markt zu bringen ist kein Problem. Die langfristigsten momentan ausstehenden Anleihen – österreichische mit hundertjähriger Laufzeit – bringen knapp unter 0,5 Prozent. Natürlich könnte es eine Weile dauern, bis die Märkte mit dieser Idee von Daueranleihen vertraut werden. Aber die Emission muss nicht auf einmal stattfinden: Sie kann in Tranchen erfolgen, und langfristige Investoren wie Lebensversicherungsunternehmen werden sich um sie reißen. Wenn die Tranchen komplett ausgegeben sind, werden sie mehr erzielen als die österreichischen Anleihen.

Klimawandel einbeziehen

Über die Größe dieser Emission wird noch diskutiert. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen strebt eine Billion Euro an, aber das spanische Arbeitspapier schlägt bis zu 1,5 Billionen vor. Dies bietet eine Möglichkeit, auch die zweite Bedrohung unserer Zivilisation einzubeziehen: den Klimawandel. Diese Gefahr stand in der Öffentlichkeit und auch bei der Europäischen Kommission im Vordergrund, bis das neuartige Coronavirus alles überschattete. Aber wir dürfen den Klimawandel nicht vergessen.

Der primäre Zweck einer Ausgabe von Daueranleihen in Höhe von 1,5 Billionen Euro wäre der Kampf gegen die Pandemie, aber wenn diese unter Kontrolle ist, könnte Geld für Maßnahmen gegen den Klimawandel übrig bleiben – und wenn nicht, könnte eine zweite Emission stattfinden. Es muss allerdings betont werden, dass sowohl die Pandemie als auch der Klimawandel außerordentliche Ereignisse sind, die außerordentliche Maßnahmen erfordern. Unter normalen Umständen sollten solche Anleihen nicht eingesetzt werden.

Schneller handeln

Ich habe zwei weitere Beobachtungen gemacht. Eine bezieht sich auf die folgende Passage des spanischen Arbeitspapiers: "Der Fonds könnte innerhalb des Schirms des Mehrjährigen Finanzrahmens (Multiannual Financial Framework, MFF) verankert werden, und zwar unterhalb der eigenen Ressourcengrenze, aber oberhalb der Ausgabengrenze." Es ist nicht klar, ob dies bedeutet, der MFF solle den Zielen der Ausgabe dauerhafter Anleihen untergeordnet werden, oder umgekehrt. Angesichts der Schwierigkeit einer Einigung über den MFF könnten die Anleihen, wenn die zweite Interpretation richtig ist, zu spät oder nie ausgegeben werden. Das Arbeitspapier schlägt vor, der Mitteltransfer sollte ab 1. Jänner 2021 vorbereitet und in den nächsten zwei oder drei Jahren umgesetzt werden, um die Wirtschaft der betroffenen Länder anzukurbeln. Dies scheint darauf hinzuweisen, dass die erste Interpretation richtig ist. Trotzdem wäre eine Klärung sehr wünschenswert.

Meine andere Beobachtung bezieht sich auf Italien, wo die Öffentlichkeit immer mehr dazu neigt, den Euro und die EU verlassen zu wollen. Was aber bleibt ohne Italien von Europa übrig? Die Bedeutung der Ausgabe solcher Anleihen mit unbegrenzter Laufzeit wird durch diese Frage noch verstärkt – und dies sollte den Europäischen Rat dazu bewegen, noch schneller zu handeln als momentan geplant. (George Soros, Übersetzung: Harald Eckhoff, Copyright: Project Syndicate, 22.4.2020)