Der Intendant der Salzburger Festspiele, Markus Hinterhäuser, kann nicht nachvollziehen, dass Festivals wie Bayreuth bereits abgesagt wurden.

Foto: Salzburger Festspiele / Neumayr / Leo

Er ist angespannt, das merkt man dem Intendanten der Salzburger Festspiele, Markus Hinterhäuser, auch am Telefon an. Die Regierungs-Pressekonferenz zur Kultur am letzten Freitag hat die Nervosität nicht gemildert – im Gegenteil. Ob die Salzburger Festspiele über die Bühne gehen können, ist weiterhin mehr als ungewiss.

STANDARD: Die "Jedermann"-Aufführung am 22. August 1920 war die Geburtsstunde der Salzburger Festspiele. Sie dauerten damals fünf Tage. Werden die Jubiläumsfestspiele heuer jenen vor 100 Jahren ähnlicher sein, als Ihnen lieb ist?

Hinterhäuser: Unsere Pläne für die Jubiläumsfestspiele wurden im November letzten Jahres veröffentlicht. So wie wir sie uns erdacht und erträumt haben, werden sie wohl nicht stattfinden können. Wir spielen derzeit verschiedene Szenarien durch, ob und wie wir Teile davon retten können, sollte es denn möglich sein. Die Realisierbarkeit all dieser Überlegungen hängt aber vollkommen von den politischen Entscheidungen ab.

STANDARD: Vergangenen Freitag wurden alle Großveranstaltungen im Sommer abgesagt, die Festspiele aber nicht. Die Festspiele haben eine Wertschöpfung von 220 Millionen Euro. Gab es Druck auf die Politik?

Hinterhäuser: Überschätzen Sie uns nicht! Auch die Festspiele werden keine Ausnahmeregelungen bekommen, und wir wollen solche auch nicht. Was sind denn überhaupt Großveranstaltungen? Da fehlt bis jetzt jede Definition. In meinem Verständnis sind Großveranstaltungen etwa Freiluft-Pop- und Rockkonzerte oder großdimensionierte Stadtfeste. Ob man die Festspiele mit ihren Spielstätten, die ein Fassungsvermögen zwischen 600 und etwa 2.300 Personen haben, dazuzählt, sollte man doch zumindest diskutieren dürfen.

STANDARD: Viele interpretierten es als eine Bevorzugung der Hochkultur gegenüber der Populärkultur.

Hinterhäuser: Das kann schon sein, hat aber mit der Realität überhaupt nichts zu tun. Wer wird denn gerade wie und in welcher Form bevorzugt? Die Situation der Festspiele bietet ja noch ein kleines Zeitfenster. Viele unserer Proben würden erst in etwa zwei Monaten beginnen. Es gibt derzeit in Österreich eine Entwicklung, die in Bezug auf das Coronavirus durchaus Grund zur Hoffnung gibt. Aber noch einmal: Nicht wir sind es, die die Festspiele absagen, die Politik wird entscheiden müssen, ob und in welcher Form sie sie erlaubt oder nicht.

STANDARD: Man hört, dass Sie aus den Künstlerverträgen nur ohne Abschlagszahlungen herauskommen, wenn die Festspiele durch Maßnahmen der Politik abgesagt werden müssen. Deswegen würden Sie noch zuwarten. Korrekt?

Hinterhäuser: Nein, dem ist definitiv nicht so. Es gibt hier moralische Fragen, die man nicht einfach übergehen kann und darf. Und es gibt juristische Tatsachen, die man auch nicht mir nichts, dir nichts außer Kraft setzen kann. Man wird mit der Politik eine kluge, tragfähige und – wie immer das dann aussieht – gerechte Lösung finden müssen. Aber der Vorwurf, die Festspiele würden es sich bequem machen und zuwarten, bis sie abgesagt werden müssen, geht vollkommen ins Leere. Der Aufschub der Entscheidung, ob oder in welcher Form Festspiele unter Umständen doch stattfinden können, ist weder verwerflich noch falsch oder unanständig. Mit dem Signal, das viele Kulturinstitutionen durch ihre frühen Absagen gegeben haben, kann ich mich auch nicht uneingeschränkt anfreunden.

STANDARD: Sie sprechen über Bayreuth?

Hinterhäuser: Ich muss mir nicht über Bayreuth den Kopf zerbrechen. Als Signal wäre es allerdings schon wichtig, dass nicht alle auf einmal den Kopf in den Sand stecken. Vielleicht gibt es ja auch andere Möglichkeiten als die der Totalabsagen.

