Die Wiederöffnung der Schulen ist ein Projekt, das Gesundheit und Bildungsaspekte immer gleichzeitig im Auge behalten muss – und vor allem alle Beteiligten einbeziehen, sagt Implementationsexpertin Christiane Spiel.

Bildungspsychologin Christiane Spiel von der Universität Wien.

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Ein Punkt ist für die Bildungspsychologin Christiane Spiel unbestritten: "Es ist wichtig, dass alle Schülerinnen und Schüler noch vor dem Sommer wieder in die Schulen zurückkommen." Das wird die Wissenschafterin der Uni Wien auch heute, Freitag, in ihrem Statement bei der Pressekonferenz betonen, wenn Bildungsminister Heinz Faßmann das Programm für die langsame "Wiederauferstehung" (Sebastian Kurz) der Schulen vorstellt.

Spiel kennt das Schulsystem als Forscherin, als Psychologin, die um die Ängste weiß, die Erfahrungen wie die Corona-Krise auslösen können, aber auch als Lehrerin, die einige Jahre an einer AHS Mathematik und Geschichte unterrichtet hat, und außerdem als Mutter. Dieses multiprofessionelle Wissen über den Schulbetrieb ist auch Basis für ihre Überzeugung, "dass wir auf jeden Fall auch die Schulen Schritt für Schritt so weit wie möglich in die ,Normalität‘ zurückführen müssen", sagt sie im STANDARD-Gespräch.

Handeln gegen Hilflosigkeit

Sie versteht aber auch die Ängste, die einige Eltern äußern, wonach sie ihre Kinder nicht als "Versuchskaninchen" in die unberechenbare Corona-Welt draußen vor der eigenen Haustür schicken würden: "Dadurch, dass wir jetzt die ganze Zeit den Fokus so massiv auf dem Gesundheitsaspekt hatten – was richtig war –, ist klar, dass auch die Angst gesteigert wurde. So eine Situation macht ja auch hilflos." Nur betont Spiel: "Wir müssen ins Handeln kommen. Es geht nicht um ein Experiment, das müssen die Menschen wissen, auch wenn es nicht nur die eine Lösung gibt. Man muss einen gut begründeten, ausbalancierten Prozess aufsetzen, der alle Beteiligten mitdenkt."

Vor dem Hintergrund, dass Virologen davon ausgehen, dass ein Impfstoff gegen das Coronavirus frühestens in einem Jahr verfügbar sein werde, müsse man sich fragen: "Wollen und können wird wirklich unser ganzes Sozialleben so lang geschlossen lassen? Nein", ist die Bildungsforscherin überzeugt: "Aber wir haben viel Wissen aus der Implementationsforschung, wie man so einen komplexen Prozess aufsetzen kann."

Gesundheit und Bildung im Auge behalten

Das Wichtigste und zugleich Schwierigste jetzt sei, dass man Gesundheit und Bildung immer gleichzeitig im Blick behalten und Schüler, Eltern plus Lehrer mitnehmen müsse: "Das ist wichtig, damit die Umsetzung, egal, welcher politischen Maßnahme, so gut wie möglich gelingt. Die Beteiligten müssen sehen, dass es funktioniert, aber auch, dass man es wieder zurücknehmen kann."

Was braucht es also? Es braucht Skripts, sagt Spiel, für das, was jetzt im Bildungsministerium, aber auch in der Bildungsverwaltung in den Ländern sowie den einzelnen Schulen passiert: "Man muss vom ersten Schritt der Kinder vor die Haustür alles durchspielen, um das Notwendige zu machen. Das gibt auch Sicherheit." Was bedeutet es also, wenn die Kinder wieder in die Schule kommen? Im öffentlichen Raum? Wann und wo sollen sie sich in der Schule desinfizieren? Wie teilt man Klassen? Braucht man Wegweiser oder Bodenmarkierungen, die den Kindern zeigen, wo sie gehen müssen, um die Abstandsregeln einzuhalten? Auch Pausenmanagement wird nötig sein.

"Abgestimmte und geteilte Verantwortung"

"Ein ganz wichtiger Punkt ist eine gute Mischung aus Regeln, die sinnvoll sind für alle Schulen, und solchen, die lokale Gegebenheiten vor Ort berücksichtigen." Etwa die Altersstruktur der Lehrerschaft mit Blick auf Risikogruppen oder räumliche Voraussetzungen. Im Expertinnenjargon heißt das: "Abgestimmte und geteilte Verantwortung."

Und was ist mit denen, die nicht in die Schule zurückwollen? "Man sollte akzeptieren, wenn Eltern sagen, ich lasse mein Kind jetzt nicht in die Schule. Aber man muss ihnen auch klarmachen, was das bedeutet", sagt Spiel. "Sie haben dann weiterhin die Verantwortung für die Strukturierung des Tages und das Lernen daheim, und ihre Kinder sind dann auch weiter ohne die wichtigen sozialen Kontakte zu Gleichaltrigen." (Lisa Nimmervoll, 24.4.2020)