New Yorks Weg aus der Corona-Krise ist steil und steinig. Das Shutdown "New York State on Pause" wurde mittlerweile bis zum 15. Mai verlängert und das Schulsystem wird in diesem Schuljahr in der Stadt nicht mehr anlaufen. Die Bevölkerung wird dazu aufgefordert, nur mehr mit Mundschutz oder Masken auf die Straße zu gehen. In den Straßenzügen hallen die allgegenwärtigen Sirenen der Einsatzfahrzeuge bei Tag und bei Nacht wider und vor Lebensmittelgeschäften und Apotheken warten Menschen in langen Schlangen darauf eingelassen zu werden. Die Zahl der täglichen Todesfälle zeigt aber zumindest einen deutlichen Abwärtstrend, von mehr als 700 täglichen Covid-19-Toten vor zehn Tagen zu weniger als 400 am vergangenen Wochenende. Immer wieder hört man von Krankheits- oder Todesfällen im näheren sozialen Umfeld: ein Fußball-Coach, der verstorben ist und drei kleine Kinder zurücklässt; eine Lehrerin, die sich bei ihrem als Arzt arbeitenden Mann angesteckt hat; ein Musiker, der auf der Intensivstation liegt; oder ein gerade genesener Arbeitskollege, der jetzt Plasma spendet, um Patienten zu helfen. Covid-19 ist in New York City tatsächlich überall. 

Menschenschlange vor einer Apotheke in Queens.
Daniela Reinsch

Österreicher berichten

Im Ausland lebende Österreicher haben mir in den letzten Wochen Nachrichten zur Covid-19-Situation in ihren jeweiligen Ländern zugeschickt. Im Folgenden ihre Berichte aus Ägypten, der Dominikanischen Republik, Frankreich und Georgien, in alphabetischer Reihenfolge.

Ägypten

C. arbeitet seit langem für eine Internationale Organisation, davon die letzten elf Jahre im arabischen Raum, in Palästina, Sudan und zurzeit Ägypten. Als regionale Beraterin ist sie normalerweise beruflich viel unterwegs. Jetzt arbeitet sie von zu Hause in ihrer Wohnung in Kairo, die sie mit ihren beiden „baladi“ (Stra­ßen) Katzen teilt.

 „Ägypten hatte mit Stand 24. April 4.092 bestätigte Infektionen und 294 Todesfälle, wobei vor allem in den letzten Tagen die Zahl drastisch angestiegen ist. Bei einer Bevölkerung von über 100 Millionen erscheint das immer noch sehr wenig und viele stellen sich die Frage, wie hoch die Zahl wohl in Wirklichkeit ist, da nur um die 50.000 Menschen bisher getestet wurden. Mein Büro hatte sich Mitte März für „working from home“ entschieden. Zum Schmunzeln finde ich, dass viele österreichische Freunde vom „home office“ sprechen, während sich das bei uns im Englischen so nicht durchgesetzt hat. 

Wir hatten die letzten Wochen von 20:00 bis 6:00 morgens Ausgangssperre. Die Schulen und Unis sind zu, Kirchen und Moscheen wurden geschlossen, Restaurants dürfen nur „Take Away“ anbieten, viele Geschäfte sind vor allem am Wochenende zu. Wenn man allerdings untertags hinaus geht, fällt es einem schwer, sich vorzustellen, dass Covid-19 eine Realität ist. Man sieht viele Leute in den Stra­ßen, nur wenige mit Masken. Bauarbeiter arbeiten Schulter an Schulter. Die „Bawabs“ in meiner Straße – die ägyptische Version des Hausmeisters / Wachmanns – sitzen morgens eng gedrängt um einen kleinen Tisch und teilen sich ihr „Fatour“ (Frühstück), das oft aus gekochten Fava Bohnen und Fladenbrot besteht. Kollegen haben auch von Jugendlichen erzählt, die sich untertags treffen und sich so verhalten, als ob sie noch nie von „social distancing“ gehört hätten. Man scherzt nun, dass Ägypter versuchen würden, so eng nebeneinander zu stehen, um den Coronavirus zu erdrücken.

Mir ist das alles nicht wirklich geheuer, da ich beruflich seit Wochen mit Büros in der Region daran arbeite, ihre Programme auf Covid-19 umzustellen und für eine eventuell exponentielle Zunahme der Fälle vorbereitet zu sein. Ich bin es gewohnt, beruflich in Länder zu reisen, die nicht zu den Routine Reisezielen gehören, beispielsweise Syrien, Irak, Somalia oder Jemen. Oft bin ich nach diesen Reisen froh, wieder sicher in Kairo zurück zu sein. Covid-19 hat das alles auf den Kopf gestellt, denn zum ersten Mal habe ich das Gefühl, dass es eigentlich nirgends wirklich sicher ist. Schön ist allerdings, dass man sich auch hier mehr umeinander kümmert. Meine griechisch- amerikanische Nachbarin, die ich bis vor kurzem überhaupt nicht kannte, hat mir selbst gebackene Kekse für das orthodoxe Osterfest vorbeigebracht und wir unterhalten uns jetzt häufig mit sicherem Abstand im Stiegenhaus. 

