Die Straßen wie leergefegt, die Wirtschaft steht still, soziale Kontakte werden auf ein machbares Minimum reduziert und alles fokussiert sich auf ein Thema: Corona. Was sonst keine Klima-Demo oder Anti-Kapitalismus-Kampagne vermochte, haben nun ein Virus und die damit verbundene Krankheit geschafft. Die Macht der Urtriebkraft Angst lässt alle anderen Faktoren in den Hintergrund rücken. Sobald diese aber nachlässt kommen andere wesentliche Grundbedürfnisse des Menschen wie die Sehnsucht nach Sozialkontakten und wirtschaftlicher Sicherheit in freier Assoziation mit der Maslowschen Bedürfnispyramide wieder an die Oberfläche des individuellen Bewusstseins. Der vorher durch die Furcht um Leib und Leben eingeengte mentale Fokus fängt langsam an sich wieder zu erweitern und es öffnet sich bei manchen sogar ein Zeitfenster Geschehenes zu reflektieren.

Wiederauferstehung der Wirtschaft

Das Leben - ob sozialer oder wirtschaftlicher Natur - folgt keinen mechanischen Mustern sondern einem komplexen organischen Prozess, der ob seiner Dynamik wissenschaftlich nie bis ins kleinste Detail erforschbar ist. Deshalb kann man weder die Wirtschaft und schon gar nicht unser soziales Miteinander einfach auf Knopfdruck nach einer Vollbremsung wieder hochfahren. Diese funktionalistische Sichtweise wird der Lebensrealität nicht gerecht. Ähnlich wie manche medikamentöse Behandlung alleine nur Symptome bekämpft, sind wirtschaftliche Hilfspakete, so wichtig sie sind, nur ein Tropfen auf dem heißen Stein eines traumatisierten und verängstigten psychosozialen Organismus den wir Gesellschaft nennen. Um von der wirtschaftlichen Intensivstation wieder zur biophilen Normalität zu gelangen, braucht die Gemeinschaft mehr als nur wirtschaftliche Beatmungsgeräte. Selbst Corona-Patienten benötigen neben der notwendigen medizinischen Versorgung ebenso ein Klima der emotionalen Wärme und sozialen Geborgenheit - Technik und Medikamente hin oder her.

Warner Bros. DE

Metropolis oder Menschlichkeit

Es darf nicht zu einem noch größeren gesamtgesellschaftlichen "Social Distancing" wie im Film "Metropolis" des Regisseurs Fritz Lang kommen, in dem durch technokratische Rahmenbedingungen die Kluft zwischen einer sozial privilegierten Oberschicht und ökonomisch schlechter gestellten Menschen noch größer wird. In Langs Meisterwerk leben beide Gesellschaftsschichten sinnbildlich völlig isoliert voneinander. Während das Prekariat in engen Massenunterkünften dahinvegetiert, als minderwertig gilt und in den Tiefen der Erde lebt, wo es weder Sonne noch Freude gibt, residieren die Reichen und Mächtigen hoch über dem Boden von Metropolis. Dieser Dystopie gilt es mit allen Kräften entgegenzuwirken ansonsten sind die Folgen des Coronavirus auf sozioökonomischer Ebene vielleicht noch verheerender als auf dem gesundheitlichen Sektor. Die Wissenschaft lehrt uns, dass es keine Unfehlbarkeit gibt, weder in der Medizin noch in der Wirtschaft und schon gar nicht beim Menschen und seiner Gedanken- und Gefühlswelt. Das gilt für jeden von uns und auch für alle Experten. Wer weiß, dass er nichts weiß ist dem Alleswisser gegenüber klar durch seine Differenziertheit zu sich selbst im Vorteil. Die Evidenz endet an den Grenzen unseres eigenen Verstandes und Verständnisses, die wir nicht überspringen können. (Daniel Witzeling, 28.4.2020)

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