Sachen gibt’s, die gibt’s gar nicht. Online durchgeführte Dopingkontrollen zum Beispiel. Die Anti-Doping-Agentur der Vereinigten Staaten (Usada) verschickt derzeit Kits, mit denen sich Sportler auf Zuruf selbst testen müssen. Die Not der Corona-Krise macht auch die Dopingfahnder erfinderisch.

Aber wie darf man sich diese Prozedur vorstellen? Nun, der Aufruf zu einem Blut- und Urintest erfolgt wie beim persönlichen Besuch eines Kontrolleurs unangemeldet. Ein Vertreter der Usada beobachtet via Facetime oder Zoom die Blutabnahme. Bei der Abgabe des Urins ist er, ein bisschen Privatsphäre darf sein, nicht live dabei.

Auch US-Schwimmer Ryan Murphy stellte sich für den selbst durchgeführten Dopingtest zur Verfügung.

Blick in die Toilette

Zuvor darf der Kontrolleur per Videoschaltung einen gründlichen Blick in Bad und Toilette werfen. Der Athlet hat für den Vorgang eine Zeitvorgabe, die Temperatur des Urins wird direkt nach der Abgabe gemessen, um eine Manipulation mit Fremdurin auszuschließen.

Die US-Sportlerinnen Katie Ledecky, mit fünf Olympiasiegen und 15 WM-Titeln eine der erfolgreichsten Schwimmerinnen aller Zeiten, und Allyson Felix, sechsmal Olympiasiegerin und zwölfmal Weltmeisterin auf den Sprintstrecken der Leichtathletik, waren die ersten Testpersonen in diesem neuen Programm. Beide Frauen hatten sich freiwillig angemeldet. Ledecky habe sich während des ganzen Vorgangs "sehr entspannt" gefühlt, sagte sie anschließend der New York Times.

Aber kann eine derartige Kontrolle tatsächlich das bisherige Verfahren ersetzen? Wer die Kreativität der Betrüger kennt, darf Zweifel anmelden. So wie David Müller von Österreichs Nationaler Anti-Doping-Agentur (Nada). "Das ist natürlich ein bisschen eine Marketingmaßnahme unserer US-amerikanischen Kollegen", sagt der Leiter der Abteilung für Information und Prävention. Die Kontrollen befänden sich in einem experimentellen Stadium, eine Einschätzung der Sinnhaftigkeit sei noch ausständig. Es sei gar nicht so einfach, alle Möglichkeiten zur Manipulation restlos auszuschließen: "Das ist schon vor Ort schwierig genug." Zudem fehle derzeit die rechtliche Grundlage, um einem positiven Test per Selbstkontrolle auch Konsequenzen folgen zu lassen.

In Österreich fährt die Nada den Betrieb parallel zum Sport allmählich wieder hoch. Zuletzt ist eine gewisse Lücke entstanden, es wurden nur Sportler mit "sehr hohem Dopingrisiko" getestet. Dass dabei ein Schlaraffenland für Betrüger entstanden ist, befürchtet Müller nicht: "Es ist unwahrscheinlich, dass in so einer Phase ein professionelles Doping aufgebaut wird. Doping muss mit Trainingsprogrammen und Wettkämpfen abgestimmt werden. Auch die Beschaffung der notwendigen Ausrüstung ist in Zeiten des Lockdowns sicher erschwert. Wer also bisher nicht gedopt hat, wird jetzt kaum damit anfangen." Sollte ein Sportler nach der Krise veränderte Werte in seinem biologischen Pass aufweisen, müsse man sich die Sache freilich genauer ansehen.

Blick in die Zukunft

Die Krise kennt übrigens nicht nur Verlierer. Die durch die Pandemie bedingte Verschiebung der Sommerspiele auf 2021 gibt Athleten, die wegen einer Dopingsperre 2020 gefehlt hätten, im kommenden Jahr die Möglichkeit, in Tokio dabei zu sein. Die von der Welt-Anti-Doping-Agentur ausgesprochenen Sperren sind so konzipiert, dass sie vier Jahre und damit einen Olympia-Zyklus laufen. Sie gelten allerdings für Zeiträume, nicht für Events. Müller: "Die Rechtslage ist klar, die Intention der Sperre wurde ausgehebelt. Das ist ein glücklicher Zufall für die Athleten."

Sportler, die wiederum nach August 2020 überführt werden, verpassen 2021 und 2024 gleich zwei Olympische Spiele. Das Glück ist auch in Sachen Doping ein Vogerl. (Philip Bauer, 23.4.2020)