Am 24. April hat der muslimische Fastenmonat Ramadan begonnen, eine Zeit der Besinnung, während der Gläubige viel Zeit in den Moscheen verbringen. Ramadan ist auch Gelegenheit, mit Familie und Freunden das „Fasten zu brechen“, gemeinsame „Iftars“ (die erste Mahlzeit nach Sonnenuntergang, mit der man das tägliche Fasten beendet) bringen Leute näher. Es werden normalerweise auch Iftar Mahlzeiten organisiert, bei denen an langen kommunalen Tafeln vor allem bedürftige Menschen speisen können. Die schon vorher recht moderaten Covid-19 Auflagen wurden nun etwas gelockert – eine delikate Gratwanderung der Regierung zwischen wirtschaftlichen Interessen, religiös gesellschaftlichen Notwendigkeiten und wichtigen Gesundheitsmaßnahmen. Ausgangsperre ist nun von 21:00 bis 06:00 und Geschäfte können wieder länger und jeden Tag aufsperren. Nichtsdestotrotz, Kairo, eine Stadt, die eigentlich nie schläft und vor allem während Ramadan in der Nacht nicht zur Ruhe kommt, wird dieses Jahr viel ruhiger und nach innen gekehrt feiern müssen.” 

Straßenkatzen in Kairo scheinen sich ans Social Distancing gewöhnt zu haben.
C.
El Tahrir Stra­ße zwischen Nil und Tahrir Platz. Morgens um 7 kurz nach Ende der Ausgangssperre.
C.

Dominikanische Republik

Alfred lebt mit seiner dominikanischen Frau und seinen fast zwei Jahre alten Zwillingstöchtern in Santo Domingo in der Dominikanischen Republik. Er hat 40 Jahre lang für die Vereinten Nationen gearbeitet, zuerst als UNO-Soldat und seit 1985 im Logistik- und Administrationsbereich. Insgesamt hat er in 21 verschiedenen Ländern gelebt und gearbeitet, beispielsweise im Kongo, Südlibanon und Haiti. Zur Zeit gibt es 6.135 bestätigte Covid-19-Infektionen in der Dominkanischen Republik und 278 Todesfälle.

„Die Dominikanische Republik ist ungefähr um ein Drittel kleiner als Österreich und hat 11 Millionen Einwohner. Ich denke, dass niemand genau sagen kann, wie viele Menschen hier wirklich wohnen, leben, arbeiten oder auch nur überleben. Der Präsident hat zwar finanzielle Unterstützung in dieser Corona-Krise versprochen, nur wird davon sicherlich ein großer Teil in den Taschen derer landen, die es nicht brauchen. 

Hier hat alles sehr langsam angefangen, aber leider halten sich weder die oberen Gesellschaftsschichten noch die breite Masse an gewisse Verordnungen. Aber es wird besser. Zwischen 17.00 und 6.00 Uhr gibt es eine Ausgangssperre. Wenn man mit dem Auto oder Moped erwischt wird, verliert man das Fahrzeug bis zum Ende der Maßnahmen. Wenn man zu Fuß unterwegs ist, droht Gefängnis. Politiker und einflussreiche Familien werden sicherlich nicht belästigt. Mehr als 40.000 Menschen wurden bisher wegen Nichtbeachtens der Ausgangssperre verhaftet und für eine Nacht ins Gefängnis gebracht. Man plant jetzt noch stärkere Kontrollen der Ausgangssperren.

Einkaufen geht recht ordentlich und noch ist fast alles erhältlich. Ich war zum ersten Mal stolz, schon älter zu sein, denn ab 65 muss man sich nicht in langen Schlangen anstellen (ich bin 64). Meine Frau kümmert sich aufopfernd um unsere Zwillinge und sie dürfen nun mehr Baby TV schauen, ich koche mehr und putze. Mir tun all die armen Menschen hier sehr leid. Um sie kümmert sich keiner und gute medizinische Versorgung gibt es nicht für alle. Wir versuchen, da und dort ein wenig zu helfen. Wir wollten uns für den Rückholflug nach Österreich am 24. März anmelden, wurden jedoch abgewiesen, da ich kein gestrandeter Urlauber und somit nicht berechtigt bin. Außerdem kann meine Frau sowieso nicht in Österreich einreisen, da ihr momentan kein Aufenthaltstitel gewährt wird.“

Menschenleere Zona Colonial, Santo Domingo.
Alfred
Älteste Kathedrale in der westlichen Hemisphäre. Normalerweise tummeln sich hier Touristen.
Alfred
Maskenträger im Supermarkt.
Alfred

Frankreich

Stefan lebt seit Abschluss seines Medizinstudiums 2002 im Süden Frankreichs am Meer. Nach "langem steinigen französischen Ausbildungsweg" arbeitet er jetzt als Oberarzt im Universitätsspital in Nîmes im hämatologischen Fach.