STANDARD: Welche Ansagen vonseiten der Politik würden Ihnen helfen?

Hinterhäuser: Ansagen, die realistisch und präzise sind. Im Moment ist das alles sehr vage und unausgegoren. Wir arbeiten gerade an einer ganzen Reihe von Vorschlägen, wie wir uns eine Probensituation und einen eingeschränkten Spielbetrieb unter Einhaltung größtmöglicher Sicherheitsstandards vorstellen können. Und irgendwann wird man auch die Eigenverantwortlichkeit der Beteiligten nicht außer Acht lassen können. Bei all diesen Überlegungen braucht es ein hohes Maß an Differenziertheit. Die Baumarktverordnungen einfach eins zu eins auf Theater oder Oper umzulegen wird zu wenig sein.

STANDARD: Das wurde bei der Pressekonferenz vergangenen Freitag gemacht. Es gab viel Empörung.

Hinterhäuser: Die kann ich gut nachvollziehen. Auch wenn man die Pressekonferenz mit großer Nachsicht beurteilt, kommt man wohl nicht umhin zu sagen, dass sie auf vergleichslose Art verunglückt war.

STANDARD: Die Vorgaben derzeit verlangen 20 Quadratmeter pro Person.

Hinterhäuser: Wollen wir uns allen Ernstes vorstellen, dass etwa im Großen Festspielhaus mit seinen fast 2.300 Plätzen der Zugang für 485 Personen erlaubt wird und der Rest aber leer bleibt? Das wären sehr traurige Veranstaltungen. Vizekanzler Kogler hat jetzt angekündigt, dass man über die Quadratmeterregelung reden muss.

STANDARD: Sie sagten, die Festspiele würden nicht in der geplanten Form über die Bühne gehen. In welcher Form dann?

Hinterhäuser: Wir müssen nicht am 26. Juli eröffnen, vielleicht stellt sich die Situation im Laufe des Augusts anders dar und wir können zu einem späteren Zeitpunkt ein Zeichen setzen. Sollte der schlimmste aller Fälle eintreffen und wir dürfen gar nichts machen, dann werden wir das Jubiläumsjahr auf 2021 verschieben und 100 Jahre Festspiele ein Jahr später feiern. Mit den allermeisten Produktionen wird uns dieser Transfer auch gelingen.

STANDARD: Von besonderer Bedeutung ist der "Jedermann", mit dem alles angefangen hat. Man hört, dass Sie rund um den 20. August so etwas wie ein Minifestival planen.

Hinterhäuser: Auch das wäre ein mögliches Szenario. 1920 war die Situation ähnlich angespannt, wenngleich die Ursachen vollkommen andere waren. Vielleicht könnten wir ja am Domplatz statt mit der Tribüne mit einer losen Bestuhlung arbeiten. Aber was, wenn es regnet? Im Großen Festspielhaus können wir nicht die gesamten Stuhlreihen ausbauen. Sie sehen, auch da ergeben sich wieder Fragen über Fragen.

STANDARD: Sie haben ein großes Fest zum Jubiläum geplant. Könnte auch 2020 die ganze Stadt wieder zur Bühne – und damit der Bogen zu 1920 gespannt – werden?

Hinterhäuser: Es gibt einen großen Unterschied zu 1920: Die wirtschaftliche und soziale Situation war damals verheerend, jetzt gibt es eine Pandemie mit einer großen Infektionsgefahr. Die Utopie der Festspielgründer war damals, einen Gegenentwurf zu schaffen zu all dem Leid und der Not, die damals das Leben beherrschten. Und ja: Wir beschäftigen uns auch mit dieser Möglichkeit, aber würden wir im Sinne Max Reinhardts die gesamte Stadt zur Bühne machen, hätten wir wieder das Problem mit großen Menschenansammlungen. Wir landen immer an einem ähnlichen Punkt.

STANDARD: Viele Veranstalter weichen in den digitalen Raum aus. Auch für Sie eine Option?

Hinterhäuser: Wir haben viele Produktionen, die aufgezeichnet wurden und die wir zeigen können, aber das Ausweichen ins Digitale wird irgendwann auch zu einer Ermüdung führen. Das Bedürfnis nach realen Erlebnissen wird übergroß sein. Bei den Festspielen haben wir am Kapitelplatz mit Abstand das umfangreichste Public Viewing der Welt. Da kann man auch einiges machen, das allein wird aber nicht reichen. (Stephan Hilpold, 24.4.2020)