Das heurige Abschlusszeugnis könnte seine Signalwirkung verlieren und den Druck lediglich zeitlich verschieben oder sogar steigern, so der Wirtschaftswissenschafter Clemens Löffler im Gastkommentar.

Bei der Präsentation der Pläne zur Durchführung der heurigen Matura ließ Bildungsminister Heinz Faßmann mit der Wortmeldung aufhorchen, man müsse auf die spezifische Situation Rücksicht nehmen und werde daher milde und nachgiebig sein. Ohne dies näher zu präzisieren, war damit zweifellos die Benotung gemeint. Diese Milde gilt in ähnlicher Form für die Abschlüsse in allen anderen Schulformen in diesem Jahr. Die Pläne stießen mehrheitlich auf wohlwollende Resonanz, da die "verschlankte Matura" und eine generell milde Beurteilung Druck von den Schülerinnen und Schülern nähmen.

Welchen Wert hat der "Corona-Abschluss"?
Foto: APA / Harald Schneider

Klar ist, dass diese Maßnahme vielen eine unkomplizierte und verhältnismäßig einfache Erlangung der Hochschulreife und Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht. Aus informationsökonomischer Sicht ist aber ein weiterer Aspekt zu beachten. Die Frage ist, welchen Wert der "Corona-Abschluss" hat. Hat die Maßnahme Auswirkungen auf die Chancengleichheit auf dem angespannten Arbeitsmarkt, den diese jungen Erwachsenen vorfinden werden? Diese Frage betrifft zunehmend auch angehende Studierende, da viele Studienplätze, etwa an den Fachhochschulen, nur noch über Bewerbungsverfahren vergeben werden.

Wichtiger Baustein

Jetzt wird, vor allem in sozialen Netzwerken, aber auch von einigen Bildungsexperten, der Wert des Maturazeugnisses für den weiteren Karriereverlauf grundsätzlich angezweifelt und daher oftmals die generelle Aussetzung der Matura gefordert. Doch für alle heurigen Abschlüsse, bei denen generell Milde walten soll, gilt: Personalabteilungen versuchen über jedes vorhandene Signal mehr Informationen über die Eignung von Bewerberinnen und Bewerbern herauszufiltern. Das Abschlusszeugnis ist ein wichtiger Baustein in diesem System.

Ein Abschlusszeugnis dient dem Arbeitsmarkt und den Hochschulen als Signal für Qualifikation und Leistungsbereitschaft. Die angekündigte Milde führt zwangsläufig dazu, dass die Abschlussnoten nach oben angepasst werden und sich die Varianz reduziert. Dies führt schließlich zu einer Verwässerung des Signals. Die Konsequenz ist, dass es besonders guten Absolventinnen und Absolventen nicht möglich ist, sich über Noten von ihren Mitbewerbern abzugrenzen. Arbeitgeber stehen vor dem Problem, nicht zwischen hervorragenden und durchschnittlichen Kandidatinnen und Kandidaten unterscheiden zu können. Der Wert hervorragender Schulleistungen wird unterminiert, da diese in der Leistungsbeurteilung nicht dargelegt werden können. Kurz: Viele gute Noten zerstören den Signalwert einer Note. Personalabteilungen und Studienzulassungsstellen müssen sich beim Durchsehen der Zeugnisse fragen, ob sich jemand mit einer guten Note wirklich angestrengt hat.

Ungleichheit und Entwertung

Dieser Verlust des Signalwerts steigert die soziale Ungleichheit. Denn wenn alle guten Noten haben, orientieren sich Arbeitgeber an anderen Auswahlkriterien. Das verlangt nach teuren privaten Tests und Assessment-Centern. Der Bewertung von Engagements außerhalb der Schule, Auslandsaufenthalte, familiärer Hintergrund, selbst die Berücksichtigung des Wohnorts bekommen mehr Gewicht. Eine zu erwartende Noteninflation führt damit zu einer Entwertung der Schulen. All das sind Faktoren, die Kinder aus sozial schwächeren Familien benachteiligen. Damit ist zu hoffen, dass die gut gemeinte Milde sich nicht als Bumerang für die Nutznießer dieser Milde erweist und, anstatt Druck aus dem System zu nehmen, als Druckkochtopf wirkt.

Eine Adaptierung des Abschlusszeugnisses auf die bestehende Situation ist natürlich zu begrüßen und Rücksichtnahme angesagt. Auch ist es schwierig, in kurzer Zeit tragfähige Alternativszenarien zu entwickeln, die die Bedürfnisse aller berücksichtigen. Es besteht allerdings die Gefahr, dass diese sich am Ende des Tages als Startnachteil für die besonders fleißigen Absolventinnen und Absolventen erweist und damit den Druck lediglich zeitlich verschiebt oder zu einem späteren Zeitpunkt stark ansteigen lässt. (Clemens Löffler, 23.4.2020)