Ein merkwürdiger Besucher von einem fremden Stern durchquert unser Sonnensystem.
Illustr.: NRAO/AUI/NSF, S. Dagnello

Am 19.Oktober 2017 erspähten Astronomen mit dem Pan-STARRS-Teleskop auf Hawaii im inneren Sonnensystem ein merkwürdiges Objekt. Nähere Untersuchungen ergaben schließlich, dass es sich bei dem länglichen 1I/ʻOumuamua getauften Himmelskörper um einen Besucher aus einem fremden Sternsystem handeln muss – dem ersten bisher entdeckten dieser Art. Ende August des Vorjahres gelang es schließlich, den zweiten interstellaren Kometen nachzuweisen. Der rund 500 Meter durchmessende Brocken mit der Bezeichnung 2I/Borisow durchquerte unser Sonnensystem auf einer hyperbolischen Bahn, den sonnennächsten Punkt erreichte er dabei am 8. Dezember 2019.

Am 15. und 16. Dezember 2019 nahmen Wissenschafter 2I/Borisov mit dem Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array (ALMA) der Eso genauer ins Visier. Die Untersuchung erbrachte spektakuläre Ergebnisse, denn das Team um Martin Cordiner und Stefanie Milam vom Goddard Space Flight Center der Nasa (Greenbelt, Maryland) schaffte es dabei erstmals, die chemische Zusammensetzung eines Objektes aus einem fremden Planetensystem aufzuschlüsseln.

Markanter Unterschied zu unseren Kometen

Was vor allem auffiel, war eine ungewöhnlich hohe Mengen an Kohlenmonoxid (CO) in der Koma des Kometen. Die CO-Konzentration erwies sich mit dem neun- bis 26-Fachen als weit höher als bei jedem anderen bekannten Kometen im Umkreis von etwa 300 Millionen Kilometern rund um die Sonne. "Dies ist das erste Mal, dass wir in einen Kometen von außerhalb unseres Sonnensystems schauen", sagt Cordiner. "Und er unterscheidet sich dramatisch von den anderen Kometen, die wir bisher untersucht haben."

Transitbahnen von 1I/ʻOumuamua (rot) und 2I/Borisov durch unser Sonnensystem.
Grafik: Tony873004

Astronomen sind nicht zuletzt deshalb an der Zusammensetzung von Kometen interessiert, weil diese Objekte die meiste Zeit in großer Entfernung ihres Zentralgestirns und in äußerst kalter Umgebungen zubringen. Im Gegensatz zu Planeten hat sich ihre chemische Beschaffenheit seit ihrer Entstehung nicht wesentlich verändert. Daher können sie auch einiges über die Prozesse verraten, die während ihrer Geburt in protoplanetaren Scheiben stattfanden. Im Fall von 2I/Borisov gewähren die gesammelten und ausgewerteten Daten einen einzigartigen Blick in die Anfangsbedingungen eines fernen Sternsystems.

Überraschend große CO-Menge

Mit Hilfe von ALMA detektierten die Wissenschafter insbesondere zwei Moleküle im vom Kometen ausgestoßenen Gas: Cyanwasserstoff, auch bekannt als Blausäure (HCN) und Kohlenmonoxid (CO). Während das Cyanwasserstoff auch bei solaren Kometen in ähnlichem Umfang vorhanden ist, waren die Forscher über die große Mengen an CO überrascht. "Der Komet muss sich aus Material gebildet haben, das sehr reich an CO-Eis ist. Dies ist nur bei den niedrigsten Temperaturen im Weltraum unter -250 Grad Celsius der Fall", sagte die Planetologin Stefanie Milam.

Kohlenmonoxid ist eines der häufigsten Moleküle im Weltraum und kommt in den meisten Kometen des Sonnensystems vor. Es gibt jedoch große Unterschiede in der CO-Konzentration in Kometen, und niemand weiß genau, warum das so ist. Die CO-Menge könnte möglicherweise davon abhängen, wo im Sonnensystem ein Komet gebildet wurde.

Bild nicht mehr verfügbar.

Hubble-Bild von 2I/Borisov, aufgenommen am 12. Dezember 2019, also kurz nach seiner größten Annäherung an die Sonne.
Foto: NASA/ESA

"Wenn die von uns nachgewiesenen Gase die Bedingungen von 2I/Borisovs Geburtsort widerspiegeln, heißt das womöglich, dass der interstellare Komet anders entstanden ist als unsere eigenen Kometen", fügte Cordiner hinzu. Das Team kann nur spekulieren, um welche Art von Stern 2I/Borisov geboren wurde. "Bei den meisten mit ALMA beobachteten protoplanetaren Scheiben handelt es sich um jüngere Versionen von Sternen mit geringer Masse wie der Sonne", sagte Cordiner. "Viele dieser Scheiben erstrecken sich weit über die Region hinaus, in der sich vermutlich unsere eigenen Kometen gebildet haben, und enthalten große Mengen an extrem kaltem Gas und Staub. Es ist möglich, dass 2I/Borisov von einer dieser größeren Scheiben stammt."

Einsame Reise durch den interstellaren Raum

Aufgrund seiner hohen Geschwindigkeit von 33 Kilometer pro Sekunde vermuten Astronomen, dass 2I/Borisov von einem vorbeiziehenden Stern oder einem riesigen Exoplaneten aus seinem Heimatystem geworfen wurde. Danach war er wahrscheinlich mehrere Millionen oder sogar Milliarden Jahre unterwegs, bevor er am 30. August 2019 vom Amateurastronomen Gennady Borisov entdeckt wurde.

Bis weitere interstellare Kometen entdeckt werden, wird die ungewöhnliche Zusammensetzung von 2I/Borisov rätselhaft bleiben. "Der Komet gab uns den ersten Einblick in die Chemie, die ein anderes Planetensystem geprägt hat", sagte Milam. "Aber nur wenn wir das Objekt mit anderen interstellaren Kometen vergleichen können, werden wir erfahren, ob der Komet ein Sonderfall ist oder ob jedes vergleichbare interstellare Objekt ungewöhnlich hohe CO-Werte aufweist." (tberg, 4.5.2020)