„Die Tage im Spital sind lang, das Kollegium war unglücklicherweise schon vor dem Ausbruch von Covid-19 durch Krankheit dezimiert und grundsätzlich unterbesetzt, ein hier in Frankreich weit verbreitetes Phänomen. Nach den Meldungen aus Italien wurden ganze Bettenstationen geräumt und in Covid-19-Stationen umgewandelt, die Anzahl der Intensivbetten verdreifacht und chirurgische Eingriffe auf ein Minimum gesenkt. Leider gab es größte Schwierigkeiten, an Tests zu kommen, nicht nur für Patienten, sondern auch für medizinisches Personal. Alles läuft zurzeit über telefonische Patientenberatung, was sehr zeitintensiv ist. Unzählige Mails müssen beantwortet werden. Es wurde jetzt eine eigene isolierte Covid-19-Verdachtsbettenstation eingerichtet, um Patienten zu testen, bevor sie auf die hämatologische oder onkologische Station überwiesen werden. Falsch negative Tests sind unvermeidbar, bei anhaltendem Verdacht werden Tests wiederholt und bildgebende Verfahren durchgeführt.

Masken und Handdesinfektionsmittel sind mittlerweile ausreichend vorhanden und seit Wochen besteht Maskenpflicht im Gebäude. Alle Patienten müssen den Haupteingang unseres Instituts benützen, werden dort von vier Medizinstudenten auf Symptome befragt, und niemand entkommt dem Stirnthermometer. Der schwerste Einschnitt sind Besuchsbeschränkungen, vor allem bei palliativen Patienten, die Zeit für Abschied fehlt. Im benachbarten Hauptgebäude des Universitätsspitals gab es mehrere Ausbrüche von Covid-19 auf verschiedenen Abteilungen, es zeigt sich aber nun eine deutliche Senkung bei den Aufnahmen. Von 65 stationären Covid-19-Fällen sind 16 Patienten auf der Intensivstation.

Die Ausgangssperre wird größtenteils akzeptiert und hier im Süden scharf kontrolliert. Ordenshüter nehmen es oft ernster als nötig, wenn ich meinen Patienten und Kollegen Glauben schenken darf. Kritisiert wird auch das zentralistische Vorgehen der Regierung, die in allen Regionen die gleichen Maßnahmen vorschreibt. Ich selbst bin zweimal am Weg zur Arbeit an Mautstellen kontrolliert worden, es fehlte natürlich immer irgendeine Attestation, aber nach der polizeilichen Berufsbefragung ging es ohne Strafzettel weiter. Bei Anfahrtszeiten werden jegliche Rekorde gebrochen, selbstverständlich bei Einhaltung der erlaubten Höchstgeschwindigkeiten. Seit fünf Wochen gibt es keine Staus in der Region, nur LKWs sind unterwegs.

Zu Hause haben die Kinder, im jugendlichen Alter, das Kommando übernommen, ein Gemüsegarten wurde angelegt, wir warten alle gespannt auf die ersten Tomaten und Erdbeeren. Die Supermärkte funktionieren wie zuvor, es mangelt teilweise an Toastbrot und das im Lande des Baguettes! Die Zeit der Kinder wird mit Netflix, Canal plus und Playstation knapp für den digitalen Schulfernunterricht, dieser funktioniert jedoch zufriedenstellend und die Ankündigung Mitte Mai die Schulen wieder zu öffnen stößt auf innerhäusliche Resistenz. Gelegentlich wird es sportlich, eine Runde Jogging um den Häuserblock, weiter ist nicht erlaubt (1 km) und für die meisten konditionsbedingt ausreichend. Dagegen ist unser alter Tischtennistisch sehr gefragt, France - Autriche 21:19, ich lasse (manchmal) die Herzensdame gewinnen, dem Hausfrieden zuliebe. Bon courage et faites attention à vous!"

Covid-19-Screening im Spital.
Stefan
Besuchsverbot und Desinfektionsmittel.
Stefan

Georgien

Andrea, gebürtige Grazerin, wohnt seit sechs Monaten in Georgien. Die Hälfte der 3,7 Millionen Einwohner lebt in und um die Hauptstadt Tiflis. Das Durchschnittseinkommen beträgt rund 350 Euro. Andrea arbeitet daran, ihre nächste berufliche Leidenschaft zu entdecken.

"In Georgien, der Republik südlich von Russland und östlich der Türkei - Eurasien also, mit all seiner turbulenten Geschichte, Liebenswürdigkeit und Gastfreundschaft, gibt es zurzeit 496 infizierte Personen, davon 149 Genesene und sechs Verstorbene. Die relativ niedrigen Zahlen mögen dem raschen Handeln der Regierung geschuldet sein: Bereits Anfang März, bei drei Infizierten, wurden unter anderem Schulen, Kindergärten, Universitäten geschlossen, sukzessive ebenso die Grenzen. Seit der Verhängung des Ausnahmezustandes am 21. März ruht der öffentliche Verkehr, eine landesweite Ausgangssperre von 21.00 bis 06.00 Uhr trat kurz darauf in Kraft. Es besteht Maskenpflicht in geschlossenen öffentlichen Räumen. Rund um die höchsten Feiertage zum orthodoxen Osterfest ist auch die Inbetriebnahme von privaten PKWs landesweit verboten.

Die Regierung wagt jedoch nicht, die Kirchen gänzlich zu schließen. Laut Medien widersetzen sich einige Geistliche der offiziellen Kirchenlinie, rufen die Gläubigen dazu auf, zu Hause zu bleiben oder schließen gar ihre Kirchen. Am Palmsonntag hörte man von großem Gedränge in und vor den Kirchen. Nach dem Ostersonntag kursierten Bilder von leeren Kirchen beziehungsweise vorbildlichem Abstandhalten. Fakt bleibt, dass alle das Abendmahl von ein und demselben Löffel empfangen.

Die Shota Rustaveli Avenue gleicht gemeinhin einem motorisierten Ameisenhaufen im hormonellen Ausnahmezustand. Man badet in Menschen, wohin man auch tritt. Zebrastreifen sind lustige weiße Striche am Boden, ein Motorrad hat immer Vorrang. Auch am Trottoir. Nun suchen die spärlichen Fußgänger aufmunternden Blickkontakt. Erstmals höre ich Vogelgezwitscher. Kleine Läden, Restaurants, Bars sperren im Alleingang. Ohne staatliche Anweisung. In der digitalen Österreicher-Gruppe machen noch derbe Späße die Runde, gefolgt von Erste-Welt-Problemen.

Revolutionen, Freiheitskämpfe, Kriege. Mangel, Korruption, Armut, Überlebenskampf. Ein kurzer Abriss der letzten zwanzig Jahre für Georgier. Ich favorisiere also die Vorstellung, dass Menschen, deren Leben und Existenzen nicht zum ersten Mal auf dem Spiel stehen, keinen Sinn in Panik sehen. Sondern schlicht tun, was zu tun ist. Mit Einsicht. Mit Zusammenhalt.

Ich bin alles. Ruhig. Allein. Vernünftig. Beklommen in einem Land, dessen Sprache ich kaum spreche, geschweige denn, verstehe. Manchmal verbringe ich verrückt gerne Zeit mit mir. Falls nicht, lausche ich den Nachbarn. Da hat´s was Kreatives mit den Rohren. Dunsthaubt die Wohnungsgenossin über mir ihren Zwiebelodeur, wabert der geschwind durch mein Badezimmer. Desselben gilt für Geräusche. Gelächter, aufgeregte Frauengespräche, allabendliches Lauftraining pünktlich um 23 Uhr.

Ich fühle mich nicht mehr alleine als sonst. Ganz im Gegenteil. Und von meinem Vermieter lerne ich augenzwinkernd, dass ein kleines Glas Chacha - also die Sorte von Schnaps, die einer aus dem Stand gleich alle Kerzen ausblasen kann - in Begleitung einer Knoblauchzehe kein Schaden nicht ist, in Zeiten wie diesen. Am besten vor dem Frühstück, wohlgemerkt."

Shota Rustaveli Avenue, normalerweise sechsspurig befahren.
Andrea
Der Freiheitsplatz in Tiflis.
Andrea
Ehemaliges jüdisches Viertel.
Andrea

Aufruf

Liebe Leserinnen und Leser! Wie geht es Ihnen? Welche Erfahrungen machen Sie in Zeiten des Coronavirus? Wie gehen Sie und Ihre Familie mit der Krise um? Ich freue mich, von Ihnen im Forum zu lesen. Oder schicken Sie mir Ihre Erfahrungsberichte oder Fotos an stellaschuhmacher@hotmail.com. Bleiben Sie gesund! (Stella Schuhmacher, 27.4.2020)